
Wer hat schon einmal mit einem dieser
Greifarme, die man auf Jahrmärkten und an Raststätten findet, erfolgreich ein
Stofftier aus einem durchsichtigen Glaskasten gefischt? Auch Michelle in The
Electric State versucht sich daran vergeblich. Dabei
steht sie gerade gar nicht auf einem Jahrmarkt, sondern in einer dystopischen
Kriegsruine, weshalb ihr von Chris Pratt gespielter Begleiter sie zu Recht
darauf hinweist: Sie könnte auch einfach die Scheibe einschlagen. Heißt: Sie
ist dieser Maschine überlegen. Mit ihrem eigenen Arm, ganz ohne Technologie,
könnte sie ihr Ziel leichter erreichen.
Es ist ein komischer Moment in dem neuen Netflix-Film The
Electric State. Die Gebrüder Russo, die ihn gedreht haben, nutzen nämlich
gerne so viel Technologie wie möglich. Schon in ihren Superheldenfilmen Avengers:
Endgame und Avengers: Infinity War war ein Großteil jedes Bildes
computergeneriert. In Interviews vermuten sie gerne, das Medium
Film, wie wir es kennen, müsste bald ganz aussterben und stattdessen durch KI-
und Streamingtechnologie etwas Neues entstehen. Wenn dieser Moment kommt, so
scheint es, wollen sie bereitstehen und Pioniere werden.
In The Electric
State erheben sie nun die Technologie zur
heimlichen Hauptfigur: Der Film spielt in einer alternativen Version der 1990er-Jahre, in der bereits ein Krieg zwischen Menschen und Maschinen in den
Geschichtsbüchern steht. Danach hat die Menschheit ihre Roboter entrechtet und
in ein Lager gesperrt. Wäre der Film nicht von den Brüdern Anthony und Joe,
würde man wohl annehmen, dass diese Auseinandersetzung mit Diskriminierung eine
metaphorische sei, dass es eigentlich um Rassismus gehe oder andere
gesellschaftliche Machtstrukturen. Aber nein, den Russos geht es: um
Roboterrechte.
Insiderberichten
zufolge soll The Electric State 320 Millionen US-Dollar gekostet haben
und somit Netflix‚ bis dato teuerste eigene Filmproduktion sein. Damit hätte Sean Baker
seinen Oscargewinner Anora über 50-mal drehen können. Es ist
nicht das erste Mal, dass der Streamer ein Rekordbudget in einen Haufen Schrott
investiert: Schon 2021 galt die hochkarätig besetzte Actionkomödie Red
Notice als bis dato teuerster Netflix-Film und fiel prompt bei der Kritik
durch.
Netflix
ist das womöglich egal: Red Notice wurde trotzdem von Millionen von
Menschen geguckt, das Unternehmen konnte Abos und Werbeplätze verkaufen. Mit The
Electric State könnte es ähnlich laufen, wenn nicht besser: Viele
Schlagzeilen beschreiben ihn schon jetzt als schlechtesten Film des Jahres –
ein Superlativ und eine Art Kanonisierung. Den schlechtesten Film will man
sehen, um mitlästern zu können.
Einen anderen Grund gibt es tatsächlich nicht.
The Electric State ist
farblos wie ein Großstadtwinter, die komplette Exposition findet in den
Dialogen statt, sodass man den Film ebenso gut als Hörspiel rezipieren könnte. Und den nostalgischen
Retrofuturismus hat man in Stranger Things schon wesentlich
besser gesehen.
Offenbar ist dieser Vergleich auch gewollt,
denn die weibliche Hauptfigur Michelle wird gespielt vom Stranger-Things-Star Millie Bobby
Brown. Michelles leibliche Eltern sind bei einem Unfall gestorben, ihr
Pflegevater verbringt die meiste Zeit mit seinem sogenannten Neurohelm. Trotz
ihrer schlechten Erfahrungen mit Robotern scheinen sich viele Menschen dieser
Technik bereitwillig zu ergeben. Man sieht sie wie Zombies auf ihren Veranden
liegen und sabbern, während die Neurohelme sie mit Unterhaltung berieseln.