
Mit den Gründen des Scheiterns werden sich die deutschen Handball-Nationalspieler nicht lange aufhalten können. Am Donnerstagmorgen schlurften sie mit traurigen Gesichtern aus dem feinen, abgelegenen Hotel in Oslo-Fornebu – jeder reiste individuell in die Heimat. „Wie es mir geht, kann ich sagen, wenn das Training wieder anfängt“, sagte Juri Knorr. Nach einem freien Wochenende bereitet er sich von Montag an auf die Bundesliga vor.
Am 9. Februar spielt sein Verein, die Rhein-Neckar Löwen, in Hamburg. Die beiden Linksaußen Rune Dahmke und Lukas Mertens treffen bei der Partie THW Kiel gegen den SC Magdeburg am Samstag kommender Woche aufeinander. Mit Rückenwind werden die Profis wohl kaum in die zweite Saisonhälfte starten, denn diese Weltmeisterschaft in Dänemark, Norwegen und Kroatien war für den gesamten Deutschen Handballbund (DHB) eine mit Platz sechs endende Enttäuschung.
Wie hat es zum WM-Aus im Viertelfinale kommen können?
Abgesehen von der zweiten Halbzeit gegen Portugal und von Phasen in den sechs anderen Spielen unterschritten die Deutschen permanent sicher geglaubtes Niveau. Nach den Olympischen Spielen, kurzem Urlaub und zehrender Hinrunde mit Spielen am 27. Dezember kamen Johannes Golla, Juri Knorr, Julian Köster und Christoph Steinert und andere Anfang Januar verletzt, krank oder formschwach zur kurzen Vorbereitung beim DHB.
Dass die stärkste Liga nicht die beste Nationalmannschaft stellt, hat sich wieder bewahrheitet. „Uns hat auf einigen Positionen die Kraft gefehlt“, sagte Bundestrainer Alfred Gislason. Beim 30:31 nach Verlängerung gegen Portugal im Viertelfinale war das an Renars Uscins abzulesen – in der entscheidenden Situation, beim letzten Angriff, verpasste er seine Wurfchance zum Sieg. Uscins, der Unverzichtbare, hätte Pausen gebraucht – doch sein Partner Franz Semper reiste verletzt ab, dem dritten Linkshänder Christoph Steinert vertraute Gislason nur in der Abwehr.
Warum hat Olympiasilber nicht für mehr Selbstvertrauen gesorgt?
Die Leistung von Paris war von der Außenseiterrolle geprägt, die Medaille glücklichen Umständen zu verdanken. Auch lag der Fokus bei den Sommerspielen weniger auf dem Team. Von einem „großen Rucksack“ sprach Rückraumspieler Marko Grgic in Herning: „Man könnte ja mal akzeptieren, dass wir eine sehr junge Mannschaft sind.“
Doch die Medaille hat Erwartungen geweckt – wirklich werthaltig für Sponsoren und interessant für die Öffentlichkeit ist Handball nur im Januar und nur, wenn die Nationalmannschaft weit kommt. Diesen öffentlichen und inneren Erwartungen wurde Gislasons Team nie gerecht und mühte sich durch das Turnier, das es mit dem Ziel Halbfinale angegangen war. Die Leichtigkeit war weg. Emotionalität, Leben in der Bude und eine Aura des Gönnens, Anfeuerns und Mitfieberns erlebte man selten – Torwart Andreas Wolff musste von den Kollegen Dahmke, Golla und Kastening mehrfach gebändigt werden.
Welche Lichtblicke gab es?
Die Vorrundengruppe überstanden die Deutschen mit Mühe, aber drei Siegen. Dem Druck wurde widerstanden. Auf die Torhüter Wolff und David Späth ist Verlass. Lukas Mertens und Julian Köster haben in der internen Hierarchie einen Sprung gemacht – wie gut sich Köster vorn und hinten trotz seiner schweren Knieverletzung in die Veranstaltung biss, imponierte. Lukas Zerbe ist ein verlässlicher Rechtsaußen. Juri Knorr kann diese Mannschaft anleiten.
Doch als Charakter wirkt der 24-Jährige unfertig. Beim Sieg gegen die Schweiz schien er von den Erwartungen erdrückt. Im Viertelfinale führte er die Mannschaft als Torschütze und übernahm Verantwortung – Luca Witzke konnte ihm nicht das Wasser reichen und verursachte mit, dass die Deutschen in der schlimmen ersten Halbzeit (9:13) entscheidend in Rückstand gerieten.
Welchen Anteil hat Bundestrainer Gislason am Ausscheiden?
Unruhe auf der Bank, misslungene Wechsel, ein dürftiges situatives Coaching und hilflose Auszeiten: Gislason geriet in diesem Turnier an die Grenzen seiner Fähigkeiten und war seinen Spielern zu selten eine Hilfe. Manchmal wirkte er zwischen den Partien merkwürdig abwesend. Souverän makelte er Ausscheiden und Aussichten am Donnerstag, wirkte gelöst. Er kann nichts dafür, dass Spieler wie Golla müde sind oder merkwürdige Entscheidungen treffen, dass viele Offensivkräfte im Verein kaum Abwehr spielen und er immer wechseln muss.
Kein Stamm-Rückraumspieler hat je in der Champions League gespielt. Aber wie wenig Gislason der viel beschworenen Breite vertraute (Grgic, Lichtlein, Fischer) oder warum der „Hannover-Block“ in der Abwehr keine Rolle spielte, bleibt sein Geheimnis. „Ich weiß nicht, warum wir immer die erste Halbzeit verschlafen“, gab er zu. Es schien, als müssten sich die Deutschen jeweils die ersten 20 Minuten orientieren, was der Gegner da spiele. Die Konkurrenz wirkte besser auf das deutsche Spiel eingestellt. Niemand bezweifelt, dass Gislason dem Team in seinen Analysen die nötigen Handreichungen mitgibt. Umgesetzt wurden sie selten. Auch nicht beim folgenschweren letzten Wurf der regulären Spielzeit gegen Portugal.
Wie geht es weiter?
Der Verband ist in seiner Struktur mit dem neuen Sportvorstand Ingo Meckes und Nationalmannschafts-Manager Benjamin Chatton personell besser aufgestellt denn je. Früchte hat das auf Anhieb nicht abgeworfen, Chatton sucht seine Rolle, während Meckes als Krisenmanager gefragt und dank seiner analytischen Art ein Gewinn war. Die Mannschaft bleibt ohne große Veränderungen zusammen und trifft sich im März zum nächsten Lehrgang mit EM-Qualifikationsspielen.
Mit Gislason soll es dann über die EM im Januar 2026 bis nach der Heim-WM 2027 weitergehen: „Ich habe viel Spaß mit der Mannschaft und habe mich bei ihr bedankt. Schwere Momente gehören dazu. Sie haben es überragend gemacht in diesem schwierigen Monat Januar“, sagte er. Trotzdem sparte er mit öffentlicher Kritik an etwa Uscins und Grgic nicht. Man wünschte sich, er zeigte diese Zuneigung zur Mannschaft auch im Spiel öfter, um den Zusammenhalt zu stärken.