So lief die Premiere der ersten Late-Night-Show auf Netflix mit John Mulaney

Nach den ersten zehn Minuten verkündet John Mulaney, es geschafft zu haben – der anstrengende Part seiner ersten Live-Talkshow auf Netflix sei vorbei. Der Stand-up-Teil ist durch, die Geburtstage sind verlesen und der erste Sketch ist aufgeführt. „And it went great“, bekräftigt ihn sein Sidekick Richard Kind. In den folgenden 50 Minuten kommt „Everybody’s Live with John Mulaney“ dem, was Mulaney selbst als „Jazz-like unpredictable Talkshow“ beschreibt, tatsächlich recht nah.

Natürlich ist es nicht wirklich Mulaneys erste Live-Talkshow. Im Mai 2024 hat er sechs Folgen „Everybody’s in LA“ als eine Art öffentliche Generalprobe aufgezeichnet. Diese strahlte eine unvorhersehbare und konfuse, aber in den wichtigen Momenten doch stringente Dynamik zwischen Host, Gästen und Publikum aus. Das Experiment gelang, und so kommt nun, zehn Monate später, die erste große Staffel: zwölf Folgen von „Everybody’s Live“. Jeden Mittwoch um 19 Uhr Ortszeit in Los Angeles (in Deutschland 3:00 Uhr morgens) streamt Netflix seine Show weltweit live.

Alles Möglich in jedem Moment

Den Grund dafür gibt Mulaney selbst: „I can’t do coke or adderall anymore, so I’m making it your problem. Will this show get my heart rate up to the level I feel alive? We shall see!“ Am gewohnt persönlichen und nahezu makellos vorgetragenen Stand-up stören nur die dauernden Lacher seines Sidekicks, dessen Mikrofon man für diesen Teil der Sendung leiser oder aus stellen sollte.

Ansonsten lässt Mulaneys Zwanglosigkeit die Show an den richtigen Momenten atmen. Es wirkt, als könnte in jedem Moment alles Mögliche passieren, wodurch eine interessante Grundspannung erzeugt und erhalten wird. Auch die Gäste dieser Folge – der Schauspieler Michael Keaton, die Musikerin Joan Baez, die Kolumnistin Jessica Roy und der Musiker Fred Armisen – wirken authentischer, als man es von anderen Talkshows kennt.

I can’t do coke or adderall anymore so I’m making it your problem.

John Mulaney

So stoppt die Folk-Ikone Joan Baez die Sendung für eine politische Botschaft: „You said I could say anything I want out here. We’re all here to be silly and have fun, and as long as we recognize the fact that our democracy is going up in flames… We’re being run by a bunch of really incompetent billionaires.“

Tatsächlich miteinander reden

„Everybodys live“ ist aufgrund der unbefangenen und unverkrampften Atmosphäre eine Promi-Talkshow, in der tatsächlich miteinander geredet wird. Anstatt der üblichen Late-Night-Show-Anekdoten samt Werbeblock fürs aktuelle kreative Projekt der Gäste geht es um ein vorab bestimmtes Thema. Diese Woche: Jemandem Geld leihen. Immer wieder streut Mulaney kurze, improvisierte Gags ein, dessen Übersetzung oder Nacherzählung sich hier jedem Sinn entziehen würde. „Everybody’s live“ steht direkt nach der Live-Ausstrahlung zum Abruf bereit.

Es ist beachtlich, wie John Mulaney dieses komplett neuartige Projekt für Netflix angeht. Er ist weitaus lockerer als bei seinen bisherigen Stand-Up-Shows. In „The Comeback Kid“ (2015) und „Kid Gorgeous at Radio City“ (2018) war Mulaney ein Schnell-Reder, eine Person mit zu viel Energie, was entweder dazu führte, dass man von ihm gefesselt war oder ihn super ausblenden konnte. In „Baby J“ (2023) erschafft er sich dann neu, ist gefasster, bringt mit seinem persönlichen Material aus der Drogenklinik ein anderes Tempo auf die Bühne.

Late-Night-Comedy weiterentwickelt

Sein Timing hat er in den letzten Jahren bis an die Perfektion grenzend weiterentwickelt. Nach wie vor reagiert er schnell und behält die Zügel seiner eigenen Show in der Hand. So würgt er jeden Live-Anrufer gekonnt ab, wenn er glaubt, genügend Inhalt von ihnen bekommen zu haben. Dazwischen streut er Weisheiten wie: „Good luck, come clean, life is long“.

Kurze Einspieler lockern die Sendung weiter auf, ein Fokusgruppen-Sketch ist das Highlight der Folge. Ob Netflix großen Erfolg mit dieser nischigen Live-Talkshow haben wird, ist unklar. Die lockere und improvisierte Situationskomik ist jedenfalls eine Erfrischung und erweitert das, sich ewig wandelnde, Genre der Comedy einmal mehr.