Torwart Nico Mantl: Aus Unterhaching in die Provinz Portugals – Sport

Eigentlich sollte diese Geschichte woanders spielen. Vielleicht in Salzburg, an einem funkelnden, erhabenen Champions-League-Abend gegen Inter Mailand. Vielleicht auch in Dortmund oder in Hamburg, an einem Bundesliga-Nachmittag vor Tausenden Fans. Wenn alles so gekommen wäre, wie es hätte kommen sollen, würde die Geschichte jedenfalls nicht in Arouca spielen, in der portugiesischen Provinz, knapp eine Autostunde entfernt von Porto, rund 15 Grad an einem Januar-Vormittag. Bom dia, Nico Mantl.

Es sind rund 2300 Kilometer, die ihn, den gebürtigen Münchner und früheren Torwart der SpVgg Unterhaching, von seiner Heimat trennen. Das ist allerdings nur die Strecke, die sich bemessen lässt, die Entfernung auf der Landkarte. Tatsächlich ist Mantl noch viel weiter weg von alledem, wo man ihn vor ein paar Jahren noch hätte vermuten können. Aber Mantl hat einen Auftrag. Er ist jetzt in Arouca, weil er hier, im Nirgendwo Portugals, etwas zurechtbiegen kann, was in Salzburg, auf der großen Bühne, schiefgegangen ist. „Für mich ist das Wichtigste, dass ich jetzt wieder jedes Wochenende auf dem Platz stehe“, sagt Mantl. Das ist es, was Arouca ihm bietet: Wettkampf, Woche für Woche. Wie damals, vor ein paar Jahren in Haching.

Zwischen 2018 und Januar 2021 war Mantl auf dem Weg nach oben. Seine Karriere kannte nur eine Richtung: Es ging bergauf. Mantl war gerade mal 19, als ihm Claus Schromm, Hachings damaliger Trainer, den Platz im Tor anvertraute. Mantl schaute zu Manuel Neuer und Marc-André ter Stegen auf, dorthin, in die Spitze, wollte er es auch schaffen. Er war Hachings Rückhalt in der dritten Liga und machte seine Sache so gut, dass er schon bald zur deutschen U21 berufen wurde und das Interesse von RB Salzburg weckte. Österreichs Serienmeister, Champions League, hätte es überhaupt etwas Besseres geben können? Träumte er etwa?

Als Mantl Unterhaching verließ, kannte seine Karriere nur noch eine Richtung: Es ging bergab.

Heute spielt Mantl beim FC Arouca, dem 15. der portugiesischen ersten Liga, und sagt im Videogespräch: „Ich bin längere Zeit nach unten gerutscht, aber jetzt habe ich mich festgehalten und ziehe mich so langsam wieder nach oben.“

Als Mantl, 24, über seinen Karriereweg spricht, über die großen Hoffnungen, die er damals in Unterhaching geweckt hat, über die blühende Zukunft, die ihm bevorzustehen schien, sitzt er am Küchentisch in seiner Wohnung in Vila Nova de Gaia, rund eine Viertelstunde entfernt von Portos Zentrum. Hier wohnt er. Nach Arouca, zum Trainingsgelände, sind es rund 40 Minuten mit dem Auto. Mantl hat den Vorhang hinter sich zugezogen, doch die Sonne fällt trotzdem herein. „Ich will nicht sagen, dass ich die Kälte vermisse“, sagt Mantl, „aber ich bin sie gewohnt. Und ein bisschen Schnee würde ich schon gerne sehen. Aber ich bin halt in einem Urlaubsgebiet.“ Er ist bloß nicht da, um Urlaub zu machen, im Gegenteil. In Portugal geht es für ihn darum, wieder in Fahrt zu kommen, runter vom Standstreifen, zurück auf die Überholspur, dorthin, wo er zu seiner Hachinger Zeit schon einmal war.

Wenn Mantl über seine Zeit in Deutschland spricht, über Stadtderbys gegen den TSV 1860 München, über das Urvertrauen, das Schromm und Präsident Manfred Schwabl in ihn setzten, dann wird klar, wie viel ihm das gegeben hat. „Es gibt keine andere dritte Liga, die so mächtig ist wie die deutsche“, sagt Mantl. Dass er sich da bewies, mit 19, das hatte schon etwas zu heißen.

Er verließ Unterhaching für eine Rekordablöse von zwei Millionen Euro, doch in Salzburg geriet seine Karriere ins Stocken

Damals war er da, wovon er schon geträumt hatte, als er als Kind in einem Oberhachinger Neubaugebiet mit einem Freund aus der Nachbarschaft kickte. In Gedanken ist Mantl jetzt wieder auf diesem kleinen Grünstreifen neben der Straße, die durch die Siedlung führte. „Da haben wir ein Tor aufgestellt“, sagt Mantl, „ich hatte ein Trikot von Benni Lauth und eins von Kiraly, weil ich ihn in seiner Jogginghose so cool fand. Wir haben uns die Trikots angezogen und dann die Tore aus der Bundesliga nachgestellt.“

Als Kind sei er „ein Blauer“ gewesen, sagt Mantl. Doch später, als er über den FC Deisenhofen zu Unterhaching kam, verlor er sein Herz an die Spielvereinigung. Es hier zum Profi zu bringen, war ein Traum – aber dann wollte er mehr. Und es sah so aus, als würde er auch mehr schaffen. Er verließ Unterhaching für eine Rekordablöse von zwei Millionen Euro, doch in Salzburg geriet seine Karriere ins Stocken. Für Mantl, der ein Ausnahmetorwart werden sollte, war es jetzt die Ausnahme, wenn er Torwart sein durfte.

Er wurde erst für ein halbes Jahr zu Aalborg BK verliehen, dann, wieder für sechs Monate und wieder nach Dänemark, zu Viborg FF. Die Zeit habe ihn weitergebracht, sagt Mantl heute. Das erste Mal weit weg von München, das erste Mal auf sich alleine gestellt, das habe ihn reifen lassen. Auch als Torwart lernte er dazu. Er wolle die dänische Liga zwar „nicht der kleine Bruder der Premier League“ nennen, aber es gebe doch etwas, das die beiden verbinde: die Physis im Spiel, die Härte: „Da wird es nicht immer gepfiffen, wenn du bei einer Ecke zum Ball gehst und jemand in dich reinspringt. Da musst du einfach stabil bleiben beim Hochgehen, damit du nicht zwei Meter wegfliegst.“

Die Erfahrungen in Aalborg und Viborg sind auch deshalb so wertvoll, weil jetzt, in Portugal, etwas ganz anderes gefordert ist. Das Spiel ist technischer und schneller, Mantl ist nicht bloß Torwart, sondern elfter Feldspieler. Nimmt man beides zusammen, die Körperlichkeit in Dänemark und die fußballerischen Anforderungen in Portugal, so ist Mantl inzwischen kompletter geworden.

Er habe sich seine Karriere zwar anders vorgestellt, sagt er, aber sie ist ja noch lange nicht vorbei. Er kann es noch richten – und er ist fest entschlossen, das auch zu tun. Dafür nimmt er gerade zwar einen Umweg, aber an seinem Ziel hat sich nichts geändert. Nico Mantl will nach oben. Über Arouca, den Klub in der portugiesischen Provinz.