Angriff auf polnischen Historiker Jan Malicki

Ein mutmaßlicher Anschlag auf einen Osteuropaexperten hat Polens Öffentlichkeit aufgeschreckt. Jetzt hat der Betroffene sich in einem Interview erstmals selbst zu Wort gemeldet, und der Vorfall zieht weitere Kreise. Der 66 Jahre alte Jan Malicki war am 19. Dezember nach einer abendlichen Sitzung des Instituts für Osteuropa-Studien (SEW) der Warschauer Universität, dessen Gründungsdirektor er seit 1990 ist, attackiert worden. Nahe der mitten in Warschau gelegenen Hochschule sprachen ihn zwei offenbar in Uniformen gekleidete Männer an und fragten, ob er Malicki sei.

Als er bejahte, bekam er zwei Schläge auf den Kopf und stürzte bewusstlos zu Boden. Portemonnaie und Mobiltelefon interessierten die Angreifer offenbar nicht. Später von Passanten entdeckt, wurde Malicki mit einem Schädelbruch und Gehirnerschütterung ins Krankenhaus eingeliefert. Die Polizei ermittelt. Der Täter, der ihn gefragt habe, sei der Aussprache nach kein Pole gewesen, sagt der Historiker jetzt.

Ist Warschau jetzt noch sicher?

Jan Malicki ist in Warschau eine Institution. Seit 1981 hatte er sich der vom Regime unabhängigen Erforschung der östlichen Nachbarländer Polens gewidmet, wofür er eine Haftstrafe absitzen musste. Nach dem Ende der Diktatur gründete er mit dem SEW eine Einrichtung, die zahllosen Menschen vor allem aus Belarus, der Ukraine und anfangs auch Russland Studienaufenthalte in Warschau ermöglichte. Dafür erhielt Malicki in mehreren Ländern Ehrendoktortitel und weitere Auszeichnungen.

Erst kürzlich war er aus dem ostukrainischen Charkiw zurückgekehrt. „Ich hatte nicht gedacht, dass es auch in Warschau eine Art Front gibt“, quittierte er jetzt die Attacke. Seit dem „unklaren Fall“ von 2004, als der Historiker Marek Karp an den Folgen eines nie ganz aufgeklärten Verkehrsunfalls im Osten Polens starb, habe es etwas Ähnliches nicht gegeben. Karp, dessen Werdegang dem Malickis ähnelt, hatte 1990 das staatliche Warschauer Zentrum für Oststudien (OSW) gegründet.

Eine Attacke gegen den polnischen Staat

Der angegriffene Historiker glaubt, der Angriff solle ihn, das SEW und wohl auch die Emigranten aus Polens Nachbarländern einschüchtern. „Ich habe keine Angst, also muss ich weitermachen“, sagt Malicki und erinnert daran, dass ihm früher mehrfach die Autoreifen durchstochen worden seien. Er und auch sein Institut würden jetzt bestimmte Sicherheitsvorkehrungen treffen.

Seine Kollegen schlagen Alarm: Ob Warschau, eine Stadt mit relativ niedriger Kriminalitätsrate, noch sicher sei, fragte einer von ihnen in den sozialen Medien. Der Chefredakteur der Zeitung „Rzeczpospolita“, Michał Szułdrzyński, schrieb am Mittwoch, die Attacke auf den Austausch mit den Nachbarländern im Zeichen von Europäisierung und Demokratisierung sei „ein symbolischer Angriff auf den polnischen Staat und auf seine Ostpolitik“.

Polens Regierungschef Donald Tusk solle seine bisherige parteipolitische Instrumentalisierung des brisanten Themas Russland beenden und stattdessen die Aufklärung des Warschauer Vorfalls zur Chefsache machen. Das verlangten „die Sicherheit der Bürger und die Staatsräson“. Die „Gazeta Wyborcza“ hat bei Polens Inlandsgeheimdienst angefragt, ob es Hinweise auf eine Tatbeteiligung der Organe der Staaten Russlands und Belarus gebe. Sie wartet auf Antwort.