Netflix-Serie „American Primeval“ über den Wilden Westen

„This land is your land, this land is my land, this land was made for you and me“, sang Woody Guthrie bereits 1940, der Song wurde zur Hymne der Bürgerrechtsbewegung der Sechzigerjahre. Aber schon damals lag das ziemlich schief – das Land war schließlich mitnichten das der amerikanischen Pioniere, die dies im 18. und 19. Jahrhundert einfach für sich reklamierten.

Die Eroberung des Kontinents durch weiße Siedler zeichnet die sechsteilige Serie „American Primeval“ fulminant nach – hier und da unterlegt von der dräuenden Melodie des Guthrie-Songs. Es ist ein Meisterwerk, dessen eindringliche Schilderung, welchen Preis der Landraub forderte, sich davor hütet, seine Figuren auf bloße Lautsprecher seiner Botschaft zu reduzieren.

Amerika als Gottesstaat

Vielmehr stellt der Autor Mark L. Smith eine Vielzahl komplexer Charaktere vor, deren Schicksale sich auf dem Weg nach Westen kreuzen, als sie zwischen die Fronten des Mormonen-Aufstands im Utah Territory 1857 und 1858 geraten. Die Mormonen unter ihrem charismatischen Führer und Gouverneur Utahs, Brigham Young (hart an der Karikatur: Kim Coates), sind davon besessen, nicht nur Utah, sondern ganz Amerika in einen Gottesstaat zu verwandeln, und spannen unter falschen Versprechungen die Paiute-Indianer für ihre Zwecke ein. Diese stehen den Mormonen im Kampf gegen die US-Armee zur Seite, die die wachsende Macht von Brigham Youngs Miliz im Westen zu brechen gedenkt.

Derweil sind andere Stämme in der Region, darunter die Shoshonen, innerlich zerstritten über den Umgang mit den weißen Eindringlingen. Ein jeder hier, bemerkt die Sho­shonen-Führerin Winter Bird (Irene Bedard), meint seinem eigenen Gott zu dienen, indem er die anderen tötet.

Doppelagenten und Kopfgeldjäger

Unter diesen Vorzeichen finden sich manche der Figuren in Zwangsallianzen wieder – darunter Sara Rowell (Betty Gilpin), die mit ihrem Sohn Devin (Preston Mota) ihrer Vergangenheit zu entkommen hofft, ihr widerwilliger Führer, der Trapper Isaac (Taylor Kitsch), und die junge Indianerin Two Moons (Shawnee Pourier), die grauenhafter Gewalt in der eigenen Familie entfloh. Aber auch Abish Pratt (Saura Lightfoot-Leon), Ehefrau des jungen Mormonen Jacob Pratt (Dane DeHaan), die in die Hände der Shoshonen gerät, als sie das berüchtigte Mountain-Meadows-Massaker überlebt.

Weitere Charaktere der Serie suchen als Doppelagenten ihr Glück oder verdingen sich als Kopfgeldjäger; sie haben sich im Chaos eingerichtet, um davon zu profitieren. Einige drohen über den ganzen Horror den Verstand zu verlieren.

Smith hatte bereits vor zehn Jahren mit „The Revenant“ (Regie Alejandro Iñárritu) eine düstere Saga über blutige Machtkämpfe an der amerikanischen Frontier geschrieben. Parallelen sind offensichtlich – darunter die Anlehnung an historische Ereignisse und das neuerliche Auftauchen des berühmten Mountain Man Jim Bridger (Shea Wigham), inzwischen Gründer von Fort Bridger nahe der Grenze von Utah und Wyoming; die rauen Naturgewalten und die Abwesenheit jedes Komforts setzt der Regisseur Peter Berg ebenso prominent ins Bild wie einst Iñárritu. Man meint die Kälte körperlich zu empfinden, das Blut und den Dreck zu schmecken, man spürt die Angst und Wut und Verzweiflung, den schieren Überlebenswillen der Figuren, die in den Strudel der brutalen Machtkämpfe in den Weiten des amerikanischen Westens gesogen werden.

Apokalyptische Szenen im Kampf um Land

„Amerika“, sagte der Regisseur Peter Berg in der „New York Times“, sei „aus Krieg und Blut und Tod geboren“, und es sind wahrhaft apokalyptische Szenen, die sich hier im Kampf um das Land und die kulturelle und religiöse Vorherrschaft abspielen. Berg führt seine Darsteller mit einer packenden Mischung von Lakonie und Intensität; viele der bewegendsten Momente – darunter eine sekundenkurze Szene zwischen Two Moons und Sara, die Erniedrigung in Ermächtigung verwandelt – sind ohne große Worte inszeniert. Taylor Kitsch als schmallippiger Isaac, ein Einzelgänger, der unter Shoshonen groß wurde und im Überlebensmodus agiert, liefert eine eindrucksvolle Vorstellung ab; Betty Gilpin als Sara empfiehlt sich abermals als eines der großen Talente ihrer Generation; und Saura Lightfoot-Leon in der Rolle der widerstandsfähigen Abish ist eine Entdeckung.

Berg inszeniert seinen pessimistischen, aber nie zynischen Sechsteiler so dicht und spannend, wie man es sich von vielen Streamingserien inzwischen vergeblich wünscht; und auch wenn hier die Kämpfer für Gerechtigkeit nicht immer obsiegen, erscheint ihr Ringen nicht vergebens. „Wenn Brigham Young gewinnt“, heißt es an einer Stelle, „wird dieses gesetzlose Land in noch größere Dunkelheit fallen.“ Die Geschichte verwies Young auf die Ränge. Aber wessen Land dies ist, darüber wird bekanntlich weiterhin gestritten.

American Primeval startet heute bei Netflix.