WM-2006-Prozess: Gericht kritisiert DFB hart – Sport

Um 10.44 Uhr betritt Wolfgang Niersbach den Raum 9 des Landgerichts Frankfurt. Der frühere Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) kennt die Örtlichkeiten gut. Bis zum Spätsommer 2024 hat er hier im Steuerprozess um die Millionenschiebereien rund um die WM 2006 auf der Anklagebank gesessen. Dann wurde das Verfahren gegen ihn gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt. Dafür soll er nun als Zeuge in dem Prozess aussagen. Das ist durchaus ein brisanter Moment: Denn Niersbach, 74, ist der Erste aus dem engsten Kreis der damaligen WM-Macher, der nun vor Gericht umfangreich aussagt.

Tatsächlich hat der Prozess schon vor seinem ersten Satz eine neue Eskalationsstufe erreicht. Und das hat nichts mit den damaligen Verantwortlichen um Niersbach und den inzwischen verstorbenen WM-Chef Franz Beckenbauer zu tun. Es geht vielmehr um das Vorgehen der heutigen DFB-Führung. Das Gericht stellt am Donnerstag den Vorwurf in den Raum, dass der DFB kürzlich versucht habe, den Prozess auf unlautere Weise zu beeinflussen.

Anlass für diese Rüge sind der Inhalt und die Umstände eines bisher unbekannten DFB-Schreibens an die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft aus dem November 2024, das die Richterin Eva-Marie Distler am Donnerstag verliest. Darin bittet der Verband in Person seines Schatzmeisters Stephan Grunwald um einen Gesprächstermin. Hintergrund seien die „weitreichenden Einschränkungen“ und „anhaltenden Belastungen“, unter denen der DFB im Zuge der laufenden Steuerverfahren zu leiden habe. Denn die haben nicht nur zu Anklagen gegen (Ex-)Funktionäre geführt, sondern auch zu finanziellen Folgen für den Verband.

Das Schreiben sei aus einem Gespräch mit dem Finanzministerium erwachsen, so der DFB

Wegen der steuerlichen Behandlung der Transaktionen rund um die WM 2006 sowie wegen angeblich nicht korrekt verbuchter Einnahmen aus der Bandenwerbung in den Jahren 2014 und 2015 ist dem Verband für drei Jahre die Gemeinnützigkeit aberkannt worden. Das kostete ihn insgesamt etwa 50 Millionen Euro. Deswegen könne er, so der DFB in dem Schreiben sinngemäß, seinen satzungsmäßigen Aufgaben unter anderem im Jugendsport nicht wie gewünscht nachkommen. Vor diesem Hintergrund und ob der langen Verfahrensdauer habe es auch schon ein Gespräch mit einem hohen Ministerialbeamten des hessischen Finanzministeriums und Vertretern der Finanzverwaltung gegeben; daraus sei die Idee erwachsen, sich an die Generalstaatsanwaltschaft zu wenden und um ein gemeinsames Gespräch zu bitten. Ziel sei, dass es zu einer „Verfahrensbeschleunigung“ und möglichst auch zu einer „Teilerledigung“ komme.

Dieser Ablauf steht nicht nur im Widerspruch zu dem vom DFB zuletzt erweckten Eindruck, wonach sich seine finanzielle Lage zunehmend entspanne. Er erzürnt auch das Landgericht Frankfurt. Sich während eines laufenden Verfahrens in dieser Form an die Generalstaatsanwaltschaft zu wenden, also an die vorgesetzte Behörde der zuständigen Strafermittler, das habe sie „erstaunt“, und es sei „im deutschen Rechtsstaat sehr ungewöhnlich“, sagte Richterin Distler. Man könnte es als „versuchte Einflussnahme“ auf den hiesigen Prozess beschreiben.

Inhaltlich habe die Generalstaatsanwaltschaft das Begehr dann auch abgebügelt. Nach bisherigem Kenntnisstand, so zitierte Distler aus der Antwort der Generalstaatsanwaltschaft an den Verband, habe der DFB bislang die Ansicht vertreten, dass ihm in der WM-2006-Causa kein Fehlverhalten vorzuwerfen sei. „Soweit diese Position fortbesteht, sehe ich wenig Raum für Gespräche für eine konsensuale Lösung“, schreib der Behördenvertreter. Außerdem verwies er auf das weit fortgeschrittene Stadium des Verfahrens.

Wolfgang Niersbach erzählt zu den großen Fragen wenig Erhellendes – dafür hat er einen Gag parat

DFB-Anwalt Jan Olaf Leisner beteuerte in seiner Replik vor Gericht, dass es nicht um eine Beeinflussung des konkreten Steuerverfahrens gegangen sei, sondern nur um die Frage, wie es mit der aberkannten Gemeinnützigkeit aussehe. Außerdem verwies er darauf, dass die Initiative für das angedachte Gespräch von dem Beamten des Finanzministeriums ausgegangen sei; eine SZ-Anfrage beantwortete das Ministerium am Donnerstag zunächst nicht. Richterin Distler gab Leisner zurück, dass hier ohnehin keiner hereinzufunken habe.

Das umstrittene Schreiben ist nun binnen kurzer Zeit das zweite große Thema, das sich die aktuelle DFB-Spitze rund um den Prozess ans Bein gebunden hat. Erst in dieser Woche wurde bekannt, dass der Verband eine Klage gegen seinen früheren Präsidenten Theo Zwanziger eingereicht hat. Der 79-Jährige ist der letzte verbliebene Angeklagte im WM-2006-Prozess – er bestreitet den Vorwurf der Steuerhinterziehung strikt –, und der DFB wollte sich mit diesem Schritt den Anspruch auf Schadenersatz sichern. Auf 24 Millionen Euro taxierte er den Streitwert, insbesondere wegen der erfolgten Aberkennung der Gemeinnützigkeit. Die Klage ist auch deswegen kurios, weil der DFB in dem Steuerverfahren im Grunde – wie Zwanziger – die Meinung vertritt, dass keine Steuerhinterziehung vorliege. DFB-Anwalt Leisner führte am Donnerstag aus, dass es schlicht die Pflicht des Verbandes sei, sich etwaige Ansprüche zu sichern und kein Widerspruch vorliege. Woraufhin die Richterin ihm entgegenhielt, er habe sich durchaus widersprochen.

Und Wolfgang Niersbach, der ursprüngliche Hauptakteur des Tages? Der steuerte in der mehr als dreistündigen Befragung zwar einige bemerkenswerte Details bei. So berichtete er, wie sich Franz Beckenbauer als WM-Chef schon früh Gedanken um Haftungsthemen gemacht habe. Aber wenn es um die großen Fragen und seine eigene Beteiligung ging, wirkte Niersbachs Auftritt streckenweise wie eine Wiederauflage seiner legendären Pressekonferenz aus dem Herbst 2015, die er als DFB-Chef kurz nach Ausbruch der WM-2006-Affäre gab.

Egal, ob es um den Kredit des früheren Adidas-Chefs Robert Louis-Dreyfus für Beckenbauer aus dem Jahr 2002 ging, der die WM-Affäre ausgelöst hat; oder um die Rückzahlung dieses Kredites drei Jahre später durch eine Überweisung von 6,7 Millionen Euro; oder um sein Tun im Jahr 2015, als der anrüchige Vorgang aufflog; oder um gelöschte Mails und Dokumente oder Gespräche mit den damaligen WM-Kollegen. Recht oft konnte sich Niersbach nicht mehr erinnern, oder er trug Erklärungen vor, die das Gericht und die Staatsanwaltschaft erkennbar als wenig glaubwürdig einschätzten.

Dafür hinterließ Niersbach einen guten Gag. Er brauche noch keine Pause, sagte er zwischendurch, er habe noch genügend Wasser. Das habe er „nur mitgebracht, weil der Uli Hoeneß nichts zu trinken hatte“, sagte er in Erinnerung an die Vernehmung des FC-Bayern-Patrons vor einem Dreivierteljahr.

So lange zieht sich der Prozess nun schon, ein Ende ist für Juni geplant. Die aktuelle DFB-Führung aber dürfte das Thema noch lange darüber hinaus beschäftigen.