Lampendieb und Trump-Fan – da geht aber noch was

Die zweite Woche im Dschungelcamp stößt traditionell den Beginn der D-Promi-Götterdämmerung im Lagerfeuerstuhlkreis an. Nachdem im Ferienlager für Protagonisten aus der Entertainment-Industrie, die Notfallpopularitätsschübe benötigen, bisher die Zuschauer entschieden, wer in die Ekelprüfungen muss, übernimmt das von jetzt an eine Abstimmung unter den wahlberechtigten Insassen des Kakerlaken-Knastes. Und man muss nicht der Pep Guardiola der Nahrungspyramide sein, um zu ahnen, dass Zuschauer zumeist genau die Kandidaten leiden lassen, die sie für besonders abstrafungswürdig erachten.

Dieses ungeschriebene Gesetz führt dazu, dass sich die Versorgungssituation in der ersten Woche verschärft und erst in der zweiten Woche merklich verbessert. Die Hate-Magneten des Couch-Publikums sind nur selten deckungsgleich mit den prüfungsstärksten Kandidaten. Folglich besteht das Abendessen anfangs oft aus der von der Welternährungskommission vorgeschriebenen Mindestmenge an Kalorien. Und die wird den ausgemergelten Prüfungsversagern und ihren hungrigen Mitcampern auch noch in Form von ungewürztem Reis und Bohnen kredenzt.

Wer hat das ausgeprägteste Streber-Gen? Jörg Dahlmann!

Doch von der zweiten Woche an haben die Zuschauer für lapidare Entscheidungen wie die, ob Sam Dylan oder Lilly Becker in einer Melange aus Kalbspenissen und Bisamrattenhirn wühlen sollen, keine Zeit mehr. Sie müssen nun nach und nach die Arschgeigen-Charts abarbeiten, um die unbeliebtesten Campneurotiker auszusortieren. Gestern traf es Jürgen Hingsen, den die Zuschauer vermutlich des Campfeldes verwiesen haben, weil er sich ausschließlich in seiner Hängematte aufhielt und in einer Woche Dschungelcamp weniger gesprochen hat als Sam Dylan in 20 Sekunden Kontakt mit Frauke Ludowig.

Um nicht der Nächste zu sein, bemüht sich der gesamte Kader darum, dem Publikum Facetten der eigenen Persönlichkeit zu bieten, die ihn oder sie unverzichtbar für die unterhaltsame Fortführung der Staffel machen. Aus dem Jahrgang 2025 trägt offenbar Jörg Dahlmann das ausgeprägteste Streber-Gen in sich. Er hat mit Abstand die meisten Brisanz-Themen mitgebracht und somit in jeder Situation ein Bonmot der Fremdschamkategorie Code Red parat. Wer „Eine Frage der Ehre“ gesehen hat, wird sich dank Jack Nicholson erinnern, was das für eine Bedeutung hat. Aber das war zu erwarten. Jörg ist eben ein echter VIP. Also: Vollpfosten in Laberlaune.

Fühlt sich als Sexismus-Opfer: Edith Stehfest
Fühlt sich als Sexismus-Opfer: Edith Stehfestdpa

Auch strategisch ist Jörgs Heldenreise zum Echauffierungspapst exzellent vorbereitet. Seine Tagesabläufe sind themenmetamorphisch perfekt choreographiert. Morgens plaudert er sich mit seichten Halbaufregern warm. Geschichten wie: „Ich habe als Jugendlicher Baustellenlampen geklaut. Ich weiß nicht, was ich damit anfangen wollte, aber ich hatte den ganzen Keller voll!“ Unter uns: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Jörg eine Menge Unterstützungslicht braucht. Besonders helle scheint er ja nicht zu sein.

Hausverbot bei C&A

Auf die Halbaufreger steigt dann zuverlässig irgendein Mitlangweiler ein, der noch nicht begriffen hat, dass man Jörg am besten ignoriert. Beim Thema Jugendsünden ist es Yeliz Koc. Sie gesteht: „Ich habe früher geklaut, darum hatte ich Hausverbot bei C&A!“ Hausverbot bei C&A, das ist grausam. Fällt fast schon in die Leidenskategorie „Keine Songs mehr von Modern Talking hören dürfen“.

Alessia Herren kennt weder Modern Talking noch Baustellenlampen. Sie mag dafür Sätze, die anderen Knoten in die Synapsen zaubern: „Ich vermisse meine Tochter, aber ich versuche, so gut wie wenig gar nicht daran zu denken!“ Das ist lustig, denn so gut wie wenig gar nicht hat gleichzeitig auch Friedrich Merz sein Zustrombegrenzungsgesetz durchgebracht. Und deswegen wird er jetzt, das sagen jedenfalls viele, die von Politik so viel wenig Ahnung haben wie Sam Dylan von erfolgreichen Dschungelprüfungen, so gut wie wenig gar nicht Kanzler.

Um im Teich der Niveauversager mitzuschwimmen, löst Edith Stehfest anschließend eine amtliche Homophobie-Debatte aus. Auf die Frage, wer das einzige Doppelbett erhalten soll, schlägt sie vor: „Pierre und Sam!“ Natürlich, hihihi, die beiden Schwulen. Da sollen die sich mal ordentlich gegenseitig befummeln, das machen Schwule ja automatisch, wenn sie andere Schwule treffen.

„Was erwartest du? Dass die mich jetzt zusammenschlagen?“

Pierre Sanoussi-Bliss kontert nivellierend güteklassenbefreit mit: „Du bist so eine dämliche Kuh!“ Edith zieht darauf die Sexismus-Karte, fühlt sich aber nicht ausreichend von den Lagerfeuerbeisitzern supportet: „Danke für die Unterstützung an alle!“ Pierre zeigt sich erstaunt: „Was erwartest du? Dass die mich jetzt zusammenschlagen? Du hast auf deinen blöden Spruch eine ganz kurze Antwort bekommen, fertig!“ Ediths Diskurshysterie ist allerdings keinesfalls „fertig“. Sie findet immer einen Fahrstuhl in ein Stockwerk tiefer: „Dann kann ich auch sagen, du dumme Fotze! Das ist auch eine ganz kurze Antwort!“ Entsprechend distanziert reagiert Pierre: „Das mag vielleicht deine Sprache sein, meine ist es nicht.“

Edith jedoch ist von ihrer Mission überzeugt: „Auch kurze Sätze können verletzen!“ Da stimmt Pierre ausnahmsweise zu: „Ich arbeite seit 43 Jahren in dem Job, ich weiß das!“ Welchen Job er meint, bleibt ungeklärt. Beleidigungsprofi? Kurzwortexperte? Satzlängengelehrter? Egal, Edith hat einen Racheplan ausgeheckt und ruft zur Pierre-Eliminierung auf: „Dann bitte ich alle Zuschauer, dass wir genau wissen, wer ab morgen nicht mehr hier sein wird! Wenn er bleiben darf, dann gehe ich!“ Timur Ülker versucht, zu schlichten. Es werden sogar kurz Entschuldigungen ausgetauscht.

Dschungelfeministin Edith läuft trotzdem den Rest des Tages mit gepacktem Rucksack auf dem Rücken um das Lagerfeuer. Offenbar glaubt sie tatsächlich, ihr Verschwinden könnte für irgendeinen ihrer Isomatten-Mitbewohner einen Qualitätsverlust darstellen.

Aber Jörg Dahlmann wollte doch die Cancel-Culture-Themenfelder bestellen!

Spätestens da wird es Jörg Dahlmann zu bunt: Er hatte die Cancel-Culture-Themenfelder vollständig zu bestellen gedacht. Nun grätscht er Ediths und Pierres Sendezeit-Höhenflug mit weiteren Anekdoten ab, widmet sich jedem antiwoken No-go-Thema. Anscheinend vermutet er unter den zuletzt 3,7 Millionen Zuschauern der Hunger Games für Karriereasketen ausreichend gesellschaftspolitisches Fallobst, das Gendersternchen für eine größere Gefahr als den Klimawandel hält und das man mit markigen Rechtsrand-Fischereiversuchen auf seine Anruf-Seite ziehen kann: „Ich fand es sensationell, wie Trump wieder aufgestanden ist, als er angeschossen wurde. Dabei gab es doch die Gefahr, dass ein zweiter Schuss kommt, aber er steht auf und ruft ,Fight, Fight, Fight!‘.“

Lampendieb und Trump-Fan – da geht aber noch was. Um auch an Tag neun das Triple der Komplettaussetzer voll zu bekommen, nutzt Dahlmann seine mittelmäßig erfolgreiche Dschungelprüfung (er holt einen Stern von elf, Timur vier) und verkündet dem wartenden Kalorienentzugsteam: „Zum Glück waren wir in der Prüfung. Frauen hätten das Zahnrad gar nicht aufbekommen!“ Dafür erntet er sparsame Blicke der Damen, aber auch der eine oder andere männliche Dschungelbewerber wirkt, als würde er nicht in Trauer verfallen, sollte Jörg versehentlich mal für fünf Minuten seinen Mund halten.

Die „Promi Big Brother“-Siegerin muss gehen

Der hat nämlich beinahe schon das Nerv-Level von Bruce Darnell erreicht. Vor und nach jeder Werbepause ist Bruce Darnell in unsäglichen Spots zu sehen. Darin preist er Cremetorten aus der Tiefkühltruhe und sagt dauernd „Apfelkucken“. Im Ernst: Wenn ich ,Apfelgucken‘ möchte, stelle ich mich im Supermarkt vor das Obstregal.

Genervter als ich ist nur Yeliz Koc. In der großen „RTL 1 aus 11“-Tombola rufen für die Hannoveraner Ochsenknecht-Nachwuchsbeauftragte die wenigsten Zuschauer an. Das Camp-Abenteuer ist für sie beendet. Daraus lassen sich zwei Lehren ziehen: Yeliz Koc hat einen negativen Imagewechsel hingelegt. Noch vor wenigen Monaten wurde sie vom deutschen Trash-Publikum zur Siegerin von „Promi Big Brother“ gekürt.

Und zweitens: Jörg Dahlmanns Taktik scheint aufzugehen. Kandidaten mit latenter Trump-Euphorie hätten normalerweise keine lange Inkubationszeit im Dschungelcamp. Schon gar nicht in Symbiose mit den anderen Aussetzern, die Jörg in den vergangenen Tagen präsentiert hat. Aber das ist wohl das neue Deutschland: Männer wie Jörg bleiben, Frauen wie Yeliz müssen gehen. Wen es morgen trifft, verrate ich wieder hier. Bis dann!