Großmeister der Erinnerung: Anselm Kiefer zum 80.

Er ist kein Polterer wie Georg Baselitz und auch nicht omnipräsent wie Markus Lüpertz mit seinem Künstlerfürstengehabe. Trotzdem hat man Anselm Kiefer nie übersehen. Wie auch? Wer sich 1969 in Wehrmachtsuniform mit dem Hitler-Gruß inszenierte, brach das Tabu schlechthin. Nicht nur in Deutschland, wo die bleischwere NS-Vergangenheit allzu lange beschwiegen wurde. Und dann sind vor allem die Bilder größer und größer geworden.

Typisch für Kiefer: Uniformen und Blüten

Den Gipfel erreicht das jetzt zum 80. Geburtstag am 8. März in einer überbordenden Hommage, für die sich gleich zwei Museen in Amsterdam zusammengetan haben. Im Stedelijk – dort hat man Kiefers Arbeiten schon früh gesammelt – nimmt sein brandneues Monumentalwerk den Saal um das historische Treppenhaus ein. „Sag mir, wo die Blumen sind“ ist eine Installation von fast 25 Metern Breite, die die Besucher umfängt und vielleicht auch einlullt wie eine kostbare Millefleurs-Tapisserie. Klassische Kiefer-Requisiten wie Uniformen unter wuchtigen Farb- und Lehmschichten sowie getrocknete Blütenblätter sind aufgebracht. In den Höhen tummeln sich menschliche Wesen, und das alles auf Goldgrund.

Mehr kann man nicht auffahren. Himmel und Erde kommen hier zusammen, Leben und Tod, Wachsen und Vergehen. Drunter tut es Kiefer nicht und bemüht gleich noch die vorsokratische Philosophie: Heraklits „Panta Rhei“ („Alles fließt“) ist verbraten, das muss man allerdings wissen. Und das Personal basiert auf Aufnahmen aus Indien und Archivmaterial des französischen Neurologen und Hysterieforschers Jean-Martin Charcot.

Alles kommt in diesem Werk zusammen

Der Maler und Bildhauer spannt alles zusammen, nicht selten jettet man mit ihm um die halbe Welt. Also auch in „Sag mir, wo die Blumen sind“, dessen Verszeilen wie so oft in manierlicher Schülerschreibschrift auf den mächtigen Tafeln stehen. Pete Seegers berühmtes Antikriegslied, das durch Marlene Dietrich in den Sechzigern zum Hit wurde, gibt außerdem der auf zwei Häuser verteilten Ausstellung den Titel.

Während das Stedelijk Museum ikonische Werke der 80er Jahre zusammen mit jüngeren Gemälden und Installationen zeigt, stellt das nur einen Katzensprung entfernte Van Gogh Museum Kiefers besondere Verbindung zum Schaffen des Hausheiligen ins Zentrum.

Van Gogh hat Kiefer geprägt – das ist nicht zu übersehen

Das ist nicht ganz neu, doch in Holland fast zwingend. Kiefer erzählt gerne von seiner Reise auf den Spuren Van Goghs. Da war er 18 und konnte dank eines Stipendiums die Niederlande und Belgien, dann Paris und Arles besuchen. Für ihn sei das wie eine Initiation gewesen, sagt er, die damaligen Zeichnungen eindeutig von Vincent van Gogh beeinflusst. Das heißt, von der „rationalen Struktur und der selbstbewussten Konstruktion seiner Gemälde“. Und diese Prägung halte bis heute an, betont Kiefer.

Überdeutlich wird das vor den Sonnenblumenbildern oder der „Sternennacht“ von 2019. Die sattgelben Lichtspiralen, die Van Gogh 1889 aus betörend blauem Grund leuchten lässt, sind bei Kiefer in gerundete Strohformationen übersetzt. So zieht sich das weiter, knüpft auch an bisher unveröffentlichte Blätter aus den frühen 1960er Jahren an.

Das Malereistudium ist damals nur eine Frage der Zeit. Zwar schreibt sich Kiefer 1965 in Freiburg für Rechtswissenschaften und Romanistik ein, doch schon im Jahr darauf wechselt er an die Kunstakademie, und 1969, mitten in den Studentenunruhen, nach Karlsruhe zu Horst Antes. Widerspruch bestimmt das Klima, und dass der politische Kiefer für seinen Abschluss radikale Aktionen wählt, gehört irgendwie dazu. Doch anders als viele Kommilitonen brüllt er nicht für Ho Chi Minh und den nächsten Totalitarismus, sondern schockiert mit dem erwähnten Hitler-Gruß in verschiedenen europäischen Städten.

Kindheit zwischen Trümmern

Seine schärfsten Kritiker, und die gibt es vornehmlich in der Heimat, wollen darin bis heute eine zumindest ästhetische Faszination für den Faschismus erkennen. Dagegen stört sich Kiefer inzwischen eher am allzu Plakativen. Doch es bleibt die deutsche Geschichte, die ihn umtreibt. Dabei wird dieses Œuvre seit den frühen 1970er Jahren von einer Verbindung mit der entsprechenden (Täter)Landschaft und Architektur dominiert. Aussichten und Räume hegen das Unbehagen, Krieg und Untergang sind allgegenwärtig.

Von ungefähr kommt das nicht. Der 1945 in den letzten Kriegstagen in Donaueschingen geborene Kiefer wächst in einer zerstörten Umgebung auf und spielt in den Trümmern. Seine meist menschenleeren Bilder vermitteln kaum etwas anderes, wenngleich er den deutschen Katastrophenkanon bald mit Bezügen zur Philosophie und zum Naturwissenschaftlichen erweitert, zur Literatur und zur Mythologie, aber sich einer konkreten Lesart entzieht.

Statt Pinsel: Flammenwerfer und Kettensägen

Da ist vieles denkbar und noch mehr möglich. Gesprächiger gibt sich da schon das Material. Ob das nun die verdörrten Pflanzen sind, verkohltes Holz und Asche, in Metall getauchte Blumen, Lehm und immer wieder Stroh, das er berserkernd abfackelt und nicht selten mit flüssigem Blei malträtiert.

Kiefers Arbeiten sind Schlachtfelder. Flammenwerfer und Kettensägen zählen lange schon zur künstlerischen Grundausrüstung, ohne Hebebühnen und Krane geht nichts in diesem Kosmos. Das Gigantische will schließlich bewältigt sein. Nicht, um aufzutrumpfen und die Muskeln spielen zu lassen, so Kiefer, sondern als Referenz an die Unendlichkeit des Universums.

In Südfrankreich breitet sich der Kiefersche Kosmos aus

Und Platz gibt es ohne Ende, seit 1993 lebt der Künstler in Südfrankreich, wo eine ehemalige Seidenfabrik in Barjac in den Cervennen zum kolossalen Schaulager-Atelier umfunktioniert ist. Dort empfängt er Kollegen und Filmemacher – Wim Wenders hat ihm 2023 ein elegisches Porträt gewidmet -, mit Vorliebe Literaten wie Ferdinand von Schirach, der mit ihm plaudert und pafft, und zwischendurch auch Politiker, die ihm Orden verpassen.

Eine 35.000 Quadratmeter große Dependance gibt es in der Pariser Banlieue in Croissy-Beaubourg. Für einen adoptierten Nationalhelden ist die Nähe zur Hauptstadt gar nicht so unerheblich. Und tatsächlich: Staatspräsident Emmanuel Macron hat Kiefer vor fünf Jahren mit einer Vitrinen-Werkserie fürs Panthéon beauftragt. Von den unzähligen Auszeichnungen ganz zu schweigen.

Der böse Stoff der Zerstörung geht nicht aus

Was soll da noch kommen? Und in welchen verrückt überwältigenden Dimensionen? Wobei der böse Stoff der Zerstörung ja nicht ausgeht. Das hat Anselm Kiefer in Amsterdam unmissverständlich formuliert.

„Sag mir, wo die Blumen sind“ bis 9. Juni 2025 im Stedelijk und in Van Gogh Museum in Amsterdam, mehr auf www.stedelijk.nl und www.vangoghmuseum.nl

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