Was ist auf den Fashion Weeks in Mailand und Paris los?

Sechzig ist das neue zwanzig

Dass die Models, die Luxusmode präsentieren, meist viel jünger sind als die Klientel, ist ein Widerspruch, der bleibt. Für Frauen jenseits der 25 ist es trotzdem eine Wohltat, in Paris zu landen. Zumindest hier, und zumindest in puncto Stilvorbilder scheint Sechzig das neue Zwanzig zu sein. Da wäre Philippine Leroy-Beaulieu (61), besser bekannt als Sylvie in „Emily in Paris“, die am Dienstagabend, beim Grand Dîner du Louvre, bewusst in Trippelschritten auf die Fotografen zuläuft. An vielen anderen hätte ihr Kleid von Balenciaga wie das ausgesehen, an das es erinnern soll: einen schwarzen Müllsack. Leroy-Beaulieu aber schaut nicht unsicher drein, sondern trägt das kontroverse Teil zum breiten Lachen, Hände in den Hüften, Sonnenbrille auf der Nase, obwohl es dunkel ist. So auch Elle Macpherson (60) bei Dior: „Heute mit Brille“, ruft sie den Fotografen zu. Und wer am Boulevard Haussmann aus dem Bus springt, steht direkt vor Michelle Pfeiffer (66) in der Saint-Laurent-Kampagne. Nach Paris passt sie besonders gut.

Inside-outside bei Dolce & Gabbana
Inside-outside bei Dolce & GabbanaHelmut Fricke

Laufsteg und Streetstyle

Man reibt sich verwundert die Augen: Die Models bei Dolce & Gabbana tragen schwarze Wollmützen, weite Cargohosen und olivfarbene Parkas. Wenn unter den Jacken nicht schwarze Spitze durchblitzen würde, könnte man glauben, auf der falschen Schau zu sein. Dolce & Gabbana steht seit Jahrzehnten wie kaum eine andere italienische Marke für Weiblichkeit und Sexyness. Da passt Streetstyle nur bedingt dazu. Aber schnell klärt sich, warum die Models Jacken tragen: Nachdem sie brav den Laufsteg abgeschritten haben, gehen sie raus auf die Straße, wo sie noch einmal laufen, während DJ Victoria De Angelis die Menge anheizt. Der Outdoor-Laufsteg wird wiederum auf die riesige Leinwand indoor übertragen. Diese Show ist einmalig, schließlich finden die Defilees ansonsten hinter verschlossenen Türen statt. Es könnte eine Hommage an die vielen Fans sein, die wie bei jeder Show am Viale Piave stehen und deren Kreischen allein zum Spektakulärsten gehört, was in Mailand während der Modewoche zu sehen ist.

Pelzmonument bei Etro
Pelzmonument bei EtroHelmut Fricke

Im nächsten Winter wieder die Fellmütze

Ist es dekadent, wenn man wie auf den Laufstegen in Mailand Pelz so zur Schau trägt? In diesem Fall nicht, denn die Pelze in nahezu jeder Kollektion sind nur aus Wolle. Deshalb ist es auch nicht verwerflich, eine Fellmütze zu tragen, die größer ist als der Kopf eines Bären – wie bei Etro. Solche Pelzmonumente garantieren nicht nur warme Ohren bei bis zu Minus 40 Grad, sie sehen auch spektakulär aus. Pelz ist aber nicht nur das wärmende Element in den Kollektionen, er ist auch Deko. Am raffiniertesten setzt das Francesco Risso für Marni um. Entweder er legt die gigantischen Pelzteile um den Hals, oder er lässt sie als breiten Saum an ein zartes Seidenkleid oder als Brosche an die Schulterpartie nähen, sodass man auf den ersten Blick nicht erkennt, ob es Fell ist oder ein ­Minichihuahua. Spektakulär auch der von den Sechzigerjahren inspirierte Fellmantel bei Prada, der mit einer Klarsichtfolie überzogen nebenbei zum Regenmantel wird. Oder der Trenchcoat bei Tod’s, der nach Pelz aussieht, aber nur ein Druck ist.

Besucher bei Tod’s.
Besucher bei Tod’s.Helmut Fricke

Very important customers

Der Luxusmarkt schwächelt. Da ist es wichtig, die wohlhabenden Kundinnen bei Laune zu halten. Eine gute Kollektion ist das eine, Sonderbehandlung das andere. Besonders gepflegt werden deshalb die VICs, jene „Very Important Customers“, die von den Flagship-Stores als gute Kundinnen ausgemacht und zu den Fashion-Shows eingeflogen werden. Meistens sitzen sie mit Partner unerkannt inmitten der Fashion-Crowd mit Blick auf den Laufsteg. Sie werden in noblen Hotels untergebracht, Dinner inklusive. Mittlerweile gibt es bei den großen Marken eigene Mitarbeiter, die nur die VICs betreuen und damit den Trend zum erlebbaren Luxus bedienen. Marken wie Armani verfügen über eigene Hotels und Restaurants, um aus dem Kurztrip ein unvergessliches Erlebnis zu machen – und die Bindung zu der steigenden Zahl der superreichen UHNWIs (Ultra-High-Net-Worth Individuals) auszubauen.

T-Shirt bei Dior
T-Shirt bei DiorDior/Chloé Le Drezen

Dior im Film

Donnerstag Abend im Kino an den Champs-Élysées. Maria Grazia Chiuri, die Kreativdirektorin von Dior, sitzt in der Mitte des Saals und ruft dem Regisseur Loïc Prigent ein „Thank you“ zu. Er hat einen Film über sie gemacht, der zum Weltfrauentag über den Youtube-Kanal von Dior abrufbar ist. In „Her Dior“ geht es darum, wie Chiuri als erste Frau zu Dior kam und wie sie mit feministischen Künstlerinnen zusammenarbeitet. Am Anfang stand dieses T-Shirt: „We Should All Be Feminists“. Damit machte sie sich 2016, auch wegen des Preises von mehr als 600 Euro, weit über die Mode hinaus einen Namen. Als Donald Trump kurz darauf zum ersten Mal Präsident wurde, war „We Should All Be Feminists“ aktuell. Wie es zu dem ersten Slogan-T-Shirt auf einem Dior-Laufsteg kam, was Chimamanda Ngozi Adichie, die unter dem Titel zuvor ein Manifest geschrieben hatte, dazu sagt und warum weitere T-Shirts folgten, etwa „Why Have There Been No Great Women Artists“ (Linda Nochlin) und „Sisterhood Is Global“ (Robin Morgan), klärt der Film.

Look bei Dries Van Noten.
Look bei Dries Van Noten.Scott A Garfitt/Invision/AP

Debüt bei Dries Van Noten

Wie es einer Modemarke geht, lässt sich auch an ihrer Backstage-Policy ablesen: Werden Gäste an der Tür abgewiesen? Dürfen Journalisten kurz mit dem Designer sprechen? Wenn ja, wie ist die Stimmung? Wirkt ein Designer übermüdet oder gut drauf? Insofern ist bei Dries Van Noten alles in bester Ordnung. Van Noten gründete seine Marke vor 39 Jahren und trat vergangenen März zurück. Die Nachfolge war schnell ausgemacht und ging an den 33 Jahre alten Julian Klausner, der seit 2018 im Team von Dries Van Noten arbeitet.

So stehen am Mittwochnachmittag gleich zwei Männer backstage da. Der ältere kommt kurz rüber, herzt den jüngeren, der beim Debüt offenbar alles richtig gemacht hat. Man sieht es in der Kollektion: Der spirit ist Dries Van Noten, aber Klausner hat auch neue Ideen. Er wickelt Krawattenseide zu Kleidern, besetzt eine Jacke mit Vorhangquasten. Und die Tücher auf den Köpfen? Einfach Make-up-Schals. Als die Models nach der Schau auf die Straße treten, tragen sie die noch.