FPÖ: Die Brandmauer: Zermalmt | ZEIT ONLINE

Der Schmäh ist Österreichs Bundespräsident auch an diesem Tag nicht abhandengekommen. „Danke, dass Sie sich für unsere Demokratie interessieren“, sagte Alexander Van der Bellen zu Beginn seines Statements am Montagmittag, mit dem er schon jetzt österreichische Geschichte geschrieben hat. Trotz der Schwere des Moments war noch einmal jenes leichte Schmunzeln in seinem Gesicht zu sehen, das er sich über alle Krisen seiner bewegten Amtszeit seit 2017 bewahrt hat. 

Egal, ob Ibiza-Affäre, der Rückzug von Sebastian Kurz oder die gescheiterten Koalitionsverhandlungen vom Wochenende: Stets bemühte sich der 80-Jährige um ein wenig ironische Distanz, die Gelassenheit vermitteln sollte. Auch an diesem Montag, an dem der frühere Chef der Grünen tun musste, was er lieber vermieden hätte: Er hat Herbert Kickl, den Chef der rechtspopulistischen FPÖ, mit der Bildung einer Regierung beauftragt. Und wenn Österreich nach all dem Drama der vergangenen Tage nicht noch eine irre Wendung auf Lager hat, wird er diesen Herbert Kickl in ein paar Wochen auch zum Kanzler ernennen. 

„Ich habe mir diesen Schritt nicht leicht gemacht“, sagte der Bundespräsident am Ende seiner nur fünfminütigen Rede. Und sprach damit nur das Offensichtliche aus. Kickl, der Mann, der sich selbst schon vor Monaten zum „Volkskanzler“ ernannt hatte, der Van der Bellen als „senile Mumie“ verspottet hatte, der es in Österreich „machen will wie der Orbán“ – natürlich ist dieser Mann eine Zumutung für Van der Bellen. Aber der grüne Bundespräsident wurde alleingelassen, als Überrest jenes so brüchigen „Brandmauerls“ gegen die FPÖ, das so schnell zermalmt war, wie es aufgestellt wurde. Natürlich hätte der Bundespräsident rein theoretisch Kickl ohne Regierungsauftrag nach Hause schicken oder sogar die Bildung einer Expertenregierung forcieren können. Aber all das hätte wohl eher die Staatskrise verlängert oder zu Neuwahlen geführt. 

Damit ist der Weg nun frei für Kickl und die Freiheitliche Partei, die unter seiner Ägide immer lauter wurde, immer ärger, immer radikaler, immer rechter. Und damit immer erfolgreicher. Er dürfte nun vollenden, was Jörg Haider und Heinz-Christian Strache noch verwehrt blieb – und Österreichs Regierungschef werden. Der jahrzehntelange Rechtsruck in Österreich, er führt wohl 2025 bis ins Kanzleramt. 

Pfeifkonzert vor der Hofburg

Wenn Kickl seinen heutigen Gang in die Hofburg genossen hat, dann sehr schweigsam. Vorab ließ er seinen Unterstützern nur ein dürres Statement via Facebook zukommen, in dem er noch mal den Versuch geißelte, eine „Austro-Ampel“ zu bilden. Nun fuhr er als Gewinner der geplatzten Verhandlungen in die Präsidentschaftskanzlei am Heldenplatz, wo Hunderte Demonstranten ihn mit einem Pfeifkonzert bedachten. 

Eine Stunde etwa dauerte das Gespräch mit Van der Bellen, danach zog Kickl mit einem wortlosen Nicken an den wartenden Journalisten vorbei. Nur der ORF konnte ihm ein paar Worte entlocken: „Jetzt ist der Herr Bundespräsident am Zug“, sagte Kickl. Wie das Gespräch verlaufen sei? „Es sind immer gute Gespräche mit ihm.“

Ein maliziöser Satz, aus dem viel Genugtuung spricht. Denn die bisherigen Gespräche mit Van der Bellen nach der Wahl im September verliefen alles andere als erfolgreich für Kickl. Damals hatte Van der Bellen noch ein schlagendes Argument auf seiner Seite, mit dem er dem FPÖ-Chef den Regierungsbildungsauftrag verweigern konnte: Weder ÖVP noch SPÖ waren bereit zu einem Bündnis mit Kickl. 

Eine „neue Situation“ hatte Van der Bellen am Sonntag in gewohntem Understatement den Schlamassel genannt, den die verhinderten Dreierkoalitionäre von ÖVP, SPÖ und Neos der Republik nun eingebrockt haben. Aus dem die ÖVP aber einen Ausweg sah, indem sie sich erst ihres Vorsitzenden und Kanzlers Karl Nehammer entledigte und dann ihrer strikten Anti-Kickl-Doktrin, die gerade einmal einen Wahlkampf und eine zähe Regierungsverhandlung überdauert hatte. 

Der Interims-Chef Christian Stocker erklärte gestern schließlich, dass seine Partei doch zu Gesprächen mit der FPÖ bereit sei. Eine bemerkenswerte Wende um 180 Grad, die wohl nur so schnell und reibungslos vollzogen werden konnte, weil Teile der Partei schon lange über ihre Schulter zur FPÖ geschaut hatten. 

Ein Präsident ohne große Optionen

Inhaltlich trennt die beiden Parteien sowieso wenig seit der Ära von Sebastian Kurz, der sein Programm intern als „FPÖ light“ tituliert hatte. Im Bundesland Steiermark hatten sich die Freiheitlichen und die ÖVP nach den Landtagswahlen im November 2024 in weniger als drei Wochen auf ein Koalitionsabkommen geeinigt. Damit arbeiten die Konservativen schon in fünf von neun Bundesländern mit der FPÖ zusammen. Sobald die atmosphärischen Spannungen mit Kickl bereinigt sind, dürften die Verhandlungen also „a gmahde Wiesn“ sein, wie man in Österreich sagt. Die Freiheitlichen hatten schon kurz nach den Nationalratswahlen im September einen detaillierten Fahrplan für Sondierungen mit den Konservativen präsentiert – und wurden damals noch von Karl Nehammer verschmäht. Nun dürften sie das Programm auf Wiedervorlage setzen, und das aus einer gestärkten Position heraus.

Zimmert Kickl eine Koalition mit der ÖVP, steht Van der Bellen wieder ziemlich allein da. Er wolle dafür sorgen, dass „die Prinzipien und Regeln unserer Verfassung beachtet werden“, sagte er am Montag. Einige wichtige Eckpunkte habe er schon mit Kickl besprochen: die Pressefreiheit etwa und die konstruktive Zusammenarbeit in der Europäischen Union. Van der Bellen kann darauf drängen, dass entsprechende Bekenntnisse Eingang in den Koalitionsvertrag finden. 

Sobald die Unterschrift trocken ist, ist er jedoch de facto Passagier auf einem Schiff, das von Herbert Kickl gelenkt wird. Die Verfassung räumt ihm zwar weitgehende Rechte ein – so kann er theoretisch den Bundeskanzler oder die gesamte Regierung entlassen. Realpolitisch wäre das wohl aber keine Option, weil das wieder in eine Staatskrise münden würde, die Van der Bellen vermeiden will. Eher wird er versuchen, im Vorfeld auf die Kabinettsliste einzuwirken. So wie 2017, als Sebastian Kurz ein Bündnis mit der FPÖ schmiedete und Van der Bellen mit seinem Veto zwei FPÖ-Kandidaten aus den Ministerien fernhielt. Ein kleiner Erfolg, mehr nicht. Mehr wird ihm auch diesmal nicht vergönnt sein.