
Sie hört einfach nicht auf. Pausenlos redet sie auf ihn ein, während sie in der Küche zu tun hat. Sie fragt ihn, was er im Wohnzimmer so macht, ob er nicht vielleicht spazieren gehen möchte oder lieber eine Illustrierte lesen. Er will jedoch vor allem in Ruhe gelassen werden und „einfach nur hier sitzen“. Der Loriot-Sketch „Feierabend“ aus dem Jahr 1977 zeigt in drastischer Komik und voller glaubwürdiger Klischees auf, wie sich das Kommunikationsverhalten von Mann und Frau unterscheidet. Sie quasselt demnach ununterbrochen vor sich hin, er redet hingegen kaum und gibt allenfalls knappe Antworten.
Diese alltagsgesättigte Vermutung von den redseligen Frauen und den wortkargen Männern schien 2007 widerlegt worden zu sein. Damals berichtete eine Forschergruppe der University of Arizona im Fachmagazin Science, dass Männer und Frauen offenbar auf eine ähnliche Anzahl täglich gesprochener Wörter kommen – ungefähr 16 000. Die Unterschiede fielen nicht signifikant aus und es hatte den Anschein, als ob die unendliche Geschichte vom Geschnatter der Geschlechter umgeschrieben werden müsste. Eine größere, differenziertere Untersuchung derselben Arbeitsgruppe kommt aktuell jedoch zu einem anderen Ergebnis. Demnach reden Frauen sehr wohl mehr als Männer – zumindest in der Altersspanne zwischen 25 und 65 Jahren.
Im Fachmagazin Journal of Personality and Social Psychology belegen die Forscher, dass Frauen in dieser Lebensphase im Durchschnitt immerhin 3000 Wörter mehr benutzen als die Männer. Während der Jugend (zehn bis 17 Jahre), als junge Erwachsene (18 bis 24 Jahre) und auch im Rentenalter (65 Jahre und älter) ist hingegen nahezu ein verbaler Gleichstand der Geschlechter festzustellen.
„Es gibt über die Kulturen hinweg die Annahme, dass Frauen deutlich mehr reden als Männer“, sagt der Psychologe Colin Tidwell, der an der Studie beteiligt war. „Wir wollten schauen, ob sich diese Vermutung tatsächlich beweisen lässt.“ Anlass für die Untersuchung waren die Schwächen der Studie unter Leitung des Psychologen Matthias Mehl aus dem Jahr 2007, die seinerzeit viel Aufmerksamkeit erhalten hatte. In der damaligen Untersuchung wurden 500 Probanden mit tragbaren Sprachrekordern ausgestattet, die sich nach dem Zufallsprinzip immer wieder einschalteten. Diese Methode gilt als geeignet, um das Ausmaß der täglichen Konversation zu erfassen.
Jedes Jahr scheint der tägliche Redefluss um 300 Wörter zurückzugehen
Allerdings gab es Kritik an der Methodik, denn fast alle Teilnehmer waren im College-Alter und stammten aus Austin in Texas. In die neue Studie sind daher Daten von fast 2200 Probanden aus vier Ländern im Alter zwischen zehn und 94 Jahren eingeflossen. In dieser Auswertung zeigte sich, dass Frauen im jungen bis mittleren Erwachsenenalter von 25 bis 65 auf durchschnittlich 21 845 Wörter täglich kamen, Männer hingegen nur auf 18 570. Als Erklärung vermuten die Forscher, dass Frauen in dieser Altersgruppe öfter die Kinder großziehen und mehr mit dem Nachwuchs sprechen als Männer. Diese Unterschiede in der Kindererziehung seien eine mögliche Erklärung, sagt Mehl in einer Presseerklärung seiner Universität. „Wenn biologische Faktoren wie Hormone der Hauptgrund wären, hätte man das auch bei jüngeren Erwachsenen beobachten müssen.“
Die Extremrekorde hält allerdings jeweils ein Mann – da gibt es einerseits den schweigsamen Herren, der gerade mal auf 100 Wörter am Tag kommt; aber auch die Schwatzbacke, die mit 120 000 Wörtern am Tag wohl kaum eine Pause einlegt. „Wir Menschen unterscheiden uns individuell viel stärker untereinander als die beiden Geschlechter systematisch“, so Mehl. Offenbar – so ein weiterer Befund – reden die Menschen aber heutzutage insgesamt weniger als früher, was mit der Zunahme digitaler Medien erklärt werden könnte. Im Beobachtungszeitraum von 2005 bis 2018 ist die mittlere Anzahl der täglich gesprochenen Wörter über alle Altersgruppen und Geschlechter von 16 000 auf 13 000 zurückgegangen. Offenbar werden es jedes Jahr ungefähr 300 Wörter pro Tag weniger.
Bisher ist für Mehl und sein Team noch unklar, ob es ein ideales Maß an Gesprächigkeit und sozialem Umgang gibt, das als besonders gesund gelten kann. Wie viele Minuten Redezeit tun Körper und Geist gut? „Wir wissen, wie lange wir schlafen sollten und wie viel Sport wir machen sollten, aber wir haben keine Ahnung, wie viel wir reden sollten“, sagt Mehl. Sich mit anderen zu unterhalten sei aber auch ein Gesundheitsverhalten – mindestens so sehr wie körperliche Aktivität und entspannter Schlaf.
Einen weiteren Aspekt haben die Wissenschaftler ebenfalls noch nicht untersucht: Womöglich hängt der stärkere Redefluss der Frauen zwischen 25 und 65 ja mit der unterschiedlichen Lebenserwartung der Geschlechter zusammen; Männer leben nun mal nicht so lange wie Frauen. Demnach wäre die Erklärung ganz einfach: Sobald sich ein Paar gefunden hat, will sie ihm unbedingt alles erzählen, solange er noch da ist und ihr zuhören kann.