Sie bestimmen die Farben des Jahres

Jeder Mensch kann rund 200 Farbtöne sehen, zwei Millionen Farbnuancen sind es sogar, wenn man Helligkeit und Weißanteil variiert. Aber warum haben Verbraucher dann den oft objektiv nachvollziehbaren Eindruck, dass etwa Auto- oder Modefirmen in einem Jahr alle auf denselben Ton setzen?

Glaubt man Trendforschern, so sind manche Farben wichtiger als andere, denn sie bilden den Zeitgeist ab. Glaubt man der amerikanischen Firma Pantone, so gibt es Jahr für Jahr sogar nur eine einzige Farbe, die maßgeblich ist. Die Expertise, sie ausfindig und der Welt zugänglich zu machen, liegt laut Pantone bei: Pantone.

Es gibt nur eine einzige konsensfähige Farbe

Aber ist „Pantone Peach Fuzz“, jener cremige Pfirsichton, den Pantone-Chefin Elley Chen Ende 2023 als „Farbe des Jahres 2024“ ausgerufen hat, wirklich Ausdruck eines allgemeinen Bedürfnisses nach „Rückzug, Zugehörigkeit und Heilung“, wie sie im Namen des Unternehmens erklärt? Und ist das bestimmender oder treffender als beispielsweise das „Punchy Mimosa Yellow“, das die Nichtregierungsorganisation Intercolor, die sich ebenfalls international mit Farbtrends beschäftigt, im gleichen Zeitraum wegen seiner „Intensität und Energie“ für maßgeblich erklärt hat?

Ist das alles mehr als Kaffeesatzleserei? Schließlich ist in Studien hinlänglich erforscht, dass es sowieso nur eine einzige konsensfähige Farbe gibt. Blau nämlich, jene Farbe, die Menschen unabhängig von Nationalität und Kultur als ihre Lieblingsfarbe ausweisen. Und zwar, laut Forschenden, aufgrund der Omnipräsenz von Himmel und Meer, deren Blautöne als positiv empfunden werden. Andere Lieblingsfarben sind persönlich und ergeben sich aus individuellen, positiven Erfahrungen. Aber doch gibt es das Bedürfnis, jährlich eine aktuelle Farbe zu bestimmen, die für möglichst viele Menschen akzeptabel ist.

Umsatzplus statt Erkenntnisgewinn

„Bei Pantone ist die Wahl der Jahresfarbe vor allen Dingen ein wirtschaftspolitischer Akt“, sagt Niels Holger Wien, der Head of Color der Nichtregierungsorganisation Intercolor.

Ein Blick auf das Produktsortiment, für das Pantone Lizenzen vergibt, bestärkt diesen Eindruck: Neben Schreibwaren und Küchenbedarf gibt es Kleidung, Schuhe, Möbel, Kosmetika, Handys, Spielwaren und Kinderbücher in der jeweiligen Jahresfarbe, garniert mit dem Pantone-Logo. Zwar veröffentlicht das Unternehmen keine Finanzdaten, aber schon 2015 gab das Branchenblatt „Fast Company“ an, dass 15 Prozent des Jahresumsatzes aus dieser kommerziellen Lizenzierung stammen. Wirklichen Erkenntnisgewinn bietet die Farbe des Jahres von Pantone so eher nicht, sondern lediglich ein Umsatzplus.

Warum Pantone heute so wichtig ist

Angefangen hatte alles 1956 deutlich verdienstvoller, als der studierte Chemiker und Biologe Lawrence Herbert ein System entwickelte, mit dem Farben eindeutig wurden. Zuvor bestimmte allein die subjektive Wahrnehmung, wie ein „Beerenrot“ oder ein „Apfelgrün“ genau aussahen, erst recht, wenn es darum ging zu bestimmen, welche Pigmente man brauchte, um die Farbe genau so anzumischen. Herbert aber, der als Drucker für das Unternehmen Pantone Press arbeitete, ersann ein Druckverfahren, mit dem er ein komplettes Farbspektrum aus nur zehn Grundpigmenten herstellte. Sein sogenanntes Pantone Matching System definierte die genaue Pigmentmischung, die notwendig war, um einen bestimmten Farbton herzustellen, und versah ihn mit einer Referenznummer. Diese Farben und Nummern stellte Pantone in Büchern zusammen und sorgte dafür, dass Farbe von einer subjektiven Größe zu einer eindeutigen, quantifizierbaren Einheit – und Ware wurde.

Weil das, auch international, das Arbeiten mit Farbe enorm erleichterte, ist das Unternehmen bis heute für so unterschiedliche Branchen wie Textilien, Mode, Kosmetik, Innen- und Industriedesign sowie Architektur bedeutsam, die sich auf Farbstandards verlassen müssen. Diesen Pantone-Service müssen Nutzer teuer bezahlen, knapp 11.000 Euro kostet beispielsweise allein die Farbbibliothek für den Bereich Mode und Heimtextil mit 2800 Stoffmustern in Pantone-Farben.

Kritik an Pantones Marktmacht

Und auch die „Farbdienstleistungen“, zu denen Trendvorhersagen rund um die Farbe des Jahres gehören, die jeweils mit einem Vorlauf von bis zu drei Jahren erarbeitet werden, damit sich alle, die interessiert sind, darauf einstellen können, lässt sich Pantone fürstlich bezahlen.

Natürlich ist Pantone nicht das einzige Unternehmen, das Farbtrends vorhersagt. Trendforschungsinstitute wie WGSN oder solche mit Fokus auf Farben wie Coloro oder auch Lidewij Edelkoorts Trend Union sind auch in dem Bereich aktiv, Pantone aber ist der Platzhirsch.

Dessen Fähigkeit zur Farb- und Preissetzungsmacht sieht Niels Holger Wien von Intercolor durchaus kritisch. „Sie haben Einfluss, aber ihre Ausrichtung ist sehr kommerziell“, sagt er, „meiner Meinung nach sprechen sie deswegen auch eher Marketingverantwortliche an.“ Für die Intercolor sei eine Zusammenarbeit mit Pantone wegen der enormen Reichweite interessant gewesen, aber finanziell nicht leistbar. „Pro Saison 10.000 Euro, um den Namen nutzen zu dürfen, das ist zu viel.“

Farben wirken in Nordeuropa anders als in Südasien

Im Vergleich zu Pantone ist die Intercolor ein Zwerg. Aber einer mit langjähriger Geschichte. Denn die Organisation feierte im vergangenen Jahr ihr sechzigjähriges Bestehen. Schon 1963 entstand sie auf Initiative der Schweiz, Frankreichs und Japans und aus dem Wunsch, Farbtrends in einem internationalen Gremium zusammenzutragen und gemeinsame Positionen zu entwickeln.

Für Wien ist die Vielfalt der Perspektiven entscheidend: „Die Wahrnehmung von Farben ist auch abhängig von lokalen Gegebenheiten“, sagt er. Lichtverhältnisse beispielsweise, die Intensität der Sonnenstrahlung, seien von Land zu Land unterschiedlich, in Nordeuropa beispielsweise ganz anders als in Südasien. Entsprechend wirkten Farben anders, gäbe es ein unterschiedliches Verständnis für bunte und abgetönte Farben.

Eine internationale Organisation

Wien hat in Antwerpen Mode und Grafikdesign studiert, war für die Trendforscherin Lidewij Edelkoort tätig, unterrichtet an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam und auf Burg Giebichenstein in Halle und berät unterschiedliche Firmen. Er schätzt die Arbeit der Intercolor vor allem, weil „hier Vertreter ganz unterschiedlicher Organisationen repräsentiert sind“. 17 Länder sind momentan Mitglied, es gibt den Zusammenschluss freier Designer, wie im Fall von Großbritannien, die die British Textile and Colour Group bilden, die von der Industrie gefördert werden. Aus Frankreich kommt das Comité de la Couleur, ebenfalls eine NGO, aus Spanien ein Forschungs­institut der Universität von Barcelona, aus China ein großes staatliches Institut, die China Fashion and Color Authority. Mitglieder kommen und gehen, aus Südosteuropa ist beispielsweise nur Ungarn verblieben, dafür gibt es Anfragen aus Ägypten, Ecuador und Pakistan. Wien: „Es geht nicht darum, eine Farbe des Jahres zu identifizieren“, sagt er, „sondern die unterschiedlichen Geschichten, Entwicklungen und Narrative kennenzulernen und nach Parallelen zu suchen.“

Einmal im Jahr kommen die Mitglieder dafür zusammen, je zwei pro Land werden entsendet und bringen Materialien, Farbproben und Erzählungen mit. Sie sichten, diskutieren, filtern und destillieren – und legen sich fest.





Eine Geschichte aus dem Frankfurter Allgemeine Quarterly, dem Zukunftsmagazin der F.A.Z.

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Dass die Ergebnisse, die sie dann in unterschiedlichen Kontexten im Rahmen von Beratungen etwa der Textil- und Modeindustrie, Lehraufträgen und eigenen Trendpublikationen in die Welt tragen, mehr sind als Kaffeesatzleserei, sondern das Ergebnis akribischer Studien, zeigt ein konkretes Beispiel. „Ich habe im letzten Jahr zusammengetragen, was sich in Deutschland im Zusammenhang mit der Letzten Generation ereignet hat“, sagt Niels Holger Wien, „die haben sich im Alltag auf eine ganz bestimmte Art und Weise sichtbar gemacht, nämlich über das energetische Orange.“

Weltweit ist dieses Phänomen nur in Frankreich bekannt, dort durch die sogenannten Gelbwesten-Proteste, entsprechend groß war die Neugierde der anderen Mitgliedsländer, zu verstehen, worum es dabei geht. „Ich finde es spannend, ein solches Phänomen, das Ausdruck gesellschaftlicher Zustände ist, zu beschreiben“, sagt Wien, „auch wenn es politisch sehr diskutierbar ist. Es steckt Energie darin, die sich aus Wut und Unmut speist, Energie, aus der man etwas machen kann. Niels Holger Wien hat einen Begriff erfunden, der diese Energie des Ärgers mit dem Orange verbindet: Angergy.

Mag sein, dass Pantones „Peach Fuzz“ gebrandet auf Kaffeetassen, Schlüsselanhängern und Mobilfon-Schutzhüllen in diesem Jahr große Sichtbarkeit erreicht hat. Mag sein, dass dank Pantones Farbsetzungsmacht die Textil-, Mode- und Kosmetik- sowie Designindustrie vermehrt pfirsichfarbene Produkte auf Messen und in Schaufenstern nach vorn rückt und mitunter sogar verkauft. Aussagekräftiger für die Verfassung der Welt scheint ein signalfarbenes Farbspektrum, bezeichnet mit dem Kunstwort Angergy, aber allemal.