Linnemann sieht Koalition „zum Erfolg verdammt“

Eine sachliche Diskussion über das Schuldendilemma der künftigen Regierung muss nicht langweilig sein. Das bewiesen in der ZDF-Runde von Maybrit Illner die Grünen-Vorsitzende Franziska Brantner, CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und Moritz Schularick vom Kiel Institut für Weltwirtschaft, flankiert von den beiden Journalisten Gabor Steingart (The Pioneer) und Eva Quadbeck (Redaktionsnetzwerk Deutschland, RND). Trotz des Streits im Bundestag um die Unterstützung der Grünen für das Finanzpaket von Friedrich Merz stiegen Linnemann und Brantner kaum auf Versuche der Moderatorin ein, die Angelegenheit etwas mehr zuzuspitzen. Und so drehte sich die Debatte vor allem um die Frage, ob es besser sei, die verteidigungspolitische Ausnahme von der Schuldenbremse gemeinsam mit dem von Merz vorgeschlagenen Sondervermögen für ein Infrastrukturpaket abzustimmen, oder ob man mit Letzterem bis zur neuen Legislaturperiode warten sollte.

CDU/CSU und SPD benötigen die Stimmen der Grünen für eine verfassungsändernde Mehrheit im bisherigen Parlament. Merz hatte den Eindruck erweckt, dass er sich der Unterstützung der scheidenden Regierungspartei zu sicher war – die Grünen lassen zur Zeit noch offen, ob mit ihren Stimmen zu rechnen ist. Brantner bezeichnete das von Merz vorgeschlagene Paket, das ihr die Zustimmung erleichtern soll, denn auch als „Mogelpackung“.

Es mache wenig Sinn, Wahlkampfversprechen wie eine Mütterrente daraus zu finanzieren, wenn nicht gleichzeitig umfassende strukturelle Investitionen angepackt würden, etwa bei Klimaschutz und Verkehr. Die Verwendungszwecke für die 500 Milliarden Euro müssten konkreter festgelegt werden. Linnemann stimmte Brantner da prinzipiell zu. Ihn wollte Illner immer wieder mit dem Vorwurf vieler FDP-Politiker und mancher Journalisten konfrontieren, den Wählern eine andere „Mogelpackung“ verkauft zu haben – das Versprechen nämlich, die Schuldenbremse nicht anzutasten, die nun oberhalb von einem Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigungsausgaben ausgesetzt werden soll.

Abkehr von der Schwarzen Null

Linnemann wand sich zwar etwas, konnte aber glaubhaft machen, dass auch in seiner Partei verschiedene Positionen existieren und Anpassungen an neue Weltlagen vorgenommen werden können. Die Abkehr der Christdemokraten von der Schwarzen Null in Zeiten des unsicher werdenden Bündnisses mit Donald Trumps Amerika ist für den Generalsekretär noch kein Wortbruch. Ihr Wort würden die Konservativen nur brechen, wenn sie nicht gleichzeitig auch das Land so reformieren würden, wie sie es versprochen hätten – damit meine Linnemann einen umfassenden Bürokratieabbau und bessere Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen.

Deutschland brauche dringend Anschub bei den Themen Bildung und Innovation – man habe schließlich „nichts im Boden, nur was in der Birne“. Die kommenden Generationen mit noch höheren Schulden zu belasten, lasse sich sonst tatsächlich nicht rechtfertigen. Linnemann rief, wohl auch um von Merz‘ ungeschicktem Umgang mit den Grünen abzulenken, noch einmal den Ernst der Lage in Erinnerung: Die Tatsache, dass die erforderliche Grundgesetzänderung schnell gehen müsse einerseits und die Weltlage – erratischer Trump, aufgeschreckte Verbündete wie Polen – andererseits.

„Unprofessioneller Umgang“

RND-Chefin Quadbeck erinnerte dann aber doch noch einmal daran, dass Merz den Grünen halbherzig signalisiert habe, man könne für ihre Zustimmung doch noch etwas mehr Klimaschutz in das Finanzpaket einbringen – dieser Umgang sei unprofessionell und zeige mangelnde Erfahrung des künftigen Kanzlers in der politischen Praxis. Die Grünen seien zu nichts verpflichtet, sagte die Journalistin – und eigentlich „müsste Herr Linnemann Frau Brantner auf Knien danken“, auch für die konstruktiven haushaltsdisziplinarischen Hinweise.

Wirtschaftsexperte Schularick wiederum gab sich optimistisch, was die Pläne, die nun auf dem Tisch liegen, angeht. Die Verhandlungspartner hätten sich im Wesentlichen an die Empfehlungen seines Instituts gehalten, die da lauteten: schnell wesentlich höhere Verteidigungsausgaben, mehr Investitionen in neue Technologien auch im Militärbereich, dazu eine zweite Säule des Pakets, die in Infrastruktur-Modernisierung investiert. Allerdings könne es auch aus seiner Sicht sinnvoll sein, beide Abstimmungen zu trennen, sagte Schularick – erst die Verteidigung, dann im neuen Bundestag das Infrastrukturpaket.

Dafür plädierte auch „The Pioneer“-Herausgeber Steingart – warum nicht das Tempo rausnehmen, lautete sein Appell. Der frühere „Handelsblatt“-Chefredakteur war der Einzige in der Runde, der wieder einmal auch an die „Brandmauer“ gegen Rechts heranwollte. Für die Finanzierungspläne müsse man im neuen Bundestag mit allen sprechen und „zehn Millionen AfD-Wähler kann man auf Dauer nicht ignorieren“, so Steingart. Bei allen neuen Schulden müsse zudem der „Expansionsdrang des Sozialstaats“ eingedämmt werden, da das Land sonst „versteinere“, so der Journalist, der damit auch die fehlende FDP-Stimme am Tisch und im künftigen Parlament vertrat.

Ab und an versuchte Illner, auf das Konfliktthema zurückzukommen, spielte etwa einen Clip von FDP-Chef Christian Lindner vor, der der CDU/CSU den „größten Wortbruch“ der Geschichte der Bundesrepublik vorwarf. Doch das verfing nicht richtig, weil alle Diskutanten die prinzipielle Notwendigkeit der Schuldenaufnahme für höhere Verteidigungsausgaben annahmen. Einzig Quadbeck warnte davor, dass die Koalition in das verfallen könnte, was sie alte Merkel-Zeiten nannte, das „Zuschütten“ ideologischer Differenzen mit Geld. Von einem Scheitern der Koalitionspläne wollte angesichts fehlender Alternativen aber niemand etwas wissen – „Wir sind zum Erfolg verdammt“, formulierte es Linnemann.