Selfieverbot: Sie haben heute leider kein Foto für uns

„Keine Selfies etc.“ – so lautet der letzte Halbsatz eines Papiers, mit dem die Parteispitzen von SPD und Union jetzt ihre Verhandler gebrieft haben. Man muss diesen Satz programmatisch verstehen: „Keine Selfies etc.“ beschreibt das inszenatorische Nicht-Programm dieser kommenden Regierung perfekt. Die Unlust, etwas darzustellen, die Verweigerung, ein bestimmtes Bild von sich abzugeben, ist so auffällig wie bezeichnend für das, was politisch auf das Land zukommt.

Es ist noch früh, ja. Aber im Vergleich zu vormaligen Regierungen ist die Bildlosigkeit schon jetzt bemerkenswert. Die Ampel-Koalition startete schließlich mit jenem berüchtigten Selfie der Spitzen von FDP und Grünen, das ein damals noch verheißungsvolles, später fatal gescheitertes ökoliberales Projekt visuell auf den Punkt brachte.

Dieses Scheitern wollen Union und SPD offenbar nicht riskieren. Nun ist es zugegebenermaßen auch schwer, sich ein politisch prickelndes Bild mit Friedrich Merz, Lars Klingbeil, Thorsten Frei und Saskia Esken vorzustellen. Dass es bis dato aber vor allem Standardmotive von beschlippsten Männern an Konferenztischen mit silbernen Kaffeethermoskannen gab, die den visuellen Charme eines schwäbischen Maschinenbauunternehmens versprühten, führte in der Öffentlichkeit dann schnell zu einer klaren und in den Parteizentralen offenbar auch nicht antizipierten Deutung: So eine graue Männerkoalition!

Das zeigt schon: Wer sich nicht selbst ausreichend inszeniert, überlässt die Interpretation schlicht anderen. Bilder gibt es immer, und selbst ihre Abwesenheit sendet eine Botschaft. Man kann, so ließe sich in Anlehnung eines alten Bonmots des Philosophen Paul Watzlawick sagen, auch visuell nicht nicht kommunizieren.

Mehr als dreißig Jahre ist es her, dass die Kulturwissenschaft den „iconic turn“ diagnostizierte. Die Alltagskultur wird seit dem Siegeszug des Fernsehens eher von Bildern als von Sprache beherrscht. Eine Entwicklung, die sich mit foto- und videolastigen Plattformen wie Instagram und TikTok noch beschleunigt hat. Parteien können es sich deshalb eigentlich nicht leisten, visuelle Inszenierung als Nebensache zu behandeln.

Dass dabei jedes Bild auch ein Risiko ist, zeigt nicht nur das Ampel-Selfie. Ursula von der Leyen inszenierte sich in ihrer Zeit als Verteidigungsministerin gern als Fregattenkönigin auf dem Schiffsbug, Otto Schily griff als Innenminister zum Schlagstock und setzte dazu Helm und ein breites Grinsen auf. Die Aufnahmen waren programmatisch für die Politik und den Stil der beiden, wurden aber auch umgehend von ihren Gegnern gegen sie verwendet. Von den karnevalesken Stunts des Söder-Darstellers Markus Söder ganz zu schweigen.

Dass Union und SPD die Inszenierung scheuen, ist auch deshalb bemerkenswert, weil sie ja was zu inszenieren hätten. Die Hunderte Milliarden Euro schweren Pakete für Rüstung und Infrastruktur, die innenpolitische Abkehr von der Austerität sowie die außenpolitische Herkulesaufgabe, Europa nach Jahrzehnten von den USA unabhängig zu machen, ist Politik im Superlativ. Dagegen sind die „Zeitenwende“ und der „Doppelwumms“ von Olaf Scholz fast Kinkerlitzchen. Warum machen Merz und Co darum so wenig Aufsehen, warum setzen sie ihre gigantischen Vorhaben nicht größer in Szene?

Von wegen Mäßigung

Die ostentative Unterinszenierung dieser Umbruchszeit lässt sich damit erklären, dass sich die Christdemokraten mit ihrer eigenen Politik unwohl fühlen. Schließlich bricht Merz mit dem riesigen Sondervermögen ja zum einen zentrale Wahlkampfversprechen, allen voran das Insistieren auf der Schuldenbremse. Zum anderen fällt der Union nun aber auch ihre unbedingte Rhetorik aus dem Wahlkampf auf die Füße. Entgegen dem konservativen Ideal der Mäßigung und des Ausgleichs zogen Friedrich Merz und Carsten Linnemann noch vor wenigen Wochen mit Durchregierungsfantasien durch die Republik und formulierten dabei so viele rote Linien, dass man den Überblick verlieren konnte. Wer so redet, schafft eine politische Atmosphäre, in der Kompromisse synonym mit Verrat werden.

Deshalb muss die Union nun ihre Kehrtwende und ihre Kompromisssuche mit SPD und Grünen camouflieren. Bevorzugt nutzt sie dafür die Überschrift „Realismus“. Ihre Vertreter betonen gerade in allen Talkshows, man müsse jetzt wieder „realistische Politik“ machen. 

Dass dieser Realismus in einer abrupt wandelnden Welt auch von Konservativen den Bruch mit dem eigenen Anspruch auf Mäßigung sowie den laut vorgetragenen Wahlkampfversprechen verlangt, müssen Merz und Co. verstecken. Sie wollen ihr Dilemma nicht auch noch für alle sichtbar inszenieren.