
Die Mafia ist eine Organisation, die schon mehrfach zerschlagen wurde. Und mit letzter Gewissheit können wohl nur Experten sagen, ob in den Drogenkriegen, die in vielen Städten auf beiden Seiten des Atlantiks geführt werden, noch etwas von dem Mythos zu erkennen ist, der in vielen Erzählungen über die Mafia tradiert wurde. Denn zu diesem Mythos gehört, neben schockierender Bereitschaft zur Gewalt, ja noch dieser andere Aspekt: die Familie.
Mafiosi gibt es letztlich nur im Plural, ein Pate ist für sich allein kein Faktor, er braucht Handlanger, und wirklich verlassen kann er sich nur auf solche, mit denen er blutsverwandt ist. Erst dieser Umstand macht die Mafia-Geschichten so filmreif, denn sie werden vor allem dadurch dramatisch. Familie ist das, was alle Menschen mit einem großen Stoff verbindet. Und deswegen kann das Mafia-Genre nicht sterben. Obwohl es vielleicht an der Zeit wäre.
„The Alto Knights“, der neue Film des amerikanischen Regisseurs Barry Levinson, unternimmt nun zumindest einmal einen klaren Versuch, diese ganzen Erzählungen von Fehden zwischen starrsinnigen Patriarchen mit schweren italoamerikanischen Akzenten zumindest an die Kante des Grabes zu stupsen.
De Niro wird zum archetypischen Gesamt-Mafioso erklärt
Ausgangspunkt ist ein Drehbuch von Nicholas Pileggi, der seinerzeit zu Beginn der Neunzigerjahre „GoodFellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia“ für Martin Scorsese schrieb. Ein Film, von dem man auch schon ein wenig denken konnte, dass es sich um einen Schlussstein in einer ehrwürdigen Tradition handelte. Doch dann kam wenige Jahre später „Casino“, dann kamen ab 1999 die Sopranos, und der brillant offene Schlussmoment der Serie ist nun so etwas wie die erzählerische Conditio der Mafia-Filme: Es könnte jeden Moment der Schuss fallen, mit dem alles zu Ende ist, aber solange der Schuss nicht fällt, ist noch Zeit für Epen. Pileggi wollte wohl mit „The Alto Knights“ noch einmal episch ausholen. In New York im Jahr 1957 wird der Oberboss Frank Costello zum Opfer eines Anschlags. Er sollte tot sein, doch die Kugel traf nicht richtig, und so sieht sich sein Rivale Vito Genovese in der peinlichen Situation, sein Vorhaben irgendwie wieder einzufangen. Er kann natürlich nicht so tun, als wäre nichts gewesen, aber Costello will auch nicht auf Biegen und Brechen den großen Krieg. Er sucht eher nach Möglichkeiten, aus der ganzen Sache auszusteigen.
Dieser Konflikt hat eine überdeutliche Pointe in dem Umstand, dass Robert De Niro beide Rollen spielt: als Frank Costello ist er sofort erkennbar, bei Vito Genovese muss man ein zweites Mal hinschauen. De Niro wird damit zum archetypischen Gesamt-Mafioso erklärt, er war ja auch schon der junge Vito Corleone, und er war – neben vielen weiteren Rollen in diesem Feld – übrigens auch der nervöse Pate Paul Vitti in der Komödie „Reine Nervensache“. Er war also Inbegriff der mythischen Ernsthaftigkeit und hat sich nebenbei auch schon ein wenig über all das Getue lustig gemacht.
Ein New York, das es vielleicht nie gab
Und in dieser Ambivalenz steht „The Alto Knights“ nun ganz und gar. Wobei Pileggi nach einem etwas merkwürdigen Dazwischen sucht, in dem er die Ironie vor allem in einer erzählerischen Pointe zum Ausdruck bringt – die man nicht verraten sollte. Ansonsten aber fährt Barry Levinson noch einmal all das auf, was man erwarten darf: chromblitzende Limousinen, schwere Anzüge, markige Visagen, elegante Gangsterbräute, wobei die Frauenrollen wirklich gut besetzt sind und keineswegs nur Beiwerk. Man spürt geradezu ein Übermaß an Klassizität, das nun wieder wie eine Gegenreaktion auf die provozierende Alltäglichkeit des Mafia-Lebens in „The Sopranos“ wirkt. Levinson, der selbst aus Baltimore stammt und über seine jüdische Jugend dort mit „Liberty Heights“ einen seiner schönsten Filme gemacht hat, schwelgt noch einmal so richtig in Eindrücken von einem New York, das es vielleicht nie gab.
Robert De Niro ist inzwischen längst auch sein eigenes Denkmal. „The Alto Knights“ fällt einerseits in das Fach Denkmalpflege, hat aber auch Aspekte einer erhofften Verjüngungskur. Der große Pfeifdrauf, für den Frank Costello steht, bleibt für die Erzählung nicht ohne Konsequenzen. So groß die Anstrengungen sind, die in die Darstellung einer historischen Epoche geht, so sehr wirkt das alles nun auch schon so, als wäre es nur mehr Zitat. In Martin Scorseses „Casino“ war noch jede Faser der Anzüge, die De Niro trug, von Bedeutung. Nun aber wirkt alles schon ein wenig so, als wäre es ein Grabtuch, und was darunter rumort, ist keine wirkliche Spannung mehr, sondern Unklarheit, woran man sich halten sollte.
Kann ein Genre auch dement werden, bevor es stirbt? „The Alto Knights“ zeigt bedauerlicherweise erste Warnsignale in diese Richtung.