Niko Kovac: Neuer Trainer bei Borussia Dortmund muss direkt ins eiskalte Wasser – Sport

Es wäre übertrieben zu behaupten, der Trainer Niko Kovac übernehme mit der leidgeprüften Fußballmannschaft von Borussia Dortmund einen Pflegefall. Allerdings hätte man diesen Eindruck bekommen können nach zwei düsteren Diagnosen von Matthias Sammer und Emre Can. Eine „geistige und körperliche Nichtverfassung“ hatte der BVB-Berater Sammer dem Team vor zwei Wochen bescheinigt, und auf dieses unschmeichelhafte Urteil setzte der Kapitän Can am Samstag noch einen drauf, als er sagte, die Mannschaft sei „ein bisschen tot“ gewesen.

Diesen kritischen Zustand konnte Kovac am Dienstag nach seinem ersten Training nicht bestätigen. „Heute hatten die Spieler oft ein Lächeln im Gesicht“, berichtete Kovac bei seiner offiziellen Vorstellung. Die gute Laune der Mannschaft führte Kovac auch darauf zurück, was der Interimstrainer Mike Tullberg durch seine extrovertierten Emotionen bei den Spielern bewirkt haben könnte. „Das war klasse“, sagte Kovac über Tullbergs Gefühlsausbrüche und hoffte, dass die jüngsten Ergebnisse (zwei Siege, ein Remis) bei den Spielern neue Zuversicht ausgelöst haben. „Vieles steht und fällt mit dem Selbstvertrauen“, sagte Kovac, „und die Jungs haben wieder gespürt, wie schön es ist zu gewinnen.“

In Dortmund hoffen sie nun, dass den Spielern das Lächeln so schnell nicht wieder vergeht. „Der aktuelle Tabellenstand entspricht absolut nicht unserem Anspruch“, sagte streng der Sportdirektor Sebastian Kehl, aber auf die gebeutelte Mannschaft schlägt aus der Führungsetage niemand ein, weil es wohl keinen positiven Effekt hätte. „Wir sehen noch großes Potenzial in dieser Saison“, sagte Kehl vielmehr und fand damit Zustimmung bei Kovac, der seine Zuversicht aus den Fähigkeiten dieser Mannschaft schöpft. Kovac berichtete, er sehe „eine Mannschaft mit großen fußballerischen Fähigkeiten und großer individueller Qualität, die aber bisher nicht alles abgerufen hat.“ Was die Ziele angeht, hielt sich der neue Trainer bedeckt: „Unser Anspruch ist, das Maximum herauszuholen.“

Der Sportchef Ricken hofft auf eine „Aufholjagd“, räumte aber auch ein, dass es „nicht gerecht wäre, Nikos Arbeit am Ende der Saison nur an einem Tabellenplatz festzumachen; wir wollen maximalen Erfolg, aber es zählt auch die Art und Weise, wie wir auftreten.“ Das vorherrschende Thema in Kovacs erstem Training, verriet Ricken lächelnd, „das war nur Offensive“. Ein Signal an alle Skeptiker.

Zwei Last-Minute-Zugänge kann Kovac in den Kader integrieren

Der Trainer Kovac könnte ja sogar Titel: 2018 gewann er mit Eintracht Frankfurt den DFB-Pokal, ein Jahr später holte er mit Bayern München das Double aus Meisterschaft und Pokal. Dortmunds bislang letzter Titelgewinn war 2021 der Pokal, vor neun Monaten verlor der Klub das Champions-League-Finale gegen Real Madrid. Ein Titel ist im Moment aber gar nicht unbedingt das, was diese Mannschaft braucht. Sie benötigt Stabilität und Erfolg sowie binnen drei Monaten einen Platz unter den besten vier der Bundesliga. Derzeit steht der BVB auf Tabellenplatz elf, der Rückstand zum Viertplatzierten RB Leipzig beträgt aber nur vier Punkte. Sowohl in der Bundesliga als auch in der Champions League erscheint noch vieles möglich, aber dazu muss die Mannschaft ihre Einstellung dauerhaft verändern. Unter Nuri Sahin hatte das nicht geklappt.

Auch deshalb hatte sich der Klub vor zwei Wochen von Sahin, 36, getrennt. Seither hat in drei Spielen der A-Jugend-Trainer Tullberg, 39, die Mannschaft betreut. Am Sonntag dann übernahm Kovac die Verantwortung. Bedenkt man, dass bis zum Ende der vergangenen Saison der Trainer noch Edin Terzic, 42, geheißen hatte, so kommt der BVB binnen neun Monaten auf vier Trainer.

Die Mannschaft benötige jetzt „Leidenschaft und Mut“, sagte Ricken, und zu diesem Zweck vertraue man auf „externen Input und einen erfahrenen Trainer.“ Sportdirektor Kehl sagte über Kovac: „Niko hat ein klares Werteverständnis und verlangt klare Tugenden.“ Aber allein damit wird es auch nicht gelingen.

Die am Montag zu Ende gegangene Wechselperiode hat Dortmund zu drei Akquisitionen genutzt, von denen aber zunächst nur zwei für den BVB spielen: Vom FC Nordsjaelland aus Norwegen kommt der schwedische Linksverteidiger Daniel Svensson, 22, und vom FC Chelsea aus London der englische Mittelfeldspieler Carney Chukwuemeka, 21. Beide werden zunächst ausgeliehen, für beide besitzt der BVB eine Kaufoption (Svensson geschätzt sieben Millionen Euro, Chukwuemeka geschätzt 35 Millionen). Fest verpflichtet hat man für fünf Millionen Euro von Ajax Amsterdam den Torwart Diant Ramaj, 23. Weil der gebürtige Stuttgarter aber perspektivisch als Nachfolger des Torwarts Gregor Kobel geholt wurde, verleiht man ihn zunächst bis zum Saisonende an den dänischen Tabellenführer FC Kopenhagen.

Am kommenden Samstag heißt die erste Herausforderung für Kovac: VfB Stuttgart. Dabei geht es auf Anhieb und unweigerlich um den Anschluss an die für Dortmund so wichtigen Europapokalplätze. Drei Tage später gastieren die Borussen im Champions-League-Playoff-Hinspiel bei Sporting Lissabon. Im Rückspiel eine Woche später geht es um den Einzug ins Achtelfinale, wo Anfang März Aston Villa oder OSC Lille der Gegner wäre. Am 15. Februar steht zwischenzeitlich noch ein Derby in Bochum an. Eingewöhnungszeit erhält Kovac also keine. Es stürzt sich ins eiskalte Wasser. „Dass das nicht optimal ist, ist klar“, sagte Kovac, „aber der springende Punkt ist: Man muss gar nicht allzu viel machen, wir müssen nicht alles neu erfinden – die Spieler brauchen Selbstvertrauen.“