Einzelhandel: Die Kunden bleiben weg – Verbraucher meiden die Innenstädte zunehmend

Über die Hälfte der Einzelhändler meldet spürbar sinkende Besucherzahlen – selbst in Top-Lagen. Tausende Betriebe haben genau aus diesem Grund bereits schließen müssen. Trotzdem stehen die Innenstädte noch immer im Fokus der Menschen.

Deutschlands Einzelhändlern gehen die Kunden aus. Zwei Drittel der stationären Anbieter melden für die vergangenen zwei Jahre rückläufige Frequenzen an ihrem Standort, zeigt eine aktuelle Konjunkturbefragung des Handelsverbands Deutschland (HDE).

44 Prozent der Betriebe berichten von gesunkenen Besucherzahlen, weitere 19 Prozent sogar von deutlich gesunkenen Frequenzen. „Es ist eine andere Nachfragesituation als vor der Pandemie“, beschreibt HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Das Niveau von 2019 habe der stationäre Einzelhandel nicht wieder erreicht.

Die Hoffnung gibt Genth gleichwohl nicht auf. „Die Innenstädte stehen weiter im Fokus vieler Kunden“, sagt der Experte mit Verweis auf die sogenannte „Deutschlandstudie Innenstadt“ von CIMA Beratung+Management aus dem vergangenen Sommer.

Genth sieht dabei neben einer notwendigen Aufhellung der Konsumstimmung auch die Politik in der Pflicht. Sie müsse den passenden Rahmen setzen: „Nötig sind Sicherheit, Sauberkeit, Erreichbarkeit mit allen Verkehrsmitteln und der richtige Branchenmix aus Handel, Gastronomie und Erlebnisangeboten. Dann wird der Zuspruch auch wieder größer.“

Frequenzmangel gibt es dabei quer durch die Republik und in Städten jedweder Größenordnung, heißt es vom HDE – auch in den sogenannten 1A-Lagen, also in den Fußgängerzonen der Stadtzentren.

2024 mussten 5000 Betriebe schließen

Die Folge sind Geschäftsaufgaben und Leerstände: 2024 haben laut Verband rund 5000 Betriebe schließen müssen. Ähnliche Zahlen gab es zudem auch in den Vorjahren. „Die Filialdichte geht zurück“, berichtet Genth, „allen voran im Non-Food-Bereich“. Im ländlichen Raum gelte das zudem auch für die Nahversorgung bei Lebensmitteln.

Gänzlich unzufrieden ist die Branche indes nicht. „Diejenigen Kunden, die in die Innenstädte kommen, sind gezielt unterwegs und kaufen dann auch ein“, meldet der Handelsverband. Ausgegeben haben die Konsumenten dabei im Jahr 2024 gut 575 Milliarden Euro, dazu kommen weitere gut 88 Milliarden Euro im Onlinehandel. Unter dem Strich ergibt sich dabei ein leichter Zuwachs von preisbereinigt 0,9 Prozent. „Das war ein schwaches Jahr für den Einzelhandel – aber kein dramatisch katastrophal schlechtes“, bilanziert Genth.

Und 2025 dürfte ähnlich verlaufen. Prognostiziert wird vom HDE ein reales Umsatzplus in von Höhe von 0,5 Prozent. „Der Konsum und der Einzelhandel in Deutschland kommen auch im Jahr 2025 nicht richtig in Schwung“, sagt Genth.

Das bestätigt auch die Konjunkturumfrage seines Verbandes, an der sich knapp 700 Unternehmen beteiligt haben. Knapp die Hälfte davon rechnet mit Ergebnissen unter dem Vorjahresniveau, umgekehrt nur 22 Prozent mit besseren Geschäften. „Es ist schlicht zu viel Unsicherheit im System“, moniert Genth. „Unkalkulierbare Kriege und Konflikte, hohe Energiekosten und eine gesamtwirtschaftliche Stagnation sind ein toxischer Cocktail für den Konsum.“

Nachhaltige Erholung des Konsums nicht in Sicht

Dazu passen auch die Ergebnisse der jüngsten Konsumklimabefragung von GfK und dem Nürnberg Institut für Marktentscheidungen (NIM). Die Forscher berichten von trüben Aussichten. „Eine nachhaltige Erholung des Konsumklimas ist derzeit nicht in Sicht, zumal auch die Inflationsrate zuletzt wieder etwas zugelegt hat“, sagt NIM-Experte Rolf Bürkl mit Verweis auf steigende Preise für viele Lebensmittel und Dienstleistungen und einer Teuerungsrate im Dezember, die mit 2,6 Prozent so hoch war wie zuletzt vor fast einem Jahr.

„Zudem sorgen die anhaltenden Nachrichten zu Werksschließungen und Produktionsverlagerungen in der Bevölkerung für zunehmende Sorgen um den eigenen Job. Dies beeinträchtigt ebenfalls die Konsumstimmung.“

Die Handelsunternehmen halten sich dementsprechend zurück mit eigenen Investitionen. Zwar sei der Bedarf groß, sagt HDE-Chef Genth, etwa bei Themen wie Digitalisierung, Geschäftsausstattung, neuen Konzepten, Weiterbildung und Schulung von Personal, Energieeffizienz oder bei Marketing und Kundenbindung. „Es gibt auch keine Kreditklemme. Die Rahmenbedingungen stimmen aber nicht.“ Und die Nachfrageschwäche sei dabei nur ein Faktor für den Investitionsstau. Auch die politische Unsicherheit spiele eine große Rolle.

Der HDE fordert deswegen von einer neuen Bundesregierung mehr unternehmerische Freiheit bei zugleich weniger Bürokratie, Berichtspflichten, Steuern und Eingriffe in den Markt, etwa durch eine politische Festlegung des Mindestlohns trotz eigentlich bestehender Tarifautonomie. „Wir wollen keine Subventionen, aber Strukturunterstützung.“

Dazu gehört auch eine strengere Kontrolle von Online-Plattformen aus Drittstaaten, von denen sich nach Ansicht des HDE nicht alle an Regeln und Gesetze in Deutschland und Europa halten und teils Produkte verkaufen, die nicht verkehrsfähig sind und damit gefährlich für Verbraucher. Für 2025 rechnet der HDE mit einer Ausweitung des Geschäftsvolumens dieser Anbieter um rund eine Milliarde auf dann schon 9,5 Milliarden Euro.

Vergleichsweise gut läuft es aber auch für den übrigen Onlinehandel, wie die aktuellen HDE-Zahlen zeigen. Jedenfalls liegen die Wachstumsraten im E-Commerce nach zuvor zwei schwachen Jahren über den allgemeinen Marktzahlen, gleiches gilt für die Erwartungen 2025. „Mittlerweile wird im Onlinehandel auch höherwertig eingekauft“, berichtet Experte Genth. „Zudem sehen wir neue Käufergruppen, weil die Gesellschaft insgesamt viel digitaler geworden ist.“

Trotzdem spielt das Thema E-Commerce für viele Händler nach wie vor keine Rolle. Laut der aktuellen HDE-Mitgliederbefragung verkaufen 60 Prozent der Unternehmen nicht über das Internet. Einen eigenen Webshop hat etwa jeder dritte Anbieter, und knapp jeder fünfte nutzt Plattformen und Online-Marktplätze wie Amazon, Ebay oder Otto. „Für einige macht es keinen Sinn“, erklärt Genth. Er sieht daher keine generelle Verweigerungshaltung in der Branche.

„Jeder muss für sich prüfen, ob das Geschäftsmodell passt. Denn wer E-Commerce betreibt, braucht Logistik, Zahlungsabwicklung, Liefersicherheit und ein Retourenmanagement.“ Und wer die Kosten dafür nicht im Griff hat, könne schnell in die Verlustzone rutschen. Diese Erfahrung hätten so einige Händler gemacht, die in der Corona-Zeit sehr schnell umgestellt haben.

Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie über Recycling und Mittelstandsunternehmen.