Psychologie: Manche Menschen neigen dazu, sich ihre Fehler und unangenehme Situationen schönzureden

„War nicht so schlimm“, „Geht nicht anders“, „Das läuft doch gut“ – manche Menschen neigen dazu, sich ihre Fehler und unangenehme Situationen schönzureden. Die Psychologin Astrid Schütz erklärt, wann die Grenze zum Selbstbetrug überschritten ist.

Dem alt-griechischen Dichter Aesop wird die Fabel vom Fuchs und den Trauben zugeschrieben. Darin versucht ein kleiner Fuchs, Früchte an einem Weinstock zu erreichen. Er scheitert wiederholt, gibt schließlich auf mit den Worten: „Sie sind mir noch nicht reif genug, ich mag keine sauren Trauben.“ Und spaziert stolz davon.

Wenn Menschen unangenehme Situationen erleben, neigen sie dazu, sich die Erlebnisse schönzureden. Oder sich selbst zu versichern, dass sie gar nicht so schlimm waren. Unser Verhalten und unsere Einstellung widersprechen sich manchmal, die psychologische Forschung nennt das kognitive Dissonanz.

Kognitionen sind mentale Ereignisse, die mit einer Bewertung verbunden sind, Meinungen etwa, Einstellungen, Glaubenssätze. Bei widersprüchlichen Bewertungen können Konflikte entstehen, eben die Dissonanzen.

Die Theorie der kognitiven Dissonanz wurde 1957 vom US-amerikanischen Sozialpsychologen Leon Festinger entwickelt. Um die inneren Widersprüche schnell und gut in Einklang zu bringen, setzen Menschen unterschiedliche Strategien ein. Dabei muss sich entweder das Verhalten anpassen oder die Einstellung.

Eine Expertin auf dem Gebiet ist Astrid Schütz. Sie lehrt Persönlichkeitspsychologie und psychologische Diagnostik an der Universität Bamberg. Die Psychologin nennt ein Beispiel: Wenn Raucher auf die gesundheitlichen Folgen ihres Lasters aufmerksam gemacht werden.

„Zunächst besteht ein unangenehmer Spannungszustand, eben die Dissonanz.“ Wenn Raucher auf Zigarettenschachteln die Botschaften zu den Risiken lesen, dann „ist es einfacher, die Einstellung zu ändern und sich zu sagen: an irgendetwas muss man sterben.“ Viele Dinge seien gefährlich. Außerdem gebe es Menschen wie Helmut Schmidt, die als starke Raucher sehr lange gelebt haben.

„Das ist deutlich einfacher, als mit dem Rauchen aufzuhören“, sagt Schütz. Ohnehin entpuppt sich das Schönreden mitunter als bequem. Vor allem, wenn das falsch empfundene Verhalten in der Vergangenheit liegt und sich nicht mehr ändern lässt. Aber auch zukünftiges Verhalten sei beschwerlicher anzupassen als eine Einstellung zum Thema, sagt Schütz.

Ein derzeit beliebtes Beispiel für eine kognitive Dissonanz bietet der Umgang mit der Klimaveränderung. „Wir alle wissen, es ist höchste Zeit zu handeln in Sachen Klimakrise. Individuell, aber auch kollektiv“, sagt Schütz. Doch seinen Lebensstil entsprechend anzupassen, ist beschwerlich: Etwa in den Urlaub zu fliegen. Das ist vielleicht einfacher und sogar günstiger als mit dem Zug zu reisen, im Alltag erscheint das Auto nützlicher als Fahrrad oder der öffentliche Nahverkehr.

„Häufig minimieren wir dann die Bedeutung unseres Verhaltens oder wir werten andere Bereiche auf. Wir sagen uns: Ich trenne ja sehr sorgfältig den Abfall.“ Der Mensch findet Gründe für die Ausnahmen – und schiebt die eigentlich vernünftige Verhaltensänderung auf.

Selbst bei der Qual der Wahl, neigt der Mensch zu nachträglicher Schönfärberei: Wenn man sich zwischen mehreren attraktiven Alternativen entscheidet, werden im Nachhinein häufig Gründe gesucht, um die Wahl zu legitimieren. Auch dafür gibt es eine wissenschaftliche Erklärung. Astrid Schütz nennt sich die Entscheidungs-Dissonanz-Reduktion.

Wenn die Entscheidung ungünstig war, werden Scheinerklärungen herangezogen. Etwa Unkonzentriertheit oder Bedrängnis. „Wir müssen uns nicht sagen, dass wir uns da unklug verhalten haben, sondern wir finden äußere Gründe.“ Das sei typisch, die meisten Menschen schreiben Erfolge sich selbst zu und Misserfolge anderen. „Das schützt den Selbstwert, aber es kann auch verhindern, dass wir aus Fehlern lernen. Denn wenn immer die anderen schuld waren, müssen wir ja nichts ändern.“

Andererseits gibt es gute Gründe für die kleinen Tricksereien im Geist. „Unser Leben wäre zu kompliziert, wenn wir über jede Entscheidung im Nachhinein grübeln würden“, sagt Schütz. Sich später die Dinge so zurechtlegen, dass sie passen, sei bei wenig gravierenden Ereignissen schon in Ordnung – selbst wenn manches eventuell verzerrt werde. Es könne wohltuend und entlastend sein, wenn Menschen sich zufriedengeben mit Entscheidungen und nicht ständig hadern, ob alles perfekt gemacht wurde.

Schütz kommt auf den Fuchs in der Fabel zurück. Würde das Tier immer weiter versuchen, die Trauben zu erreichen, über Zäune und Mauern zu klettern, Vorsichtsmaßnahmen zu ignorieren, könnte es gefährlich werden für ihn. Manche Menschen rennen unaufhörlich gegen Widerstände an, im Extremfall bis zum Burnout.

Das Schönreden hat aber seine Grenze. Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum, übermäßiges Arbeiten oder eine toxische Beziehung kann sich langfristig negativ auswirken und sehr schädlich sein. „Da würde ich sagen, dann lieber nicht die Dinge positiv verzerren.“ Die Psychologin rät in diesen Fällen dazu, gut zu prüfen, genau zu beurteilen und sich Hilfe zu holen.

„Aha! Zehn Minuten Alltags-Wissen“ ist der Wissenschafts-Podcast von WELT. Darin berichten Experten aus ihrer Forschung und klären populäre Fragen – von Alltagsmythen bis zu psychologischen Phänomenen. Alle Folgen finden Sie unter welt.de/Aha