Klub in der Krise: Warum Borussia Dortmund über einen radikalen Schritt diskutiert

Der BVB läuft den Saisonzielen hinterher und verprellt seine Fans. Sollte die Mannschaft von Trainer Niko Kovac am Mittwoch in Lille ausscheiden, könnte dies einen längeren Abschied von der Champions League zur Folge haben. Ein massiver Umbau wäre unvermeidlich.

Die Szene fand relativ wenig Beachtung, doch sie liefert Hinweise über die Atmosphäre bei Borussia Dortmund. Als am Samstag der Schlusspfiff der uninspirierten Darbietung der Mannschaft beim 0:1 gegen Augsburg ein Ende gesetzt hatte und ein gellendes Pfeifkonzert ertönte, startete Marcel Sabitzer durch. Der österreichische Nationalspieler rannte in die Kabine – und ließ sich auch nicht mehr auf dem Rasen blicken, um sich gemeinsam mit seinen Mannschaftskollegen von den Fans zu verabschieden.

Nicht, dass es irgendetwas geändert hätte, wenn Sabitzer dem Ritual beigewohnt hätte – das von den wütenden Anhängern ohnehin nicht erwünscht war. Doch ist es bezeichnend, wie die Dortmunder Profis mit der schwersten sportlichen Krise seit langem umgehen: auf sehr unterschiedliche Art. Manche, wie Kapitän Emre Can und Innenverteidiger Nico Schlotterbeck, stellen sich der mehr als berechtigten Kritik – andere, wie Sabitzer, tauchen ab.

Der BVB bietet im Frühjahr 2025 ein diffuses Bild auf nahezu allen Ebenen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass es am Mittwoch zum zweiten Mal in Folge gelingen kann, unter die besten acht Mannschaften Europas einzuziehen. Um 18.45 Uhr treten die Dortmunder zum Rückspiel des Achtelfinales in der Champions League beim OSC Lille an (live DAZN und im WELT-Liveticker). Das Hinspiel war 1:1 ausgegangen.

Kovac will „nicht alles schwarzmalen“

Doch es fällt schwer, so etwas wie Vorfreude im Hinblick auf diese Chance zu entwickeln. Selbst Kovac, der sich bislang stets vor seine Spieler gestellt hatte, scheint dies nicht wirklich zu gelingen. „Bis Mittwoch kann so vieles passieren im Leben eines Menschen und auch einer Mannschaft. Daraus schöpfe ich Hoffnung“, sagte er. Er wolle „nicht alles schwarzmalen.“ Der 53-Jährige verwies auf Fortschritte, die nach seiner Job-Übernahme vor gut fünf Wochen gemacht worden seien: die fünf der acht Pflichtspiele, die seitdem ohne Gegentor absolviert worden sind, die größere defensive Stabilität.

Die Stimmung ist wegen der regelmäßigen Rückschläge jedoch fast schon toxisch. Im Gegensatz zu den Bayern und den Leverkusenern, die ebenfalls ihre Bundesligapartien nach ihrem Hinspiel in der Königsklasse verloren hatten, wird den Dortmundern nichts mehr verziehen. Das tut selbst Kovac mittlerweile nicht mehr. „Ich finde als Erstes die Einstellung entscheidend. Wie gehe ich in ein Spiel?“, sagte er. Augsburg sei ein wichtiges Spiel gewesen. Hätte der BVB gewonnen, wäre das Team bis auf vier Punkte an die Champions League-Ränge herangerückt. „Das haben wir nicht geschafft, und für mich sind immer Laufbereitschaft, Leidenschaft, Intensität, Aggressivität das Maß aller Dinge“, erklärte er. Von all dem war jedoch nichts zu erkennen.

Was folgte war eine radikale Kehrtwende im Umgang mit den Spielern, denen Kovac bislang stets ein „Kopfproblem“ als Folge von Verunsicherung zugutegehalten hatte. Damit ist es vorbei. Am Sonntag wusch er den Profis im Beisein von Sport-Geschäftsführer Lars Ricken und Sportdirektor Sebastian Kehl den Kopf. Er verschärfte die Intensität des Trainings. Wer so auftritt, hat auch von ihm keine Nachsicht mehr zu erwarten.

Kovac kämpft längst auch um seinen Ruf. Er kann zwar nichts für die strukturellen Probleme im Kader – doch er will nachvollziehbarerweise nicht der nächste Trainer werden, der von dieser Mannschaft aufgefressen wird. Und dies könnte passieren – vor allem, wenn die Dortmunder in Lille ausscheiden sollten. Denn dann hätten die Spieler kein plastisches Ziel mehr vor Augen und müssten anschließend am Samstag in einer mental schwierigen Verfassung bei RB Leipzig antreten – bei der wohl letzten Chance, doch unter die ersten Vier der Bundesliga zu kommen.

Die Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen kann, hat sich in Dortmund schon unabhängig davon durchgesetzt. Im Sommer soll ein harter Schnitt gemacht werden. „Auch diese Gedanken müssen wir uns machen. Am Ende gibt es Erkenntnisse, die wir aus dieser Saison ziehen müssen“, sagte Kehl. Er hatte bislang stets die Zusammenstellung des Kaders, für die er Verantwortung trägt, verteidigt.

Auffällig ist, dass sich die Dortmunder mittlerweile zunehmend schwerer tun, ihr offensives Potenzial abzurufen. Im Gegensatz zu den Mannschaften, die in der Bundesliga vor ihnen stehen, kreieren sie deutlich zu wenig Torchancen. Die Stoßrichtung eines Umbaus müsste das Mittelfeld sein. In die Kritik ist vor allem Julian Brandt geraten, der seit Wochen außer Form ist – aber auch Sabitzer, der in 34 Pflichtspielen weder ein Tor erzielt, noch an einem Treffer beteiligt war. Das Problem ist jedoch: Während Brandt sowie Can, Salih Öczan und Giovanni Reyna, die ebenfalls auf dem Prüfstand stehen, noch bis 2026 unter Vertrag stehen, läuft das Arbeitspapier von Sabitzer sogar noch bis bis 2027.

So könnte es unausweichlich werden, dass die Dortmunder Spieler verkaufen müssen, mit denen eigentlich weiter geplant wird. Dazu zählt allen voran Jamie Gittens, der derzeit wohl werthaltigste BVB-Profi. Mit dem FC Arsenal und Tottenham Hotspur gibt es durchaus zahlungskräftige Interessenten. Allerdings: Auch der 20-jährige Engländer ist Teil der Krise, gehörte wegen Formschwankungen zuletzt nicht immer zum Stamm – was mit einem nicht unerheblichem Verlust an Marktwert einhergeht.