Und tatsächlich: Tage später beginnt Hartmut F., seine Frau anzurufen. Er schreibt ihr Briefe. Er versucht, über die gemeinsamen Kinder zu erfahren, mit wem sie Zeit verbringt. So geht es monatelang, trotz des Näherungsverbots.
Dann verwanzt er ihr Auto mit einem GPS-Tracker. Am 19. Mai 2021 fährt er ihr hinterher, in einem Auto, das er geliehen hat. Vor dem Haus ihres neuen Partners in Dänischenhagen, Schleswig-Holstein, steigt sie aus und geht zur Tür. In diesem Moment zielt Hartmut F. mit einer Uzi auf seine in Trennung lebende Frau. 48 Schüsse feuert er aus der Maschinenpistole auf sie ab. Auch ihren neuen Partner erschießt er. Wenig später tötet er mit einer Selbstladepistole einen Freund von Hanna F., der sie nach der Trennung unterstützt hatte.
Übertritte von Kontaktverboten durch Partner erfasst die Statistik nicht
Wie häufig Frauen trotz bestehender Kontaktverbote von Partnern oder ehemaligen Partnern getötet werden, wird in der Polizeilichen Kriminalstatistik nicht erfasst. Um Daten zu gewinnen, hat die F.A.Z. Urteile analysiert. Für diesen Text ausgewertet wurden 62 Urteile, die im Jahr 2021 gegen Männer ergingen, die eine Frau töteten, und bei deren Taten eine geschlechtsbezogene Motivation erkennbar war – bei denen es sich also um Femizide handelte.
Der Zeitraum wurde gewählt, um rechtskräftige Urteile zu erhalten. Zwischen einem Tötungsdelikt und dem Urteil eines Strafgerichts liegen laut Statistiken der Länder etwa zwölf Monate. Nach der F.A.Z.-Anfrage im November 2023 dauerte es fast zwölf Monate, bis fast alle angefragten Gerichte diese beantworteten.
So hat die F.A.Z. die Urteile recherchiert und ausgewertet
Für diesen Text ausgewertet wurden insgesamt 62 Urteile, auf die folgende Kriterien zutreffen: Die F.A.Z. hat innerhalb eines Jahres – seit der Anfrage im November 2023 – das Urteil erhalten. Das Gericht befand den Täter für schuldfähig, er war also nicht schwer psychisch krank oder intelligenzvermindert. Und: Die Absicht des Täters, eine Frau zu erniedrigen oder zu kontrollieren, war im Urteil erkennbar.
Letzteres ist entscheidend, um eine Tötung als „Femizid“ bezeichnen zu können – und somit eine geschlechtsbezogene Motivation des Täters festzustellen. Bei diesen Taten geht es dem Täter im Kern darum, einer Frau das Recht auf eine eigenständige Entscheidung abzusprechen.
Sehr häufig handelt es sich um Partner oder Ex-Partner, die nicht ertragen, dass die Partnerin sich trennt oder die Ex-Partnerin an der Trennung festhält. Auch außerhalb von Beziehungen finden Femizide statt. Teil der F.A.Z.-Recherche war zum Beispiel ein Fall, in dem ein Vater seine Tochter mit einem Kabel erwürgte, um die Mutter – seine Ex-Partnerin – zu bestrafen.
Recherchiert wurden die Fälle mit Hilfe von Meldungen in Nachrichtenagenturen, Zeitungsartikeln und Anfragen bei Polizeipräsidien. So wurden 139 Fälle getöteter Frauen zusammengetragen. In einem Viertel der Fälle beging der mutmaßliche Täter Suizid. Bei allen anderen Fällen fragte die F.A.Z. die zuständigen Gerichte und Staatsanwaltschaften nach Urteilen.
In fünf von 62 Fällen hatten Frauen bei Gericht ein Kontakt- und Näherungsverbot gegen den späteren Täter erwirkt. Ob die anderen nichts von dieser Maßnahme wussten oder sich dagegen entschieden, geht aus den Urteilen nicht hervor. Was feststeht: Diese fünf Frauen hatten beim örtlichen Amtsgericht erwirkt, dass sich ihre gewalttätigen Partner oder Expartner ihnen nicht mehr nähern durften, weder ihrer Wohnung, noch ihrem Arbeitsplatz, und sie auch nicht mehr kontaktieren durften.
Seit 2002 ermöglicht das ein Gesetz, das sogenannte Gewaltschutzgesetz. Oft kann es betroffene Frauen aber nicht wirksam schützen. Das zeigt der Umstand, dass diese fünf Frauen nicht mehr leben – Hanna F. war eine von ihnen. Und das haben Richter, Anwälte und Frauenberatungsstellen der F.A.Z. berichtet.
Über Anträge nach dem Gewaltschutzgesetz entscheiden Amtsrichter im Eilverfahren, in der Regel innerhalb von 24 Stunden. Sprechen sie ein Kontakt- und Näherungsverbot aus, erfahren Antragstellerin und Adressat davon schriftlich. Doch schon da hakt es: Ist nicht bekannt, wo der Adressat sich aufhält, kann das Gericht ihn nicht erreichen. Der Beschluss gilt aber nur als wirksam, wenn er persönlich zugestellt wird.
Ein Teil der Männer übertritt das Näherungsverbot
Wenn der mutmaßliche Gewalttäter den Brief erhält, gebe es zwei Arten, wie er reagiert, sagt Lisa Ackfeld. Sie arbeitet als Sozialpädagogin beim Verein Frauen helfen Frauen im nordrhein-westfälischen Beckum und berät unter anderem zu Gewaltschutzanträgen. „Es gibt Männer, die durch ein Kontaktverbot abgeschreckt werden, sich weiter der Frau zu nähern. Sie merken, dass ihr Verhalten nun nicht mehr als privat angesehen wird, sondern etwas Öffentliches annimmt.“ Und dann gebe es die anderen: Männer, die annehmen, dass sie „ein Recht haben, ihre Frau so zu behandeln“. Das sind die gefährlicheren.
Hartmut F. gehörte zur zweiten Gruppe. Trotz Kontaktverbot schlich er weiter um das Haus seiner Frau herum und machte ihr damit Angst. So erzählte es Hanna F. Thomas von der Wehl. Er ist Anwalt für Familienrecht in Kiel und erstellte mit Hanna F. den Gewaltschutzantrag. Immer wieder informierte sie ihn über Verstöße gegen das Näherungsverbot. Doch von der Wehl war machtlos.
„Es gibt keine vernünftigen rechtlichen Mittel, um ein Näherungsverbot wirklich durchzusetzen“
Er sagt: „Es gibt keine vernünftigen rechtlichen Mittel, um ein Näherungsverbot wirklich durchzusetzen.“ Bei Verstößen könne er zwar Ordnungsgeld oder Ordnungshaft beantragen. Doch es dauere mehrere Monate, bis Richter den Antrag bearbeiten. Anders als den Erstantrag behandeln sie Verstöße nicht im Eilverfahren. Ähnliches sagen andere Anwälte: Gerichte seien überlastet, Gewaltbetroffene müssten fünf bis sechs Monate auf Antwort warten. Für manche Frauen komme der Brief zu spät: Der gewalttätige Partner habe sie bereits getötet.
Um ein Ordnungsgeld zu erwirken, genügt es von der Wehl zufolge nicht, dass eine Frau dem Gericht mitteilt, der Mann habe sich ihrem Haus genähert. „Solange nichts Gravierendes passiert, er sie also nicht wieder anfasst, kann man leider gar nichts machen.“ Und selbst wenn es ein Ordnungsgeld gäbe: Ein Mann wie Hartmut F. sei „mit so etwas nicht erreichbar“. Gerade die Gewalttäter, die am gefährlichsten sind, lassen sich am wenigsten aufhalten: weder durch Beschlüsse des Gerichts noch durch die Polizei. Sie kann eine sogenannte Gefährderansprache machen und Gewalttätern signalisieren, was passiert, wenn sie weiter gegen das Näherungsverbot verstoßen. Doch daraus folgen keine wirksamen Sanktionen.
85 Strafanzeigen – doch der Mann macht weiter
Das weiß auch Christina Clemm. Sie ist Anwältin für Straf- und Familienrecht in Berlin, seit mehr als 25 Jahren vertritt sie Frauen, die von ihren Partnern oder früheren Partnern geschlagen und gedemütigt werden. Ihre Erfahrungen verarbeitet sie in ihrem Buch „Gegen Frauenhass“. Darin schreibt sie: „Die Strafanzeigen werden aufgenommen, Ermittlungsverfahren durchgeführt. Das dauert und dauert.
In der Regel viele Monate, meist Jahre. Häufig können sie schon deshalb nicht zeitnah abgeschlossen werden, weil immer wieder neue Anzeigen hinzukommen.“ Für eine Mandantin, die von einem Mann gestalkt wurde, habe sie 85 Strafanzeigen erstattet. Geholfen habe es nichts. Erst als der Täter eine neue Freundin gefunden hatte, habe er von der Mandantin abgelassen.
Im Januar 2021, das Näherungsverbot bestand seit zwei Monaten, rief Hartmut F. seine Frau an. Er sagte, es wäre wohl das Beste, sie, die gemeinsamen Kinder, die Pferde und sich selbst zu erschießen. Die Familie lebte auf einem Resthof am Westensee in der Nähe von Kiel. 2005 war Hanna F. dorthin gezogen, ein Jahr nachdem sie Hartmut F. im Zahnmedizin-Studium kennengelernt hatte. Das heruntergekommene Anwesen kauften sie für wenig Geld und renovierten es. Hanna F., die das Reiten liebte, hielt dort mehrere Pferde.
Nach der Drohung ihres getrennt lebenden Mannes zeigte Hanna F. ihn an. Vier Beamte der zuständigen Polizeistation Achterwehr suchten Hartmut F. auf und machten eine Gefährderansprache. Zwei von ihnen sind langjährige Freunde von Hartmut F. Eine solche Konstellation ist auch andernorts in Deutschland denkbar, in Kleinstädten und Dörfern, überall dort, wo man sich vom Fußballplatz oder aus der Kneipe kennt. Und sie wirft Fragen auf: Kann ein Polizist, der dem mutmaßlichen Täter persönlich nahesteht, ihm vermitteln, warum er ihn für gefährlich hält und beobachtet? F. jedenfalls bestritt seinen Freunden gegenüber, seiner Ehefrau mit Erschießung gedroht zu haben.
Polizei erhielt Hinweise auf illegalen Waffenbesitz von Hartmut F.
Die Polizisten wussten, dass Hartmut F., Jäger und Sportschütze, 65 Kurz- und Langwaffen besaß. Er hatte für sie eine behördliche Erlaubnis. Und er besaß illegale Waffen. Auch das war der Polizei bekannt. Nachbarn von Hartmut F. schrieben am 8. Dezember 2021 – einen Monat nach dem Gewaltschutzantrag von Hanna F. – an das Landeskriminalamt Schleswig-Holstein. Der Brief liegt der F.A.Z. vor. Darin heißt es: „In dem Keller des Gebäudes befindet sich ein Raum mit diversen Waffen und Munition (nicht alles legal).“
Trotz des konkreten Hinweises durchsuchte die Polizei den Keller nicht. Zwar übergab das Landeskriminalamt den Brief an die nachrangige Behörde, die Polizeidirektion (PD) Kiel. Dort leitete man ihn jedoch nicht weiter an die Polizeistation Achterwehr, also die räumlich nächste Stelle, bei der Hanna F. bereits den Nasenbeinbruch angezeigt hatte. Die Entscheidung begründete die PD Kiel damit, dass man bereits ein „vorheriges Schreiben mit ähnlichem Inhalt“ an die Polizeistation Achterwehr weitergeleitet habe.
Kam das erste Schreiben an? Hätte ein zweites Schreiben die Sicht auf den Fall verändert? Aus Achterwehr hat die F.A.Z. dazu keine Auskunft erhalten. Auf die Anfragen an die Polizeistation reagierte das Landespolizeiamt. Dort heißt es, man sei „direktionsübergreifend“ für den „Themenkomplex ,Dänischenhagen‘“ zuständig: „Die Beurteilung der Lage und die daraus resultierenden Maßnahmen erfolgten auf Basis aller zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden Informationen. Eine weitere (Be-) Wertung dieser Umstände aus heutiger Sicht wäre spekulativ.“
Die Waffenbehörde erfährt von der Warnung der Nachbarn nichts
Sechs Beamte arbeiten in der Polizeistation Achterwehr, sie standen „regelmäßig“ mit der Waffenbehörde in Kontakt, wie deren Sprecher auf Anfrage mitteilte. Um Waffen zu entziehen, reicht ein Verdacht, dass sie missbräuchlich verwendet werden. In diesem Fall können Mitarbeiter der Waffenbehörde das Haus der verdächtigen Person durchsuchen. Im Fall von Hartmut F. kam es dazu nicht. Die Waffenbehörde hat von den Hinweisen auf seinen illegalen Waffenbesitz nie erfahren.
Über den Gewaltschutzantrag von Hanna F. hat Achterwehr die Waffenbehörde informiert. Diese forderte Hartmut F. auf, seine registrierten Waffen und Waffenbesitzkarten abzugeben. Das tat er innerhalb der Frist. Die Behörde ging davon aus, das Mögliche getan zu haben. Die illegalen Waffen im Keller blieben unentdeckt. Darunter waren die Uzi und eine Selbstladepistole vom Typ Walther PPK, mit denen Hartmut F. drei Menschen tötete.
Wenn ein Mann eine Schusswaffe besitzt, gilt das bei Gewalt in Beziehungen als Risikofaktor. Von den fünf Männern, die ihre Partnerin oder Expartnerin laut F.A.Z.-Recherche trotz Kontaktverbot töteten, verwendeten zwei Maschinenpistolen: Hartmut F. und ein weiterer Mann. Auch er besaß die Waffe unerlaubt. Ein anderer erwürgte seine Lebensgefährtin. Zwei Männer verwendeten Messer.
Wie lassen sich solche Taten verhindern?
Sieht man sich diese Morde genauer an, erkennt man, dass es Warnzeichen gab. Die Männer hatten ihre Drohungen und Einschüchterungen vor der Tat verstärkt. Einer von ihnen stritt mit seiner Lebensgefährtin vor dem Familiengericht um das Sorgerecht der Kinder. Am Tag vor der Tat sagte er in der Verhandlung: „Ich bin kein Feigling und ich werde auch töten, um zu sehen, wer Erfolg hat.“
Wie können solche Morde mit Ansage verhindert werden?
Hessens Justizminister Christian Heinz (CDU) schlug Ende September im Bundesrat vor, elektronische Fußfesseln einzusetzen, um Täter zu überwachen. Dafür will er das Gewaltschutzgesetz, ein Bundesgesetz, ändern und so dafür sorgen, dass gerichtlich verordnete Kontaktverbote kontrolliert werden können.
Bislang ist das lediglich bei polizeilich verordneten Maßnahmen gegen häusliche Gewalt möglich. In schwerwiegenden Fällen können Männer, die einen Wohnungsverweis oder ein Rückkehrverbot erhalten, mit einer elektronischen Fußfessel überwacht werden. Allerdings geht das nur kurzfristig, in Hessen etwa für 14 Tage. Und nur in sechs Bundesländern sehen die Landespolizeigesetze diese Möglichkeit vor.
Heinz knüpft seinen Vorschlag an die Einführung des spanischen Modells. In Spanien trägt die Gewaltbetroffene ein Gerät bei sich, ähnlich einer Smartwatch, das über GPS mit der Fußfessel des potentiellen Gewalttäters verbunden ist. Nähert sich dieser weniger als 500 Meter an, wird die Betroffene alarmiert. Auch die Polizei erhält ein Signal.
Eine Studie beschreibt das 2009 in Spanien eingeführte Modell als effizient. In den ersten fünf Jahren sei keine Frau, die ein Alarmgerät trug, getötet worden. In den wenigen Fällen, wo ein Mann sich trotz Verbot näherte, habe die Polizei rechtzeitig eingreifen können.
In Deutschland kontrolliert die Gemeinsame Überwachungsstelle der Länder (GÜL) mit Sitz im hessischen Weiterstadt alle Personen, die eine Fußfessel tragen. Bisher wird sie in der Führungsaufsicht eingesetzt, also bei Straffälligen, die nach der Haft mit Fußfessel überwacht werden. Alma Friedrichs, Leiterin der GÜL, sagt: „Ich kann mich an keinen Vorfall erinnern, wo eine Person die Verbotszone einer zu schützenden Person betreten und jemanden geschädigt hat.“ Deshalb halte sie es für sinnvoll, auch Gewaltschutzanträge so zu kontrollieren.
Kaum jemand kennt das Gewaltschutzgesetz und seine Schutzmaßnahmen
Das spanische Modell wäre wohl auch in Deutschland wirksam, darauf deuten bisherige Erfahrungen hin. Doch die Frage ist: Würden überhaupt so viele Menschen eine Fußfessel bekommen? Der Verein Frauenhauskoordinierung hat für seine Statistik Informationen von 176 der insgesamt etwa 400 Frauenhäuser in Deutschland zusammengetragen. 2023 lebten dort 6264 Frauen. Nur elf Prozent von ihnen stellten einen Gewaltschutzantrag. Zu den Gründen äußert sich die Frauenhauskoordinierung nicht. Aber Mitarbeiterinnen von Frauenberatungsstellen sagen: Die meisten Frauen erfahren durch sie zum ersten Mal vom Gewaltschutzgesetz. Wer keine Beratung oder sonstige Hilfe suche, wisse davon nichts.
Hilfe bei Gewalt in der Beziehung
Kaum jemand kennt also das Gewaltschutzgesetz – und nur wenige Menschen wenden es an. Doch selbst wenn mehr Menschen einen Gewaltschutzantrag stellen würden: Die Zahl der Fußfesselträger wäre dadurch nicht unbedingt höher. So sieht es Jörg Kinzig, Direktor des Instituts für Kriminologie an der Universität Tübingen. Er weist darauf hin, wie hochschwellig die Maßnahme ist. Sie sei ein „schwerwiegender Grundrechtseingriff“ und als solcher nur verhältnismäßig „zur Abwehr einer erheblichen gegenwärtigen Gefahr für Leben, körperliche Unversehrtheit, persönliche Freiheit oder sexuelle Selbstbestimmung“.
Um eine Fußfessel zu tragen, müsste eine Person bereits eine schwere Straftat begangen haben und es müsste zu befürchten sein, dass sie in Zukunft eine schwere Straftat begeht. Doch erstens, so Kinzig, sei die Prognose menschlichen Verhaltens schwierig. Zweitens sei es schwierig zu definieren, wann die Eingriffsschwelle für die Fußfessel erreicht ist. Ein Gesetz müsse genau das leisten.
Weil sie so sehr in die Grundrechte des Trägers eingreift, hält Dilken Çelebi vom Deutschen Juristinnenbund die Fußfessel allenfalls für eine „kurzfristige, präventive Maßnahme“. Sie fordert, diese grundrechtsschonend nur dann einzuführen, wenn sie bundesweit an eine „umfassende, systematische und einzelfallbezogene Gefährdungsanalyse“ geknüpft ist. Damit meint sie: Alle Institutionen, die daran arbeiten, die Frau zu schützen, müssten ihre Informationen zusammenführen. Dort, wo Polizei, Justiz, Jugendämter, Frauenhäuser und Beratungsstellen sich zu Fallkonferenzen treffen, werde sichtbar, wie bedroht eine Frau ist – und was sie braucht.
Rheinland-Pfalz hat 2017 als erstes Bundesland flächendeckend Fallkonferenzen bei häuslicher Gewalt eingeführt. Seither ziehen einzelne Städte, Regionen oder Bundesländer nach. Schleswig-Holstein arbeitet seit diesem Jahr mit Fallkonferenzen. Polizisten setzen nun einen Fragebogen ein, um Hochrisikofälle herauszufiltern. Nicht mehr das Bauchgefühl der Beamten, sondern abfragbare Kriterien entscheiden darüber, welche Frau welcher Art von Hilfe bedarf.
Solche Kriterien versammelt zum Beispiel die Danger-Assessment-Skala, ein in den USA erarbeitetes Werkzeug, das aus 20 Fragen besteht. Je mehr von ihnen die Betroffene bejaht, je mehr Punkte sie erzielt, als desto gefährdeter gilt sie. Für heftige Eifersucht des Partners gibt es einen, für Waffenbesitz fünf Punkte. Hätte man Hanna F. befragt, sie hätte 21 Punkte erreicht. Das heißt, sie war extrem gefährdet.