Warum die AfD in den ländlichen Regionen so erfolgreich ist

Dietmar Bareis hat nichts gegen Biber, absolut nicht. Der Bürgermeister der Odenwaldgemeinde Mossautal nennt sie sogar anerkennend „fleißige Baumeister“. Was ihn ärgert, ist, dass sie mit den Problemen, die die Nagetiere verursachen, alleingelassen werden. In Ober-Mossau, einem der fünf Dörfer in der Gemeinde, droht deshalb nun ein Tennisplatz abzusacken. Ein Biberstaudamm sorgt dafür, dass die Wiese ständig unter Wasser steht. Und dann sind da noch die Bauern, die sich immer wieder bei ihm melden, weil ihre Weiden wegen der Staudämme überflutet werden.

Der Biber ist schon lange ein Dauerthema im Ort. Dagegen unternehmen aber können sie im Mossautal nichts. Denn die Tiere stehen unter besonderem Schutz. Wer einen Biber fängt, tötet oder seine Dämme zerstört, muss mit einer hohen Geldstrafe rechnen, 50.000, 60.000 Euro. Selbst in den Gesprächen mit dem hessischen Biberbeauftragten entstand keine Idee, wie die Gemeinde den Schaden begrenzen könnte. Also passiert: nichts.

Das ist es, was Dietmar Bareis meint, wenn er von dem „Gefühl, dass es eh niemanden interessiert, was auf dem Land geschieht“ spricht. Und das ist es auch, was seiner Meinung nach so viele Wähler in den ländlichen Regionen zur AfD treibt. Weil sie sich ungehört fühlen, weil sie den Eindruck haben, dass ihre Probleme den Politikern egal sind. Ihr Kreuz bei der AfD sieht Bareis als ein Zeichen des Protests, als einen Schrei nach Aufmerksamkeit.

Fast jeder Vierte wählt AfD

Fast jeder Vierte hat im Mossautal bei der Bundestagswahl Blau gewählt: 23,8 Prozent der Zweitstimmen holte die AfD dort. Auch in anderen ländlichen Gebieten in Hessen war die Partei außergewöhnlich stark: In Cornberg, im Nordosten des Bundeslands, holte sie gar 33,4 Prozent, in Birstein im Main-Kinzig-Kreis 31,4 Prozent, in Hirzenhain in der Wetterau 30,2 Prozent. Deutlich schlechter hat sie in den Groß- und Universitätsstädten abgeschnitten: Nur zehn Prozent wählten die AfD in Frankfurt, zehn Prozent in Marburg, 10,3 Prozent in Darmstadt.

Claudia Weyrauch führt die letzte Metzgerei im Mossautal. Rentabel ist ihr Geschäft nur, weil sie auch noch einen Partyservice betreibt.
Claudia Weyrauch führt die letzte Metzgerei im Mossautal. Rentabel ist ihr Geschäft nur, weil sie auch noch einen Partyservice betreibt.Samira Schulz

Über dieses „Stadt-Land-Gefälle“ ist schon häufig geschrieben worden, das Phänomen ist nicht neu. Von der „Rache der Dörfer“ war auch schon nach vorherigen Wahlen die Rede, vom Frust auf dem Land, von der Wut auf die etablierten Parteien, besonders auf die Grünen. Abgehängt, schrumpfend, trostlos: So wird der ländliche Raum beschrieben.

Claudia Weyrauch kann damit nichts anfangen. In der Natur sein, durch den Wald laufen, ohne unzählige andere Menschen um einen herum, das macht für sie ein gutes Leben aus, von Frust keine Spur. Letztens, erzählt sie, sei sie mit einer Freundin nach Istanbul gereist. Nach vier Tagen habe es ihr gereicht. Zu viel Stress, zu viele Menschen. „Ich war schon immer eine Landmaus“, sagt sie.

Weyrauch betreibt die letzte Metzgerei im Mossautal. Elkes Wurstlädchen heißt das Geschäft, nach der Frau, die es vor ihr viele Jahre geführt hat. Als Weyrauch den Laden übernahm, wollte sie ihn nicht umbenennen. In der Theke stapeln sich Würste, Schnitzel, mariniertes Fleisch, an der Wand hängen Pfefferbeißer und Rauchpeitschen. Zu kaufen gibt es aber auch Wein, Gummibärchen oder Honig. Und, seit die Bäckerei in Hiltersklingen, am anderen Ende des Mossautals, geschlossen hat, auch Kuchen, den Weyrauch backt.

Die Metzgerin steht unter Druck

Sie habe sich abgewöhnt, so zu tun, als ob ihr Geschäft besonders gut laufe, sagt Weyrauch. Wenn einer danach frage, dann antworte sie wahrheitsgemäß, dass sie den Laden, wenn sie nicht auch noch einen Partyservice betreiben würde, wohl längst hätte schließen müssen. Es kommen zu wenige, um das Geschäft rentabel zu betreiben. Vor allem die Älteren, die nicht schnell mit dem Auto zum nächsten Discounter fahren können, kaufen noch bei ihr ein. Und die Handwerker auf ihrem Weg zur Baustelle. „Immer wenn wieder ein Geschäft auf dem Land schließt, ist das Gejammer groß“, sagt Weyrauch. „Doch am lautesten jammern meistens die, die vorher gar nicht gekommen sind.“

Vieles wäre einfacher, wenn die Bürokratie sie nicht ausbremsen würde, sagt die Verkäuferin. „Sechs dicke Ordner habe ich, darin ist alles dokumentiert: die Temperatur der Kühltheke, die Temperatur der Truhe, wie oft ich mein Auto wasche.“ Für den Frust der Landbevölkerung hat sie viel Verständnis. Auch sie ist genervt „von Politikern, die Dinge versprechen, die sie nicht halten“. Auch sie glaubt, dass die Migrationspolitik nach den vielen fürchterlichen Anschlägen verändert werden muss. Aber würde sie deshalb AfD wählen? „Auf keinen Fall“, antwortet Weyrauch. „Dadurch wird nichts besser.“

„Rund um die Uhr“ ansprechbar

Das Mossautal ist ein Idyll. Die Landschaft ist hügelig, der Wald nie weit entfernt. Es gibt sprudelnde Bäche, Forellenteiche, Gänse in den Gärten, Pferde auf den Weiden. Es gibt große Häuser, große Grundstücke, so gut wie keinen Leerstand. Und auch einige erfolgreiche Unternehmen: die Schmucker-Brauerei mit beinahe 100 Mitarbeitern, die Molkerei in Hüttenthal, einen Fensterbauer, ein Wellnesshotel. An den Höfen hängen Schilder mit dem Schriftzug „Urlaub auf dem Bauernhof“. Die Übernachtungszahlen sind zuletzt mal wieder gestiegen: um 20 Prozent. Das konnte Dietmar Bareis bei der Sitzung der Gemeindevertretung verkünden.

Außerhalb: Das Mossautal liegt fernab der Metropolen im Odenwald.
Außerhalb: Das Mossautal liegt fernab der Metropolen im Odenwald.Samira Schulz

Seit zwölf Jahren ist der Parteilose im Mossautal Bürgermeister, in der Gemeinde arbeitet er noch viel länger. Vor 40 Jahren hat er dort seine Ausbildung als Verwaltungsfachangestellter begonnen. Im Juni aber, wenn wieder Bürgermeisterwahlen anstehen, will der Sechzigjährige nicht noch einmal kandidieren. Er wisse nicht, ob er noch eine ganze Legislaturperiode, die sechs Jahre dauert, durchhalten würde. 70 Stunden arbeite er in der Woche, sagt Bareis. Ansprechbar für die Mossautaler sei er „rund um die Uhr“.

„Die Menschen leben gerne hier“, ist der Bürgermeister überzeugt. 2434 Einwohner hat Mossautal, die Zahl schwanke seit Jahren kaum, die Gegend sei bei Familien beliebt. Im Ortsteil Hiltersklingen haben sie eine neue Kindertagesstätte gebaut, mit 100 Plätzen. „Bei uns muss keiner auf einen Kitaplatz warten.“ Doch die Sache hat einen Haken: Das Geld, das die Gemeinde in die neue Einrichtung gesteckt hat, fehlt woanders. Am Zustand der Straßen wurde länger schon nichts verbessert, bei der Überprüfung des Kanalsystems hinkt man hinterher.

Dass so viele die AfD gewählt haben, sei kein Indiz für eine überdurchschnittlich hohe rechtsextreme Gesinnung, sagt ­Bareis: „Die Menschen sind hier nicht rechter als anderswo.“ Doch sie würden sich oft abgekoppelt fühlen von den Debatten, die in der Bundespolitik und in den Städten geführt werden. Und sie spürten, weil die Gehälter in der Regel niedriger sind als in der Stadt, den Anstieg der Preise heftiger, fürchteten sich mehr vor Abstieg. Was dagegen helfen könnte? „Wenn die Politiker kommen würden, sich mit den Menschen zusammensetzen und erklären, was sie erreichen wollen“, meint Bareis.

In ihrem „Traumhaus“ wollen Dehnert und Breuer alt werden

Wer Peter Dehnert und Eva Marie Breuer besuchen will, fährt einmal durch den Ort Güttersbach und dann noch ein Stück weiter den Hang hinauf. Dort hat das Paar ein altes Bauernhaus gekauft und saniert. Das Fachwerk wurde herausgeputzt, viel helles Holz verbaut. Auf dem Küchentisch stehen ein Rotweinkuchen und eine Kanne Kaffee. Die beiden haben bis zur Pensionierung als Lehrer gearbeitet, in ihrem „Traumhaus“ wollen sie alt werden.

Engagiert für die Region: Dietmar Bareis ist seit zwölf Jahren Bürgermeister in Mossautal.
Engagiert für die Region: Dietmar Bareis ist seit zwölf Jahren Bürgermeister in Mossautal.Samira Schulz

Engagiert und umtriebig sind sie trotzdem geblieben. Sie erzählen von dem Verein, den sie mit einigen anderen Güttersbachern gegründet haben. Im Sommer 2023 hatte der Einkaufsladen im Dorf dichtgemacht. Sie wollten das Geschäft übernehmen, den Verkauf von Lebensmitteln organisieren, aber auch einen Ort schaffen, der zum Treffpunkt wird, an dem sich die Dorfbewohner austauschen können. Als klar wurde, dass eine Künstlerin mit ihrem Atelier in den alten Laden ziehen wird, schlugen sie vor, ihren Dorfladen in der leer stehenden Wagenhalle der Feuerwehr zu eröffnen. Ein Konzept und ein Businessplan wurden geschrieben, eine Sitzung des Ortsbeirats einberufen – doch die Pläne wurden abgelehnt.

Ein „echter Dämpfer“ war das, erinnert sich Peter Dehnert. Doch aufgesteckt haben sie nicht. Im vergangenen Sommer hat der Verein eine Kunstausstellung in dem Dorf organisiert, mit Swingkonzert, Lyriklesung und Gartenfest. Und noch einiges anderes ist seitdem passiert: Gemeinsam haben sie Pizza im Holzofen gebacken, zu Vorträgen, Lesungen und einer Weinprobe eingeladen. In diesem Jahr will Dehnert ein Projekt anstoßen, um die Streuobstwiesen rund um den Ort wieder aufzuforsten.

„Wir fühlen uns nicht abgehängt“

„Wir fühlen uns hier nicht abgehängt“, sagt der frühere Lehrer. Und dass das andauernde Reden über den heftigen Stadt-Land-Gegensatz ihn nerve. „Da ist viel inszeniert und übertrieben.“ Zu einfach sei es, das Land in zwei Sphären aufzuteilen, zu plump die Gegenüberstellung von „bodenständiger Politik“ auf dem Land und „Gendergaga“ in der Stadt. „Solche Klischees bringen uns nicht weiter.“ Stattdessen bräuchte es eine „Regionalpolitik“, die nicht konfrontativ, sondern kooperativ sei: „Die Städte können ohne das Umland nicht überleben, aber das Land auch nicht ohne die Städte. Wir müssen wieder begreifen, dass wir in einem Boot sitzen.“

Eva Marie Breuer und Peter Dehnert haben in Güttersbach ihr „Traumhaus“ gefunden und wollen dafür sorgen, dass die Bewohner im Ort sich näherkommen.
Eva Marie Breuer und Peter Dehnert haben in Güttersbach ihr „Traumhaus“ gefunden und wollen dafür sorgen, dass die Bewohner im Ort sich näherkommen.Samira Schulz

Ein Brückenbauer solle deshalb auch ihr Dorfverein sein, sagt Eva Marie Breuer: zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen. „Wir wollen Leute zusammenbringen, die sich vorher nicht getroffen haben.“ Sie selbst versuche deshalb auch immer häufiger, die „eigene Blase“ zu verlassen. Beim Kegeln oder beim Boule spielen treffe sie auf Frauen, die sie in ihrem früheren Lehrerleben nicht kennengelernt habe. „Das ist spannend.“

Wie passt das zusammen, der engagierte Dorfverein und die rechte Hochburg? Wie erklären sie sich den Erfolg der AfD? Da komme vieles zusammen, sagt Dehnert: eine Protesthaltung, die Unzufriedenheit mit der Ampelkoalition, die „ja wirklich schlecht performt hat“, die Angst vor sozialem Abstieg, die Wahrnehmung des Klimaschutzes als Bedrohung. Aber auch: Propaganda und Panikmache. „Dass der Habeck persönlich kommt und ihnen den Heizkessel aus dem Keller reißt: Das haben die Leute irgendwann geglaubt.“ In solchen Momenten schlage die Stunde der Extremen. „Sie bieten einfache Lösungen an, die aber nicht funktionieren“, sagt Dehnert.

Sind sie mit ihrem Verein ein Gegenprogramm zum Siegeszug der Populisten? Wollen sie helfen, den Landfrust zu bekämpfen, indem sie den Alltag dort attraktiver, spannender machen und Gemeinsinn stiften? „Das ist nicht unsere Intention“, antwortet Dehnert. „Aber natürlich sind wir politische Menschen. Wenn das am Ende ein Effekt ist, dann nehmen wir das gerne mit.“