Wollte Lamia Messari-Becker ein Flugzeug aufhalten lassen?

Die entlassene hessische Wirtschafts-Staatssekretärin Lamia Messari-Becker hatte die Möglichkeit, von sich aus zu gehen. Das ergibt sich aus Akten, die dem Verwaltungsgericht Wiesbaden vorlagen, als es im Dezember auf den Antrag der Einundfünfzigjährigen hin deren Abberufung zu beurteilen hatte.

Ein Staatssekretär könne als politischer Beamter bereits in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden, wenn aus der Sicht des zuständigen Ministers und des Kabinetts das Vertrauen nicht mehr vorhanden sei, heißt es in der 60 Seiten umfassenden Eilentscheidung, die der F.A.Z. vorliegt.

Danach war die Vorgehensweise der Landesregierung „offensichtlich rechtmäßig“. Wie der Sprecher des Gerichts der F.A.Z. weiter mitteilte, ließ Messari-Becker die Frist, in der sie gegen die Entscheidung hätte Beschwerde einlegen können, verstreichen.

„Nicht hinnehmbares Fehlverhalten“

Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori (SPD) hatte für die Abberufung in einer Pressemitteilung vom 22. Juli ein „nicht hinnehmbares Fehlverhalten“ ins Feld geführt. Dahinter verbarg sich der Vorwurf, sie habe ihre Position in der Landesregierung für den Versuch missbraucht, ihrer Tochter in deren Darmstädter Schule eine bessere Abiturnote zu verschaffen. Messari-Becker weist das zurück.

Lamia Messari-Becker
Lamia Messari-Beckerdpa

Der Landtag beschloss mit den Stimmen der Opposition die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Ein wichtiger Teil der ihm inzwischen zur Verfügung gestellten Akten lag in Auszügen auch dem Verwaltungsgericht vor. Darum lässt sich aus dem ungewöhnlich umfassenden Beschluss schließen, welche Themen das parlamentarische Gremium besonders beschäftigen werden.

Es nimmt seine öffentlichen Sitzungen Ende Januar mit der Befragung eines Juristen zu den beamtenrechtlichen Aspekten der Abberufung auf. Messari-Becker wirft Mansoori vor, mit dem in der Pressemitteilung erhobenen Vorwurf Rufmord begangen und seine Fürsorgepflicht verletzt zu haben.

Mit „Spionage-Methoden“ hinterhergeschnüffelt

Wenn der Ausschuss darüber diskutiert, dürfte eine an die „Liebe Lamia“ gerichtete E-Mail des Ministers vom 15. Juli 2024 eine Rolle spielen. Darin kommt er auf ein vier Tage zuvor geführtes Telefonat zurück. „Du hattest deinerseits um Bedenkzeit gebeten, ob du nicht selbst um Deine Entlassung bitten möchtest“, schreibt Mansoori und bittet um eine Entscheidung. In dem Antwortschreiben heißt es: „Anlass für eine Demission ist meiner Ansicht nach nicht gegeben.“

Der Ausschuss wird sich auch mit dem Vorwurf der Grünen befassen, Mansooris Büro habe der Staatssekretärin in der Schule mit „Spionage-Methoden“ hinterhergeschnüffelt. In den Verfahrensakten findet sich dazu ein Schreiben, in dem der Minister unter anderem über ein Gespräch vom 9. Juli berichtet. Danach ist er mit seiner Staatssekretärin so verblieben, dass er eine weitere Sachverhaltsaufklärung veranlassen werde, weil es sich um einen schwerwiegenden Vorwurf handele. Messari-Becker hingegen beklagt, dass hinter ihrem Rücken gegen sie ermittelt worden sei.

Um dem Vorwurf, die Staatssekretärin habe ihre berufliche Position in der Schule ihrer Tochter instrumentalisiert, nachträglich eine höhere Glaubwürdigkeit zu verleihen, trugen die Anwälte des Wirtschaftsministeriums dem Gericht noch weitere aus ihrer Sicht ähnliche Fälle vor, in denen sie ein „gemeinsames Muster“ erkennen.

Flugzeug sollte warten

Die Kammer betont, dass sie für die Entscheidung unerheblich seien, weil es für die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand nicht eines objektiv pflichtwidrigen Verhaltens des Beamten bedürfe. Trotzdem werden die Vorwürfe mitsamt den Entgegnungen in der Entscheidung ausführlich referiert.

Eine im Vorzimmer der Staatssekretärin beschäftigte Mitarbeiterin berichtet von einem Telefonat, in dem ihre Chefin mitgeteilt habe, dass sie im Stau stehe und es wohl nicht mehr rechtzeitig zum Flughafen schaffe. Der Inhalt des Gesprächs geht aus einer von der Sekretärin verfassten E-Mail hervor.

Danach sollte sie dafür sorgen, dass das Flugzeug warte. Die Sekretärin war nach eigenem Bekunden angesichts des Auftrags fassungslos und sagte der Staatssekretärin, dass sie nicht wisse, was sie tun solle und so etwas nie zuvor gemacht habe. Die Anruferin antwortete, sie solle „Herrn Maßberg“ anrufen, den Leiter der im Ministerium angesiedelten und Messari-Becker zugeordneten obersten Luftfahrt- und Sicherheitsbehörde.

Anschließend rief sie bei der Hotline der Lufthansa an. Für die Frage, ob das Flugzeug warten könne, entschuldigte sie sich vorab. Als sie Messari-Becker mitteilte, dass die Antwort nein laute, erkundigte diese sich nach dem Namen der Lufthansa-Mitarbeiterin und meinte, dass das Vorzimmer von Frau Staatssekretärin nicht so eine Antwort bekommen dürfe. Schließlich erledigte sich die Sache, weil auch das Flugzeug Verspätung hatte.

Messari-Becker bestreitet, unter Hinweis auf ihre Position versucht zu haben, den Abflug hinauszuschieben. Angesichts ihrer Verspätung habe sie lediglich versucht, den Status des Fluges zu erfahren. Darum habe sie die Vorzimmerkraft gebeten, die zuständige Abteilung des Ministeriums zu fragen, um einzuschätzen, ob der Flug noch zu schaffen sein.

Sie hatte es eilig

Andernfalls hätte sie umbuchen können. Warum die Sekretärin die Fachabteilung sowie die Lufthansa-Hotline gefragt habe, ob man den Flug „anhalten“ könne, sei für sie nicht nachvollziehbar, so Messari-Becker. Möglicherweise sei die Vorzimmerkraft mit der Frage nach dem Flugstatus überfordert gewesen.

Die Mitarbeiterin berichtet außerdem von einem von ihr arrangierten Zahnarzttermin ihrer Chefin. Weil sie habe warten müssen, habe sie im Büro angerufen und darum gebeten der Zahnarzthelferin zu sagen, dass „Frau Staatssekretärin“ im Wartezimmer sitze und keine Zeit habe.

Messari-Becker hingegen berichtet, in der Praxis sei anscheinend nicht bekannt gewesen, wie eilig sie es habe. Daraufhin habe sie die Vorzimmerkraft angerufen, um sich zu vergewissern, dass diese tatsächlich die Eilbedürftigkeit angemeldet habe. Außerdem habe sie darum gebeten, den Folgetermin gegebenenfalls absagen zu lassen.

Messari-Becker weist auch diese Darstellung zurück

Im Frühjahr 2024 soll Messari-Becker die damalige Amtsleiterin des Darmstädter Bauamts aufgefordert haben, ihrem Nachbarn die beantragte Aufstockung seines Wohnhauses nicht zu genehmigen, damit dieser nicht ihren Garten einsehen könne. Das geht aus einer E-Mail der Bauamtsleiterin hervor.

Dass sie dabei mehrmals auf ihre Stellung als Staatssekretärin hingewiesen habe, sei besonders bedeutsam, erklären Mansooris Juristen. Denn das Ministerium sei die für Darmstadt zuständige oberste Bauaufsichtsbehörde und die Staatssekretärin auch noch für die entsprechende Abteilung zuständig gewesen.

Messari-Becker weist auch diese Darstellung zurück. Die Genehmigung des Bauvorhabens sei bereits im Jahr 2023 bekannt gewesen. Sie habe dagegen keinen Widerspruch eingelegt, sondern ohne den Hinweis auf ihre berufliche Position nur den zulässigen Antrag gestellt, die Einhaltung der Baugenehmigung zu prüfen.