Neuer Creative Director: So wird sich Dior unter Jonathan Anderson verändern

Es hätte auch einfach ein großes umgekehrtes Dreieck sein können, das da im Schauentheater in den Tuilerien installiert worden ist, aus dekorativen Gründen. So wie die erste Liga der Luxusmarken selten Kosten und Mühen scheut, um Eindruck zu schinden. Aber bei Dior – und folglich nun bei Jonathan Anderson – ist dieses Dreieck am Mittwochnachmittag eine Leinwand: Die Ära Jonathan Anderson bei Dior beginnt mit einem Film.

Thriller? Doku? So ganz klar ist das nicht, wie auch Anderson in seiner Arbeit mit den Referenzen jongliert. Bevor sein Dior zu sehen ist, zeigt er das Dior der Vergangenheit. Der Gründer und viele seiner Nachfolger tauchen auf, es wird viel genäht, gedrängelt, es spritzt Blut. Anderson führt den Modeleuten mit dem Film überspitzt ihre eigene Branche vor. 

DSGVO Platzhalter

Diesen Tag haben sie sich dick im Kalender markiert. „Dior Day“ schallt es schon am Morgen von Instagram. Es ist einer der großen Höhepunkte in einer Saison mit vielen Premieren. Weil etliche Designer in den vergangenen Monaten ihre Plätze räumen mussten, rücken jetzt überall welche nach. Für den Briten Jonathan Anderson lief es dabei bestmöglich: Dieser ehrgeizige Designer ist jetzt da, wo er mit seinen eigenen Ansprüchen hingehört.

Der meistbeschäftigte Designer der Branche

Auf die erste Frau in der Geschichte des Hauses Dior, auf Maria Grazia Chiuri, folgt Jonathan Anderson. Er ist der zehnte Mann an der kreativen Spitze von Dior und zugleich eine Ausnahmeerscheinung, denn anders als seine Vorgänger ist er für Damen- und Herrenmode verantwortlich. Hinzu kommen Couture- und Zwischenkollektionen. Der neue Job bei Dior macht ihn auf einen Schlag zum meistbeschäftigten Designer der Branche, denn seine Verpflichtungen beim eigenen Label JW Anderson sowie für den japanischen Fast-Fashion-Händler Uniqlo gibt er nicht auf.

Dass Jonathan Anderson liefern kann, hat er nirgendwo besser als bei seinem ehemaligen Mutterhaus Loewe unter Beweis gestellt. Im Podcast des Galeristen David Zwirner erzählte er vor einer Weile mal, wie er Bernard Arnault, den Chef des Luxuskonzerns LVMH, im Alter von 27 Jahren davon überzeugte, ihm diese angestaubte spanische Luxusmarke zu überlassen. Seine Behauptung damals: Luxus sei tot. Anderson erklärte das unter anderem damit, dass britische Supermärkte mit luxuriösen Würstchen werben würden. Für Loewe schwebe ihm mehr kultureller Hintergrund vor als der bloße Verweis auf den Luxusbegriff.

Immer wieder taucht die Schleife auf

Handwerkskunst, Geschichte, das Überwinden von Geschlechtergrenzen, das sind bis heute seine Themen als Designer. Damit macht er jetzt bei Dior weiter und nimmt sich die weiblichsten Elemente der Markengeschichte vor. Immer wieder taucht in dieser ersten Damenkollektion die Schleife auf, sie dekoriert plissierte Kleider, sitzt mal locker, mal ordentlich geschnürt im Nacken, hält lange Umhänge zusammen. Oder der Hut, eigentlich war er schon in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Jonathan Anderson holt ihn mit breiten, umgeschlagenen Krempen zurück. Die Barjacke, mit der Christian Dior 1947 seinen New Look begründete, ist bei ihm jetzt weit ausgestellt und verkürzt. Überhaupt erinnert das Spiel mit Volumen an die Theatralik der Ära John Galliano. Zusammen mit weiten Bermudashorts und buntem Denim holt Anderson seine Entwürfe aber dann wieder in die Jetztzeit.

Mit Schleife: ein Entwurf von Jonathan Anderson für Dior
Mit Schleife: ein Entwurf von Jonathan Anderson für DiorReuters

So gehört es im Jahr 2025 auch dazu, dass die anwesenden Promis schon im Look der Kollektion gekleidet sind. Die Schauspielerin Michelle Monaghan trägt den breiten Schleifenkragen. Johnny Depp ist da, Rosamunde Pike, die britische Designerin Bella Freud.

Er setzt auf Diors historisches Erbe

Jonathan Anderson wuchs als Sohn einer Englischlehrerin und eines professionellen Rugby-Spielers im nordirischen Städtchen Magherafelt auf. Privaten Interessen geht er mit so viel Besessenheit nach wie seinen beruflichen Verpflichtungen. Handwerkskunst zum Beispiel. Oder Bücher. „Ich bin ein eifriger Büchersammler“, sagte er mal in einem Interview mit dem F.A.Z.-Magazin im Jahr 2016. „Kreuz und quer durch die Genres, das ist mittlerweile schon ein Problem. In manchen Wochen kaufe ich 50 Bücher, letztes Wochenende waren es 60.“

Mit den Archiven von Dior dürfte sich so eine neue Schatzkammer für ihn eröffnen. Wenn seine Vorgängerin Maria Grazia Chiuri dem Feminismus in der Luxusmode einen Platz gegeben hat, dann setzt Jonathan Anderson nun auf das historische Erbe. Diese Geschichte hat gerade erst angefangen.