„Scholz hat sich verrannt“ – Ukraine-Hilfen verkommen zum Wahlkampf-Thema

Spätestens mit einer Abstimmung am Mittwoch ist das Thema Ukraine-Hilfen im Wahlkampf angekommen. Union und FDP greifen dabei SPD und insbesondere Kanzler Scholz scharf an. Die Parallelen zu ihrer Taktik beim Thema Migration sind unverkennbar.

Nein, die SPD-Fraktion habe sich beim Thema Ukraine-Hilfe keineswegs von ihrem SPD-Kanzler abgesetzt. „Null Millimeter“, sagte Dennis Rhode, haushaltspolitischer Sprecher der Sozialdemokraten im Bundestag.

Man habe sich bei der Abstimmung im Haushaltsausschuss am späten Mittwochabend enthalten, weil es schlicht nichts gebe, was Bundesfinanzminister Jörg Kukies (SPD) den Parlamentariern zur Abstimmung vorlegen könne. Die Aufforderung des Ausschusses, genau dies zu tun, habe deshalb wenig Wert. „Was wir gerade sehen, ist reine Schaufensterpolitik“, verteidigte Rohde das Abstimmungsverhalten seiner Partei.

Die Ukraine-Hilfe ist endgültig im zunehmend hitzigen Wahlkampf angekommen. Kanzler Olaf Scholz verweist bereits seit Wochen bei jedem öffentlichen Auftritt darauf, dass für weitere Waffenlieferungen die Mittel fehlen – Sicherheit und Soziales, Waffen und Rente, dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Er werde nur zustimmen, wenn man die Hilfe über zusätzliche Kredite finanziere, die Schuldenbremse ein weiteres Mal ausgesetzt werde. Union und FDP sehen dagegen durchaus einen finanziellen Spielraum für die drei Milliarden Euro. Man dürfe die Menschen in der Ukraine jetzt nicht im Stich lassen. Genauso bewerten das die Grünen.

Neu ist: Union und FDP versuchen nun ähnlich wie beim Thema Migration, den Druck auf den Kanzler und die SPD durch herbeigeführte Abstimmungen zu erhöhen. Dadurch steigt allerdings nicht die Wahrscheinlichkeit, dass es noch vor der Wahl am 23. Februar zu einer Einigung kommt – im Gegenteil.

Das zeigen die Reaktionen auf den Abstimmungserfolg von Union und FDP im Haushaltsausschuss. Beide Parteien hatten überraschend einen Antrag durchgebracht, in dem die Bundesregierung ausdrücklich aufgefordert wird, zusätzliche Militärhilfen für die Ukraine in Höhe von drei Milliarden Euro zu bewilligen und eine „demokratische Abstimmung in dieser wesentlichen Frage nicht länger zu blockieren“, wie es in dem Beschluss heißt.

Dafür reichten die Stimmen von Union und FDP, weil sich die Vertreter der Rest-Regierung enthielten – nicht nur die der Grünen, die ebenfalls für die Hilfe sind, sondern auch die der SPD. Dagegen stimmten die Abgeordneten von AfD und Linke.

Bindend ist das Votum für die Regierung nicht. Sie kann der Aufforderung folgen, muss dies aber nicht. Es kommt zunächst auf das Verteidigungsministerium und das Auswärtige Amt an. Sie müssen sich mit dem Kanzleramt auf einen gemeinsamen Weg verständigen, sie müssen einen Antrag auf eine sogenannte „überplanmäßige Ausgabe“ von drei Milliarden Euro beim Finanzministerium einreichen. Dort wird der Antrag geprüft und je nach Ausgang dann ans Parlament weitergereicht. So sieht es das Gesetz vor.

Bislang liegt ein solcher gemeinsamer Antrag beim Finanzministerium nicht vor und er wird auch nicht mehr kommen. Das machte zumindest das Verteidigungsministerium deutlich. Es gebe keinen von der Leitung des Bundesministeriums der Verteidigung gebilligten Antrag und damit auch keinen zwischen den Leitungen der für die Ukraine-Hilfe zuständigen Ressorts geeinten Antrag. „Und es wird auch keinen geben“, teilte eine Sprecherin von Boris Pistorius (SPD) mit.

„Arbeiten an einer Lösung“, heißt es aus dem Außenministerium

Dass man sich im Auswärtigen Amt von Annalena Baerbock (Grüne) anders zu der Situation äußert, ist eine weitere Facette des Streits um die Ukraine-Milliarden. Dort legt man Wert auf die Feststellung, dass „das Verteidigungsministerium und das Auswärtige Amt einen konkreten Vorschlag ausgearbeitet“ hat, wie die Ukraine weiter mit zusätzlichen Materiallieferungen unterstützt werden kann.

Doch diese Einigung gibt es offensichtlich nur auf Fachebene, nicht auf Leitungsebene. Denn aus dem Außenministerium heißt es weiter: „Wir arbeiten im Nachgang der Sitzung des Haushaltsausschusses weiter an einer gemeinsamen Lösung, können uns aber nicht zu den laufenden regierungsinternen Abstimmungen äußern.“ Ohne gemeinsame Lösung der Regierung und ohne eine entsprechende Vorlage des Finanzministers über die drei Milliarden Euro kann der Haushaltsausschuss nichts beschließen.

Den Parlamentariern bleiben deshalb nur Appelle: „Der Bundeskanzler, der bisher mit seiner Macht verhindert, dass es Lösungswege für die drei Milliarden gibt, während für anderes Milliarden da sind, sollte endlich über seinen Schatten springen“, sagte Otto Fricke, haushaltspolitischer Sprecher der FDP. Der Beschluss des Haushaltsausschusses sollte für einen Regierungschef bedeuten, dass man spätestens jetzt der ersten Gewalt folgen sollte.

Um den Wunsch des Parlamentes zu verstärken, werde die FDP am Freitag das Ganze im Plenum noch einmal zur Abstimmung bringen. „Spätestens dann sollte der Kanzler Vernunft walten lassen und einlenken“, sagte Fricke. Der erste Versuch der FDP war im Bundestag am Donnerstag um 0:30 Uhr gescheitert, weil zu der späten Stunde nicht mehr genug Abgeordnete anwesend waren.

Ähnliche Aufforderungen an den Kanzler und die SPD kommen von der Union.„Bundeskanzler Scholz und die SPD haben sich komplett verrannt. Das politische Kalkül wird nicht aufgehen, sich als vermeintlicher Friedenskanzler zu präsentieren und damit einen Wahlsieg zu landen“, sagte Christian Haase, Chefhaushälter der CDU/CSU-Fraktion. Scholz nehme billigend eine Schwächung der Ukraine in Kauf.

Gleichzeitig wolle er die Union mit der erneuten Feststellung einer Notlage erpressen. „Doch wir werden nicht sehenden Auges einen Verfassungsbruch begehen, wie ihn Scholz indirekt einfordert, indem er ein Junktim zwischen Ukraine-Hilfen und der Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung des Art. 115 GG herstellt“, sagte Haase.

Auch bei den Grünen steht die Linie für die letzten Wahlkampfwochen bei diesem Thema fest. „Die Menschen in der Ukraine brauchen jetzt Schutz gegen die brutalen Bomben Putins. Aus unserer Sicht sind die drei Milliarden finanzierbar, auch ohne Kürzungen und ohne Notlagenbeschluss, für den es aktuell keine Mehrheit im Bundestag gibt“, sagte der haushaltspolitische Sprecher Sven-Christian Kindler.

Karsten Seibel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet unter anderem über Haushalts- und Steuerpolitik.