
Vor etwa zwei Jahren klingelte bei einer Reihe von Modehäusern rund um die Welt das Telefon. Am anderen Ende der Leitung: Mitarbeiter des Louvre. Ihre Frage: Ob man einige Entwürfe ausleihen und neben einem Porzellanset aus dem 18. Jahrhundert, einer lackierten Kommode im Chinoiserie-Stil oder einer mittelalterlichen Rüstung zeigen könnte?
Die eigene Mode im Louvre, dem mit rund neun Millionen Besuchern pro Jahr meistbesuchten Museum der Welt, Seite an Seite mit Objekten aus dessen Kunstgewerbesammlung – die Idee dürfte viele Designerinnen und Designer überrascht haben.
Nicht nur sie: Zwar war das 1793 eröffnete Museum mehrfach Schauplatz von Modenschauen; 2016 etwa zeigte Dior seine Sommerkollektion im Cour Carrée. Ein Jahr später präsentierte Louis Vuitton die Winterkollektion in der Skulpturen-Galerie, im März des vergangenen Jahres zeigte die Marke abermals im Louvre. Essenzieller Teil einer Ausstellung war Mode aber hier noch nie. Bis jetzt, da die Ausstellung „Louvre Couture. Objets d’art, objets de mode“ angelaufen ist. Objekte aus Silber, Porzellan, Glas, Juwelen, von Byzanz bis ins 18. Jahrhundert treten in einen Dialog mit Modeentwürfen, die mal offensichtlich, mal subtil von den Objekten und ihren Epochen inspiriert wurden.
Karl Lagerfeld ließ sich von Ausstellungsstücken inspirieren
„Karl Lagerfeld kannte die Kunstgewerbesammlung des Louvre sehr gut. Bemerkenswerte Werke daraus, insbesondere aus dem Rokoko und von den Marchands-Merciers, inspirierten ihn zu seiner letzten Haute-Couture-Kollektion für das Haus Chanel“, sagt Olivier Gabet, Direktor der Abteilung für Kunstobjekte des Louvre, der die Ausstellung 2022 initiierte. Ein weiteres Beispiel sei Maria Grazia Chiuri, deren Dior-Sommerkollektion 2023 von Caterina de’ Medici und der Renaissance inspiriert war. Aber: „Wir wollen nicht nur Objekte und Designs nebeneinanderstellen, um zu zeigen, dass dieser Wandteppich die Inspiration für jenes Kleid war – das wäre nach drei Beispielen langweilig. Es geht um den Prozess hinter einem Entwurf, darum, wie ein Wandteppich oder ein Silberobjekt im Kopf des Designers etwas Neues initiierte“, sagt Gabet: „Es ist wie eine Alchemie aus Inspiration, Reflexion und Design.“
Bevor er zum Louvre kam, leitete Gabet neun Jahre lang das Musée des Arts Décoratifs direkt neben dem Louvre, das eine umfangreiche Modesammlung beherbergt. Dort kuratierte er die Christian-Dior-Ausstellung 2017, die Thierry-Mugler-Ausstellung 2021 und die Elsa-Schiaparelli-Ausstellung 2022. Mit Mode im Museum kennt er sich also aus – und schöpft dank dieser Erfahrung und seiner guten Kontakte in die Modebranche nun aus dem Vollen: Insgesamt 100 Accessoires und Looks aus Archiven und Heritage-Abteilungen von 45 Modehäusern und Marken sind nun im Louvre zu sehen. Darunter Leihgaben der Pierre-Bergé-Yves-Saint-Laurent-Stiftung und der Azzedine-Alaïa-Stiftung sowie Designs von John Galliano, Alexander McQueen, Jonathan Anderson, Maria Grazia Chiuri, Karl Lagerfeld und Nicolas Ghesquière, von Simon Porte Jacquemus und Erdem Moralioğlu, von Versace, Fendi, Dolce & Gabbana, Prada und Chanel. „Wir wollen den Zusammenhang zwischen Mode sowie Mode- und Kunstgeschichte zeigen“, sagt Gabet: „Es ist eine Art Symphonie aus Objekten, Kunst und Mode. Der Louvre als monumentales Fashion-Moodboard.“
Accessoires werden unter anderem in Vitrinen gezeigt, aber da der Louvre nicht auf ausladende Roben und Kleider als Exponate spezialisiert ist, verfügt das Museum weder über ein Mode-Team noch über einen Fundus aus Kleiderpuppen. Deshalb, so Gabet, wurden Nathalie Crinière, eine bekannte Ausstellungsdesignerin, die etwa 2010 die Retrospektive über Yves Saint Laurent im Petit Palais und 2022 die Ausstellung „Shocking! The Surreal World of Elsa Schiaparelli“ im Musée des Arts Décoratifs entwarf, und einige Restauratoren, Konservatoren und assistierende Kuratoren mit der Entwicklung und Installation der Ausstellung beauftragt. Zugleich seien sämtliche Teams des Louvre mit Freude in diese für sie völlig neue Welt eingetaucht.
Warum Mode? Warum jetzt?
Zwei Jahre lang dauerten die Vorbereitungen. Ein üblicher Zeitraum für ein Museum wie den Louvre, sagt Gabet, aber ungewöhnlich für Modehäuser, die in viel schnelleren Rhythmen arbeiten, pro Jahr zwei Prêt-à-porter- und Haute-Couture-Kollektionen herausbringen, dazu noch Pre-Fall- und Cruise-Kollektionen. Die Zusammenarbeit lief dennoch sehr gut, sagt Gabet. Auch jenseits des Zeitmanagements: „Normalerweise arbeitet jedes Modehaus mit eigenen Kleiderpuppen. Für unsere Ausstellung aber waren die Häuser bereit, ihre Designs an denselben Puppen wie die der anderen ausgestellt zu sehen.“ Diese Puppen standen dann für die finalen Vorbereitungen einige Wochen lang versammelt in einem improvisierten Studio im Louvre – „das wahrscheinlich schickste Atelier der Welt“, sagt Gabet und klingt amüsiert: „Wir arbeiteten in einer wunderschönen Renaissance-Galerie mit opulenten Wandteppichen.“
Mode lockt die Massen schon seit einer Weile in Museen. Auch in solche, die nicht nur textilen Exponaten gewidmet sind. 2011 sorgte „Savage Beauty“, eine Retrospektive über das Werk Alexander McQueens, erst im New Yorker Metropolitan Museum of Modern Art und später im Londoner Victoria & Albert Museum für Begeisterung; über 1,5 Millionen Menschen sahen die Ausstellung. 2015 strömten Besucher in die Karl-Lagerfeld-Ausstellung der Bundeskunsthalle in Bonn, 2019 verkaufte das Londoner Victoria & Albert Museum bereits vor der Eröffnung 37.000 Tickets für die Ausstellung „Christian Dior: Designer of Dreams“. 2024 zeigte die Münchner Kunsthalle eine Retrospektive über Viktor & Rolf, Luxuslabels wie Armani, Gucci und Yves Saint Laurent führen eigene Museen.

Nun widmet sich der Louvre auf ganz eigene Weise der Mode. „Ein Museum wie unseres hat natürlich einen präskriptiven künstlerischen Wert. Dass Mode jetzt im Louvre ist, sehen viele als Wendepunkt“, sagt Gabet. Er sei überzeugt, dass Mode es verdiene, aus einer anderen Perspektive gezeigt zu werden, schließlich gehörten Modedesigner zu den produktivsten und einflussreichsten Kreativen unserer Zeit – die oft über immenses kulturelles und künstlerisches Wissen verfügen: „John Galliano und vor seinem Tod Alexander McQueen haben in ihrer Arbeit oft wie Kuratoren agiert, die ihr Wissen und ihre Kreativität mit Ästhetiken wie Popkultur und Grunge verbanden.“ Mitarbeiter der Heritage-Abteilungen und Archive der Modehäuser sehe er als Kollegen an.
Designer oder Künstler – ist diese Frage nicht irrelevant?
Wann immer die Mode ins Museum einzieht, wird die Frage laut, ob sie Kunst sei. Marc Jacobs und Miuccia Prada zweifelten dies einst an. Auch Karl Lagerfeld bezeichnete sich nicht als Künstler; er sah Mode eher als Form angewandter Kunst. Ein sehr ehrlicher Ansatz, findet Olivier Gabet. Andererseits habe Pierre Bergé sein Leben lang daran gearbeitet, dass sein Partner Yves Saint Laurent als Künstler gewürdigt werde. „Die Frage nach der Hierarchie der Kunst und nach dem Platz der Mode darin beschäftigt uns in Frankreich und besonders in Paris immer wieder, schließlich entstand hier im 19. Jahrhundert die Haute Couture“, sagt Gabet.

Auch im Katalog zur Ausstellung widme er sich dieser Frage, die er selbst als zunehmend bedeutungslos empfindet: „Jemand wie Jonathan Anderson ist in vielerlei Hinsicht ein so kreativer Kopf, dass es aus meiner Sicht irrelevant ist, ob man ihn nun als Designer oder Künstler einstuft.“ Nicht umsonst würden viele Designer heute offiziell als „künstlerische Leiter“ einer Marke bezeichnet: „Das bedeutet doch, dass es um eine Vision von Kunst im Bereich der Mode geht.“
Diese Ausstellung ist auch für die Einheimischen
Und welche Vision hat er mit Blick auf das Publikum und die Wirkung der Ausstellung? „Wir möchten die Kraft der Mode nutzen, um neue Aufmerksamkeit auf unsere Sammlung zu lenken und zu zeigen, wie modern sie ist.“ Dass 18-jährige Besucher des Louvre heute nicht direkt zu den Kunstgewerbe-Objekten aus dem 18. Jahrhundert eilen, bedaure er zwar („sie sind wunderbar!“), verstehe es aber auch. Umso wichtiger sei es, das Interesse zu wecken. „Unser Appell lautet: Schaut euch das an, auch Jonathan Anderson, Maria Grazia Chiuri, Demna, die Trendsetter und Stilikonen dieser Welt lassen sich hier inspirieren.“
So bekommen die Objekte der Vergangenheit eine aktuelle Energie und Dynamik. Die entsteht auch durch die Mischung aus großen Namen wie Chanel und Dior mit jungen Marken wie Jacquemus, erst 2009 gegründet, aber schon jetzt stilprägend. Ein breiteres Publikum anziehen, das ist nicht nur mit Blick auf die Generationen gemeint: „Manchmal scheinen wir ein wenig zu vergessen, dass sich der Louvre in einer Stadt voller wunderbarer, interessierter Menschen befindet. Wir wollen auch die Neugier der Pariser auf die Kunstgewerbesammlung wieder neu wecken und sie ihnen aus einer neuen Perspektive zeigen.“