
Die Eltern von Roqia M. sitzen hintereinander auf der Anklagebank. Er richtet den Blick nach unten, stützt seinen Kopf mit der Hand ab. Sie schaut mit verzerrtem Gesicht und aufgerissenen Augen zwischen Vorsitzendem Richter und Staatsanwalt hin und her. Dieser kommentiert ihren Blick, sie habe sich während der Verhandlung immer wieder „schauspielerisch betätigt“. Er nimmt es ihr nicht ab. Hasan und Maryam M. sitzen hier, weil sie ihre 15 Jahre alte Tochter Roqia am 15. Juni 2024 in Worms gemeinschaftlich heimtückisch getötet haben sollen. Das Paar aus Afghanistan steht seit Ende Februar am Landgericht Mainz vor Gericht.
„Fassungslosigkeit“ ist ein Wort, das am Tag vor der Urteilsverkündung im Saal immer wieder fällt. Es ist eine Tat, die viele Menschen schockiert hat. Seit dem ersten Prozesstag Ende Februar steht die Frage im Raum: Was muss passieren, damit Eltern auf der Anklagebank landen?
„Sie kamen überein, ihre Tochter zu töten“
Laut den Ermittlungen hat Roqia sich in den Monaten vor der Tat immer mehr von der Familie entfernt und „falsche Freunde“ gefunden. Sie soll Drogen genommen, die Schule geschwänzt haben und gewalttätig gewesen sein. Womöglich soll sie sich auch in Zuhälterkreisen bewegt haben. In den sieben Monaten vor dem 15. Juni sei sie 26 Mal im Rahmen von Polizeiverfahren registriert worden – mal als Beschuldigte, mal als Zeugin.
In dieser Zeit soll es auch gegenüber der Mutter immer wieder zu Übergriffen gekommen sein. Mehrmals kam die Polizei. Auch das Jugendamt wurde wiederholt verständigt. Ein Zusammenleben sei nicht mehr möglich gewesen, darüber gab es laut den Ermittlern schon Monate vor der Tat Klarheit. Auch die Eltern sollen sich, wie die Beweisaufnahme ergab, immer wieder an das Jugendamt gewandt und es um Hilfe gebeten haben. Die sollen sie aber nur bedingt bekommen haben. Roqia wurde mehrfach in Kinder- und Jugendpsychiatrien untergebracht, verließ diese jedoch nach kurzer Zeit wieder und kehrte zur Mutter zurück.
Laut Anklage waren Hasan und Maryam M., die drei weitere Kinder haben, mit dem Verhalten ihrer Tochter überfordert. „Sie kamen überein, ihre Tochter zu töten“, sagt der Staatsanwalt in seinem Plädoyer am Donnerstag. Religiöse Gründe oder ein zu westlicher Lebensstil seien kein Anlass für die Tat gewesen, dies könne nicht belegt werden. Der Vater war in Afghanistan vom Islam zum Christentum konvertiert, die Mutter einige Zeit später ebenfalls. Ende 2015 waren sie auf teils getrennten Wegen nach Deutschland gekommen.
Tochter zum Ufer geschleift und in den Rhein geworfen
Am Tattag sollen der Tochter mehrere Tabletten des Opioids Tramadol gegeben worden sein. Laut Ermittlungen sind die 34 Jahre alte Mutter und der 40 Jahre alte Vater mit ihrer Tochter dann mit dem Auto über mehrere Stationen von der Wohnung in Pirmasens nach Worms gefahren. Dort hatte die Familie früher einmal gewohnt.
Am Rhein soll der Vater allein mit der Tochter zum Fluss gegangen sein, während die Mutter am Auto gewartet habe. Er soll Roqia geschlagen, sie mit einem zuvor von der Mutter um den Hals der Tochter gelegten Schal gewürgt und die ohnmächtige Fünfzehnjährige dann 30 Meter zum Ufer geschleift haben, wo er sie in den Rhein geworfen haben soll.
Die Mutter war 13, der Vater 19 Jahre alt, als sie heirateten
Die Staatsanwaltschaft beantragt für die Eltern des Opfers lebenslange Haftstrafen wegen Mordes. Sie sieht es als erwiesen an, dass es sich um einen gemeinschaftlich begangenen Mord aus Heimtücke handelte. Während der Vater sich am ersten Tag einließ und die Tat gestand, wies die Mutter in einer Erklärung ihrer Verteidigerin die Vorwürfe zu Beginn des Prozesses von sich. Auch am Donnerstag noch erklärt die Verteidigerin, dass die Beweislage für ein Mordurteil nicht ausreiche. Die Rolle der Mutter könne auch als Beihilfehandlung gewertet werden.
Die Staatsanwaltschaft sieht das jedoch anders. Hasan M. habe die Tat zwar ausgeführt, doch Maryam M. habe sie gesteuert und ihn für die Tat eingespannt. Hasan M. sei immer wieder gewalttätig gewesen, weshalb er nach einer verhängten Gewaltschutzverfügung zuvor aus der gemeinsamen Wohnung in Pirmasens ausziehen musste. Sie habe ihm in Aussicht gestellt, wieder in die Familie zurückkehren zu dürfen, wenn er Roqia tötet. Die Staatsanwaltschaft sieht bei der Angeklagten ein „manipulatives Vorgehen“.
Die Verteidigung der Mutter fordert in ihrem Plädoyer, Situation und Geschichte der Angeklagten zu berücksichtigen. Als sie ihren Mann Hasan heiratete, war Maryam 13 Jahre alt, er wiederum 19 Jahre. Maryam M. sei „belastet“, habe wenig eigene Perspektiven im Leben gehabt und nie gelernt, eigene Gefühle zuzulassen. Sie habe funktioniert, „im Rahmen dessen, was ihr möglich war“. Der Vater selbst sagt in seinem letzten Wort laut der Übersetzung eines Dolmetschers, er bitte darum, dass sie nicht nach Afghanistan abgeschoben würden, dort seien sie aufgrund ihrer Konvertierung nicht sicher.
Anders als die Verteidigung von Maryam M. sagt der Verteidiger des Vaters im Plädoyer, sein Mandant müsse wegen Mordes verurteilt werden. Ein genaues Strafmaß nennt er nicht. Ein Urteil soll an diesem Freitag fallen.