
Die Vorarbeiten für die Bergsteiger-Saison am Mount Everest (8848 Meter) laufen. Laut ersten Informationen aus dem für das Expeditionsbergsteigen zuständigen Tourismusministerium in Kathmandu wollen in diesem Frühjahr mindestens 420 Frauen und Männer von Nepal aus ihr Glück am höchsten Berg der Welt versuchen. Sie werden von noch einmal so vielen meist einheimischen Bergführern und Helfern begleitet werden. Um ihnen den Aufstieg überhaupt erst möglich zu machen, haben die sogenannten Icefall-Doctors, eine Gruppe einheimischer Bergsteiger, schon Anfang März begonnen, den Weg durch den berüchtigten Khumbu-Eisbruch mit Leitern und Seilen zu präparieren.
Zum ersten Mal setzten die Icefall Doctors dabei auf die Unterstützung durch Drohnen. Schon im vergangenen Jahr waren Drohnen testweise genutzt worden, um Müll vom Berg zu bringen. Jetzt beschleunigen sie den Transport von Leitern und Seilen. Nach einem Bericht der Zeitung „Himalayan Times“ dauert der Drohnenflug vom Basislager (5375 Meter) zum Lager I (6100 Meter) oberhalb des Eisbruchs je nach Windverhältnissen gerade einmal 15 Minuten. Ein Mensch ist dafür zu Fuß mehrere Stunden unterwegs – und setzt sich den Eisschlaggefahren im Gletscherbruch aus.
Einen weiteren Hinweis für mehr Sicherheit bei kommerziellen Achttausender-Expeditionen könnte Michael Fries gegeben haben, der Chefarzt Anästhesie und operative Intensivmedizin am St.-Vincenz-Krankenhaus Limburg. Mit Höhenbergsteigen hat Fries selbst nur etwa so viel Erfahrung wie ein Fahrschüler mit der richtigen Handhabung eines Formel-1-Rennwagens. Der Mediziner stand vor vielen Jahren auf drei Viertausendern in der Schweiz. „Da hatte ich ordentlich Kopfschmerzen und Luftnot“, sagt er. Dafür weiß Fries aber aus seiner wissenschaftlichen Arbeit, dass mit dem Edelgas Xenon, das eine zellprotektive Wirkung hat und den arteriellen Lungendruck senkt, die Risiken für die berüchtigte Höhenkrankheit deutlich reduziert werden können.
Höhenkrankheit ist dritthäufigste Todesursache
Dass Xenon nicht nur als Anästhetikum wirkt, wurde spätestens bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014 einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Dort verschaffte Russland seinen Sportlern mit Xenon einen Vorteil, wie spätere Recherchen ans Licht brachten. Und in Russland wurde Xenon auch beim Höhenbergsteigen eingesetzt, seine Wirkung auf den Organismus von Höhenbergsteigern wurde in einer Studie untersucht.
Nach der Xenon-Applikation schüttet die Nebennierenrinde das Hormon Erythropoetin aus, als Epo bekannt. Ein erhöhter Epo-Wert ist auch Teil des normalen Akklimatisationsprozesses. Epo veranlasst das Knochenmark, mehr rote Blutkörperchen zu produzieren, die den Sauerstoff mithilfe von Hämoglobin durch den Körper transportieren. In der Höhe ist alles, was die Sauerstofftransportkapazität erhöht, von Vorteil.
Nach Lawinen und Abstürzen ist die Höhenkrankheit die dritthäufigste Todesursache am Mount Everest, wie die Himalaja-Chronistin Billi Bierling aus der Statistik der Himalayan Database weiß. „Ich denke, dass mit einer besseren Akklimatisierung und mehr Erfahrung am Berg einiges erreicht werden könnte“, sagt sie. 2024 seien acht Menschen am Mount Everest gestorben. Das entspreche dem Durchschnitt. „2023 mussten sogar 18 Menschen ihr Leben lassen, wovon acht an der Höhenkrankheit gestorben sind. Vielleicht hätte man manchen Todesfall mit mehr Erfahrung vermeiden können.“
Geld haben die Kunden genug
Der Expeditionsveranstalter Lukas Furtenbach will nun mit Xenon entscheidende Fortschritte erzielen. Er will das Edelgas aber nicht nur nutzen, um die Sicherheit seiner Expeditionsteilnehmer zu verbessern. Er will damit auch die Expeditionslänge verkürzen. Der Kostenpunkt: 150.000 Euro. Furtenbach weiß: „Der einzige limitierende Faktor am Everest ist die Zeit.“ Soll heißen: Geld haben seine Kunden genug. Furtenbach, der aus Innsbruck stammt, hat dem Höhenbergsteigen seit seinem Einstieg in das Expeditionsgeschäft 2014 schon mehrere Impulse gegeben.
Mit einem ausgeklügelten Akklimatisationsplan bereitet er etwa Teilnehmer seiner kommerziellen Expeditionen in Hypoxiezelten auf ihren Aufstieg auf die höchsten Gipfel der Welt vor. Damit sind die Teilnehmer nurmehr drei Wochen unterwegs. Normale Expeditionen dauern sechs bis acht Wochen. Zusätzlich lässt Furtenbach die Sauerstoffsättigung im Blut der Teilnehmer mittels eines speziellen Handschuhs permanent überwachen, um Probleme bei der Höhenanpassung rechtzeitig zu erkennen.
Nicht alle begrüßen diese Entwicklungen. Puristen sehen darin eine Verfälschung des Bergsteigens. Furtenbachs namhaftester Kritiker ist kein Geringerer als Reinhold Messner. Auch Monica Piris rät mit dem Verweis auf die Studienlage von Xenon ab. Die Ärztin aus Spanien hat elf Saisons im Basislager des Mount Everest verbracht und weitere vier Saisons an anderen Achttausendern.
„Wer Xenon inhaliert hatte, entwickelte keine Höhenkrankheit“
Martin Burtscher, bis zu seiner Emeritierung Professor für Sportwissenschaft an der Uni Innsbruck, erklärt, dass aufgrund der Studienlage mögliche Effekte von Xenon für die Höhenakklimatisation derzeit nicht objektiv beurteilt werden könnten. „Die Beobachtung, dass eine einzige Xenoninhalationssitzung über Tage anhaltende Wirkung guter Höhenverträglichkeit zeigt, ist aber zumindest als interessant einzustufen.“ Man sollte aber derzeit weder Wirkung noch Nebenwirkung von Xenon überschätzen, erklärt Burtscher, der selbst Mediziner ist.
Und dann ist da noch die Doping-Frage: Xenon steht seit Sotschi auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur. Dort finden sich aber auch Wirkstoffe wie Acetazolamid, das Höhenbergsteiger unter dem Namen Diamox prophylaktisch gegen die Höhenkrankheit einnehmen, genauso wie Dexamethason. Beim Höhenbergsteigen gibt es keine Dopingkontrollen. Es bleibt jedem selbst überlassen, ob er etwas einnimmt und was.
Lukas Furtenbach hat als eine Art Versuchskaninchen Xenon mehrmals selbst ausprobiert, zuletzt im Jahr 2024, wenige Wochen vor seinem Aufstieg auf den Mount Everest. Zudem haben in den vergangenen Jahren Teilnehmer und Bergführer, die seine Expeditionen begleiteten, Xenon inhaliert. Das Ergebnis: „Wer Xenon inhaliert hatte, entwickelte keine Höhenkrankheit“, schildert Furtenbach seine Erfahrung.
Mit dem Hubschrauber ins Basislager
In dieser Vormonsun-Saison soll nun erstmals eine kommerzielle Expedition damit am höchsten Berg der Welt unterwegs sein. Die vier Briten akklimatisieren sich derzeit in Hypoxiezelten. Rund zwei Wochen vor der Abreise nach Nepal werden sie Xenon appliziert bekommen.
Das Ziel: in sieben Tagen von London nach Kathmandu, mit dem Hubschrauber ins Basislager, durch Khumbu-Eisbruch und Western Cwm und über Lhotse-Flanke und Südsattel auf den Gipfel des Mount Everest, dort ein Selfie machen und wieder zurück nach London. Zum Vergleich: Reinhold Messner und Peter Habeler brauchten 1978 bei ihrem ersten Everest-Aufstieg ohne Flaschensauerstoff allein sieben Tage, um vom Basislager aus wieder zurück ins Basislager zu kommen. Insgesamt dauerte die Expedition damals 99 Tage, wie der Expeditionsleiter Wolfgang Nairz erzählt.
Die erste Hürde für die Xenon-Expedition ist nun schon genommen. Anfang des Jahres waren die Hubschrauberflüge in die Everest-Region eigentlich verboten worden. Doch dieses Verbot wurde inzwischen wieder aufgehoben.