
Wer am 7. Januar 1970, also vor ziemlich genau 55 Jahren, die „St. Petersburg Times“ aufschlug, bekam auf der ersten Seite des Sportteils folgende Schlagzeile zu lesen: „Corny And Bit Presumptuous, But It’s Still the ‚Super Bowl’“. Kitschig und etwas anmaßend sei der neue Name für das neue, gemeinsame Finale der beiden wichtigsten Football-Ligen des Landes, aber, nun ja, es bleibe eben dabei. Das saß.
Selbst derjenige, der verantwortlich dafür war, dass „die größte Attraktion des Footballs“ künftig Super Bowl genannt werden sollte, sei darum im Nachhinein „verlegen“ und „nicht unbedingt stolz“. Und der Commissioner Pete Rozelle, der oberste Chef der National Football League (NFL), das ließ der über seinen Assistenten an die „St. Petersburg Times“ ausrichten, habe den Namen überhaupt nicht gemocht – und stattdessen jahrelang nach Alternativen gesucht. Vergeblich.
Längst ein popkulturelles Phänomen
Geschrieben hat der Autor diese Zeilen, die sich im Archiv der Zeitung nachlesen lassen, in New Orleans, und damit genau dort, wo sich in der Nacht von diesem Sonntag auf Montag (0.30 Uhr MEZ bei RTL und DAZN) die Kansas City Chiefs und Philadelphia Eagles im mittlerweile 59. Super Bowl gegenüberstehen werden.
Längst ist das Endspiel der NFL zu einem popkulturellen Phänomen geworden, zu einem Megaspektakel, das weltweit Millionen Menschen in mehr als 100 Ländern begeistert. Bei der vergangenen Ausgabe im Jahr 2024 schalteten offiziellen Angaben zufolge allein in den USA 123,4 Millionen in TV und Streams ein, mehr Zuschauer hat es noch nie gegeben. Außerhalb Amerikas kamen in der Spitze noch einmal 62,5 Millionen Menschen hinzu.
1970, als das größte und wichtigste Footballspiel des Jahres erst zum vierten Mal und erstmals in New Orleans ausgetragen wurde, rechnete mit einer solchen Erfolgsgeschichte kaum jemand. Lange und intensive Verhandlungen, Diskussionen, ja regelrechte Streitgespräche über die Zukunft des Football in den USA lagen hinter den „Oberherren“ des Sports, wie sie von der „St. Petersburg Times“ genannt wurden. Ob das, was sie sich ausgedacht hatten, Bestand haben würde, stand in den Sternen.

1966 hatten die beiden mächtigsten Football-Ligen des Landes, die alteingesessene NFL und die erst 1960 ins Leben gerufene American Football League (AFL), beschlossen, nicht länger um Aufmerksamkeit, die besten Spieler und vor allem: Geld zu konkurrieren, sondern stattdessen gemeinsame Sache zu machen. Auch wenn die vollständige Verschmelzung der beiden Ligen zur neuen NFL, wie sie heute bekannt ist, erst im Lauf des Jahres 1970 vollumfänglich vollzogen wurde, führten die Ligen bereits 1967 ein gemeinsames Saisonfinale ein: Ein Kräftemessen der beiden jeweils besten Mannschaften von AFL und NFL.
Darüber, wie dieses Finale genannt und vor allem: vermarktet werden sollte, hatten viele der mächtigen Männer aber unterschiedlichste Vorstellungen. „The Game“ oder „World Championship Game“ waren zwei der Vorschläge, am Ende einigte man sich auf den etwas sperrigen Titel „AFL–NFL World Championship Game“. Doch der verfing überhaupt nicht bei der Presse und den Fans, die 1970 bereits stolze 15 Dollar Eintritt für das Spiel bezahlen mussten (entspricht heute einem Wert von etwa 117 Euro).

Einen Mann störte das gewaltig: Lamar Hunt, multimillionenschwerer Öl-Tycoon und Besitzer des Footballteams Kansas City Chiefs (vormals Dallas Texans). Hunt, dem zuvor verweigert worden war, Besitzer einer NFL-Mannschaft zu werden, hatte gemeinsam mit anderen verprellten Investoren die AFL ins Leben gerufen und mit der AFL jahrelang ziemlich viel richtig gemacht. In der Liga galten zum Beispiel etwas andere Regeln als in der NFL, wodurch es häufiger zu sehenswerten Offensivspielzügen kam und die Partien oft mit höheren Ergebnissen endeten. Das begeisterte die Zuschauer, ebenso die bunten Teamtrikots, die in der AFL gängig waren; beides bis heute Erfolgsfaktoren des Sports aus Amerika.
Schon 1966 hatte Hunt in Gesprächen und Briefen das große Finale zwischen AFL und NFL als „Super Bowl“ bezeichnet. Anfangs nicht ganz ernst gemeint, wie in Michael MacCambridges Buch „America’s Game“ nachzulesen ist: „Ich habe (das Spiel/d. Red.) scherzhaft den ‚Super Bowl‘ genannt, was natürlich noch verbessert werden kann“, schrieb Hunt damals an den NFL-Chef Rozelle. Auch der Zeitung „The Evening Standard“ in Kansas City, das ist ebenfalls in deren Archiv nachzulesen, sagte er, dass dies „sein Name für dieses Spiel“, dem die Zukunft des Sports gehören sollte, sei.
Allein: Niemandem wollte dieser Name gefallen. Commissioner Rozelle, der viel Wert legte auf einen guten Ton, war er nicht „anspruchsvoll“ genug, selbst unter seinen AFL-Kollegen wurde Hunt damit bestenfalls belächelt. „Wir haben uns gefragt: Wer sind wir denn, uns ’super irgendwas‘ zu nennen, noch bevor wir überhaupt losgelegt haben?“, sagte Rozelles Assistent Jim Kensil der „St. Petersburg Times“.
Der Presse aber gefiel, was Hunt sich ausgedacht hatte. „Super Bowl“ war griffig, kurz und prägnant. Auch die Fans griffen die Bezeichnung schnell auf, selbst unter den Spielern, schreibt MacCambridge, sei der Name von Beginn an immer wieder verwendet worden: „Super Bowl“ habe sich „wie ein Lauffeuer“ verbreitet. Die Ligen aber, insbesondere die frühere NFL, weigerten sich zunächst beharrlich, zumindest öffentlich von ihrer Bezeichnung „AFL–NFL World Championship Game“ abzurücken. Auch mangels besserer Alternativen.
Doch der Siegeszug des Super Bowl war nicht mehr aufzuhalten. Schon 1969 wurde das Finale Ligen-intern als solcher betitelt, im Folgejahr 1970 in New Orleans erstmals öffentlich auch so beworben. Von da an gab es kein Zurück. Auf dem Rasen hatten die Zuschauer 1969 nämlich nach zwei zuvor eher einseitigen Endspielen ein packendes Kräftemessen zwischen den favorisierten Baltimore Colts aus der frühen NFL und den New York Jets aus der AFL gesehen.
Der überraschende 16:7-Sieg der Jets begeisterte die mehr als 80.000 Zuschauer im Stadion und auch die anwesende Presse derart, dass den beiden Ligen, so gab das Rozelles Assistent später zu verstehen, gar nichts anderes übrig geblieben sei, als nach diesem durchschlagenden Erfolg an der Bezeichnung „Super Bowl“ festzuhalten: „Wir haben den Namen nie akzeptiert – nicht bis zu diesem Jahr.“
Auch die beiden zuvor ausgetragenen Spiele von 1967 und 1968 wurden rückwirkend Super Bowl genannt. Super Bowl I nach heutiger Zählweise ist damit das Finale von 1967.

Wie aber kam Hunt, der anfangs 25.000 Dollar (heute etwa 260.000 Euro) in sein Team investierte, das heute Schätzungen zufolge knapp vier Milliarden Euro wert ist und von seinem Sohn Clark geführt wird, auf diesen Namen, der anfangs kaum jemandem gefallen wollte und doch derart bedeutsam werden sollte?
Nun, „Bowl Games“ werden wichtige Footballspiele in den USA schon seit dem frühen 20. Jahrhundert genannt. Als Ursprung gilt das sogenannte Rose Bowl Game, das im Rahmen des „Tournament of Roses“ im wegen seiner an eine Schüssel oder Schale erinnernden Form „Rose Bowl“ genannten Stadion in Pasadena ausgetragen wurde.
Und „Super Bowl“ habe er das neue, große Football-Finale genannt, sagte Hunt der „St. Petersburg Times“, weil ihm beim Nachdenken über eine passende Bezeichnung wie aus dem Nichts ein Spielzeug namens „Super Ball“ in den Kopf geschossen sei. Mit dem hätten seine beiden ältesten Kinder Lamar Jr. und Sharon oft gespielt, er war quasi allgegenwärtig im Hause Hunt: „Wir haben also Super Bowl vom Super Ball bekommen. Ziemlich albern, oder? Ich bin nicht stolz darauf. Aber niemand hatte eine bessere Idee.“
Immerhin: Der „Super Ball“, ein kleiner, schwarzer Flummi, war in den 1960er-Jahren ein regelrechter Renner. Mehr als 20 Millionen Stück wurden allein in diesem Jahrzehnt verkauft, in der Spitze bis zu 170.000 Stück pro Tag produziert. Beworben wurde er als „phantastischster Ball, den die Wissenschaft je geschaffen hat“. Selbst für das Weiße Haus und sein Personal bestellte McGeorge Bundy, Sicherheitsberater des damaligen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson, 60 Stück, wie er später mehreren Medien bestätigte. Eine Erfolgsgeschichte. Der Super Bowl, der diesem Spielzeug seinen Namen verdankt, wurde es auch.