
Donnerstag, 21.00 Uhr, Europapokal-Viertelfinale. Die Eintracht ist wieder weit weg von zähen Bundesligagegnern wie Bremen oder Berlin, mittendrin in einem großen Stadion, mittendrin im europäischen Rampenlicht. Dort, wo sich auch ihr gefährlichster Stürmer wohlfühlt: Hugo Ekitiké.
Der Franzose zählt zu einer Stürmergeneration, die auf den ersten Blick ungewöhnlich daherkommt. Um diese Generation zu verstehen, lohnt es sich gleich, in England zu bleiben. Alexander Isak heißt der Stürmer von Newcastle City, 25 Jahre ist er alt – und er ebnete mit seinen langen Beinen und der schlaksigen Figur den Weg für Nachahmer.
Ihn als groß zu beschreiben, wäre faktisch zwar richtig (1,92 Meter misst er), besser trifft es aber ein anderes Wort: lang. Ekitiké spielt ähnlich wie der Schwede. Mit seiner Reichweite kann der Franzose, 22 Jahre alt, Duelle in der Luft gewinnen, aber auch am Boden, weil er beweglich ist. Das ist der entscheidende Unterschied zu früheren großen Stürmern, die eher bullig spielten, weniger filigran.
Dürfte man das reiche Fußballlexikon, Unterthema Angreifer (siehe auch: falsche Neun, Wandstürmer, hängende Spitze) um einen Begriff ergänzen, wäre ein passender für diese neue Generation: Schlangenstürmer. Niemand vertritt sie besser als Isak und Ekitiké. Weil die beiden sich um die Abwehrleute winden, weil sie sich doch meistens irgendwie ans Ziel zappeln, obwohl so viele Beine durch den Strafraum wuseln wie zur Rushhour am Piccadilly Circus.
Wie in einem Ameisenstaat
In Deutschland ist das auch bei Nick Woltemade in Stuttgart zu sehen – vor allem aber in Frankfurt. Zuletzt drehte sich Ekitiké im Spiel gegen den VfB so geschickt um Verteidiger Ameen al-Dakhil herum, dass der erst verstand, was passiert, als es schon geschehen war. Dann stand der Schiedsrichter vor ihm und zeigte die Rote Karte, weil al-Dakhil Ekitiké auf dem Weg zum Tor nur noch foulen konnte.
Ekitikés schlangenhafte Bewegungen halfen der Eintracht im Februar und März, über den Verlust ihres besten Spielers hinwegzukommen: Omar Marmoush. Wer Toppmöllers Mannschaft seither beim Spielen zuschaut, fühlt sich vorne an eine Schlange, im restlichen Team an einen Ameisenstaat erinnert. Geht dort die Königin verloren, organisiert sich die Gruppe neu, andere steigen auf, das System ist wieder stabil. Ein paar Wochen wirkte die Frankfurter Mannschaft orientierungslos – ihre Führungsfigur war nach England verschwunden.
Dann stellte Trainer Dino Toppmöller gegen Ajax Amsterdam das System um. Die Eintracht spielt nun mit Viererkette, jeweils zwei Spielern auf den Flügeln und einem klaren Spielmacher. Oft spielte Mario Götze in dieser Rolle, häufig tat er es stark, weil er Ekitikés Wege kennt. Kommt Götze an den Ball, bietet ihm der Franzose schon einen Passweg an. Götze spielt den Ball präzise in den Lauf von Ekitiké, der so lange auf den Verteidiger zurennt, bis er sich bewegt. Und schnapp, läuft er in die Falle. Der Franzose wackelt einmal, zweimal, und der Weg zum Tor ist frei.
Ekitiké genießt es, seit Marmoushs Abgang im Rampenlicht zu stehen. 13 Mal traf er in dieser Saison in der Bundesliga. In einem Interview mit dem französischen Sportmagazin „L’Équipe“ – eines, das er ohne Absprache mit der Eintracht gab – sagte er, er habe nicht angefangen mit dem Fußball, weil er ein „lambda“-Spieler werden wollte. Ein Spieler, der zum Durchschnitt gehört, der keine Blicke auf sich reißt.
Ist er sogar besser als Marmoush?
Ekitiké tut das umso mehr, seit sein Partner weg ist. Er jubelt wie ein Stierkämpfer, in seiner Freizeit fährt er mit einem Lamborghini Urus durch die Stadt. Auf dem Platz zieht er sich die Schienbeinschoner und die Hose so weit runter, wie es Spieler tun, denen die 2020er-Jahre im Fußball gehören werden. Dem Spanier Lamine Yamal etwa, vielleicht aber auch dem Franzosen Hugo Ekitiké.
So soll es zumindest sein, glaubt man einigen, die im Verein hinter vorgehaltener Hand über ihn reden. Sie sagen dann, dass sie Ekitiké für noch talentierter halten als Marmoush. Der Ägypter jedoch rannte in Minute eins genauso schnell wie in Minute 90, er tat es gegen Bayern, aber auch gegen Kiel. Ekitiké nahm sich in der Hinrunde Pausen, wenn die Teams das Spiel vermeintlich verschleppen. Seine Elfmeter schießt er lieber lässig als entschlossen.
Körperlich war ihm Marmoush lange überlegen, seit dessen Abschied ist der Franzose robuster geworden. Das zeigte sich in Bochum, als er sich immer wieder gegen eine Abwehr durchsetzte, die ihn anderthalb Stunden mit mehreren Spielern manndeckte. Sah einer der Verteidiger die Gelbe Karte, kratzte, zwickte, schubste eben jemand anderes Ekitiké. Er legte quer zu Jean-Mattéo Bahoya, den die Bochumer alleine ließen, weil sie alle zu ihm, Ekitiké, gerannt waren – Tor.
Und dann gibt es noch einen Schlüsselmoment, in dem sich der Franzose aus Marmoushs Schatten herausspielte. 21. März 2025, Lorient, bei der U-21-Nationalmannschaft. Ekitiké schießt drei Tore. Das allein war kaum eine Nachricht, er schoss sie aber gegen die einzige Nation, die es schafft, ähnlich viele Talente in die Top-Ligen Europas zu bringen wie die Franzosen: England. In der Premier League, wo es noch mehr Kameras gibt, in die sich junge Spieler drängen können, sind die Klubs spätestens da auf Ekitiké aufmerksam geworden.
Spitzenteams schauen auf Ekitiké
Dessen Drang, sich in den Vordergrund zu schlängeln, dürfte ihn früher oder später in die französische A-Nationalelf führen, wo aktuell Kylian Mbappé und Randal Kolo Muani stürmen. Ekitiké weiß, dass er die größte Bühne braucht, um dorthin zu kommen – die Champions League. In dem „L’Équipe“-Interview sagte er noch sinngemäß: Kolo Muani hat es in Frankfurt geschafft, Nationalspieler zu werden. Wieso nicht auch ich?
In Tottenham werden sich an diesem Donnerstagabend (21.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Europa League und bei RTL) viele auf den Franzosen konzentrieren, seine Gegenspieler in der Spurs-Abwehr, seine Mitspieler hinter ihm. Und auch die Zuschauer auf der Tribüne, schließlich könnte Ekitiké der Nächste sein, den die Eintracht teuer verkauft.
Nach F.A.Z.-Informationen beschäftigen sich mehrere europäische Spitzenteams für den Sommer mit Ekitiké, konkret angefragt hat bei der Eintracht noch keiner. Für Krösche und Co. wäre es der optimale Zeitpunkt, um Ekitiké zu verkaufen. Genau dann, wenn der halbe europäische Transfermarkt davon träumt, den nächsten Star zu verpflichten. Geht es nach den Frankfurtern, soll Ekitiké in London zeigen, dass er längst nicht nur eine Vision für die Zukunft ist. Sondern die Gegenwart.