Wer es bis jetzt nicht begreifen wollte, muss spätestens nach dem heutigen Sonntag einsehen: Die Nationalratswahl in Österreich vor knapp zwei Monaten war kein Ausrutscher, kein Betriebsunfall. Die FPÖ ist auf einem Siegeszug, der sie heute auch bei den Landtagswahlen in der Steiermark auf Platz 1 gebracht hat. Mit stolzen 35,4 Prozent, laut der ersten Hochrechnung. Und weit vor der konservativen ÖVP und den Sozialdemokraten (SPÖ), die keine gemeinsame Mehrheit mehr haben. Das gab es noch nie in der Steiermark.
Und doch ist es keine Zäsur mehr. Denn 2024 ist das Jahr, in dem die Siege der Freiheitlichen zur Normalität wurden – und die FPÖ sich vom ewigen Herausforderer in eine echte Volkspartei verwandelt hat.
Natürlich gibt es regionale Gründe dafür, warum SPÖ und ÖVP in der Steiermark so schlecht abgeschnitten haben. Ihre Kandidaten waren schwach, ohne Charisma, unfähig, so etwas wie Aufbruchstimmung zu verbreiten. Gift in einem Wahlkampf, der begleitet wurde von Hiobsbotschaften über den massiven Stellenabbau in der Autozulieferindustrie, die in der Steiermark so vielen Menschen sichere Jobs und gute Löhne sicherte und nun bedrohlich schwächelt.
Die Freiheitlichen sind der Fixpunkt
Aber das ist nur ein Seitenstrang in der Erzählung vom endgültigen Durchbruch der freiheitlichen Partei.
Die österreichische Politik: Sie ist mittlerweile ein heliozentrisches System, mit der FPÖ in der Mitte. Die Freiheitlichen sind der Fixpunkt, um den sich alles dreht. Alles geht von ihr aus, alle Augen sind auf sie gerichtet. Alle orientieren sich an ihr, reagieren auf sie und arbeiten sich an ihr ab.
Und während die anderen straucheln, während SPÖ und ÖVP ihre Kernwählerschaft verlieren und sich in internen Streitigkeiten schwächen, baut die FPÖ ihre Macht aus – und überwindet sukzessive alle Schwachpunkte, die sie früher noch gebremst haben.
Früher galten die Freiheitlichen als Partei der frustrierten Männer. Heute hat sich der blaue „Gender-Gap“ fast vollständig geschlossen, Frauen wählen mittlerweile genauso eifrig freiheitlich.
Die Klientel der FPÖ? Alle!
Sollte die FPÖ jemals eine ländliche Partei gewesen sein, hat sich auch das mittlerweile erledigt. Klar liegen ihre echten Hochburgen eher abseits der großen Städte. Es gibt Landstriche, da erreichen die Freiheitlichen 60 Prozent und mehr. Aber in einigen einwohnerstarken Wiener Bezirken hat die Partei bei den Nationalratswahlen auch 30 Prozent erreicht.
Und Akademikerinnen und Akademiker? Die wählen fast gleich häufig FPÖ wie Grün.
Wenn also die Frage ist, wer zur Klientel der FPÖ zählt, lautet die Antwort seit diesem Jahr: alle!
Was diese Menschen wiederum eint, ist die Überzeugung, dass sie vor einem Abgrund stehen, vor dem sie nur die FPÖ retten kann. Sie gehen davon aus, dass sich Österreich negativ entwickelt und die Zukunftsaussichten zappenduster sind.
Dass die FPÖ in ihrer Rhetorik unter Herbert Kickl radikaler wurde als je zuvor, dass sie sich an der illiberalen Demokratie von Viktor Orbán orientiert, dass sie Begriffe wie „Remigration“ von der rechtsextremen Identitären Bewegung übernimmt – all das schreckt ihre Wählerinnen und Wähler nicht ab.
Die FPÖ hat das Monopol auf die Unzufriedenen und jene Menschen, die Zukunftsängste plagen. Niemand sonst schafft es, sie anzusprechen, keiner kann ihnen ein glaubwürdiges Angebot machen.
EU, Parlament und Steiermark
Das ist die Melange, die dazu führt, dass die FPÖ an diesem Sonntag einen weiteren Schritt in Richtung Volkspartei gemacht hat. Die Freiheitlichen haben allein in diesem Jahr drei große Wahlen gewonnen: EU, Parlament und Steiermark. Warum sollte diese Serie im nächsten Jahr abreißen?
Und das wird dazu führen, dass es Ende 2025 keine Metapher, keine Zuspitzung mehr sein wird, wenn man die FPÖ eben als Volkspartei bezeichnet. Ihre Leute werden Gemeinderäte dominieren und in Ämtern von Dörfern und Städten sitzen, ihre Mitglieder werden in zentrale Funktionen gehievt werden und bei Betriebsratswahlen reüssieren. Die Freiheitlichen werden so zur Normalität werden, auf jeder Ebene des politischen und gesellschaftlichen Lebens in Österreich.
Das Ende der Brandmauer nach rechts ist das nicht – die ist in Österreich schon vor Jahrzehnten gefallen. In drei von neun Bundesländern regiert die FPÖ derzeit als Juniorpartner mit der ÖVP. In der Steiermark könnten sie nun mit Wahlsieger Mario Kunasek das erste Mal außerhalb Kärntens einen Landeshauptmann stellen.
Und auf Bundesebene?
Da wurde vor wenigen Wochen mit Walter Rosenkranz ein FPÖ-Mann zum Nationalratspräsidenten gewählt. Eine seiner ersten Amtshandlungen: Er lud Viktor Orbán ins Parlament ein. Bei der Begrüßung des ungarischen Ministerpräsidenten wurde kurzerhand die Europafahne verräumt, eher nicht aus Zufall.
Derweil verhandeln ÖVP, SPÖ und die liberalen Neos eine Dreierkoalition. Noch kommt diese österreichische Variante der Ampel nur langsam und zäh voran. Die Vorzeichen stehen schlecht, das Scheitern der deutschen Regierung hat nicht zur Euphorie beigetragen.
Aber: Alles, was noch zwischen Herbert Kickl und dem Kanzleramt steht, sind diese Verhandlungen.