Explosionen: Kölner Drogenbande soll Gewalttaten beauftragt haben – Panorama

Es ist die Wende in einem Fall, der seit dem Sommer den Großraum Köln erschüttert: Eine Serie von Entführungen, Anschlägen mit selbstgebastelten Sprengkörpern und sogar Folterungen geht offenbar auf das Konto einer lokalen Drogenbande aus dem rechtsrheinischen Stadtteil Kalk. Einzelne Mitglieder eines kriminellen Netzwerks aus den Niederlanden – der sogenannten Mocro-Mafia, der mutmaßlich viele Täter marokkanischer Abstammung angehören – wurden von der Kölner Drogenbande wahrscheinlich nur angeheuert, um den Diebstahl von mindestens 300 Kilo Cannabis zu rächen. Drahtzieher der gewaltsamen Auseinandersetzung seien die bis heute flüchtigen Täter aus den Niederlanden jedoch nicht gewesen, sagte am Donnerstag Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU).

Den neuen Stand der monatelangen Ermittlungen hatte zuvor die Kölner Staatsanwaltschaft dem WDR bestätigt. Demnach sollen die Gewalttaten im Juli von Mitgliedern einer „Bande Kalk“ in Auftrag gegeben worden sein, um das gestohlene Cannabis wieder aufzutreiben. Die niederländischen Kriminellen, von denen viele der „Mocro-Mafia“ zugeordnet werden, stehen im Ruf, besonders brutal vorzugehen. Die gedungenen Helfer aus dem Nachbarland sind der Polizei zum Teil bekannt, sollen sich aber nach ihren Taten wieder in die Heimat abgesetzt haben. Indizien dafür, dass sich das niederländische Netzwerk in Deutschland ausbreite und hier neue Märkte erobern wolle, hätten sich nicht bestätigt, erklärte Ulrich Bremer, Sprecher der Kölner Staatsanwaltschaft.

Mittlerweile haben Kölns Polizei und Staatsanwaltschaft 35 Beschuldigte ermittelt. 15 von ihnen sind in Deutschland in Haft. Mit ersten Anklagen sei in den nächsten Wochen zu rechnen. Zudem sitzt ein 22-jähriger Deutsch-Iraker aus Köln derzeit in Frankreich in Haft, der als Schlüsselfigur der Kölner Drogenhändler gilt und Anfang Oktober am Pariser Flughafen Charles de Gaulle festgenommen wurde. Die deutschen Behörden haben seine Auslieferung beantragt.

Es geht um gestohlene Drogen im Wert von etwa 1,5 Millionen Euro

Ende Juni hatten Unbekannte der „Bande Kalk“ etwa die Hälfte von 700 Kilo Cannabis gestohlen, die in einer Halle in Hürth westlich von Köln lagerten. Diese 300 bis 350 Kilo haben auf dem Schwarzmarkt einen geschätzten Wert von mindestens 1,5 Millionen Euro. Die Ware soll ursprünglich aus den Niederlanden stammen.

Die Ermittler gehen davon aus, dass die Kölner Drogenhändler den Verdacht hegten, jemand aus den eigenen Reihen habe das Cannabis erbeutet. Vermutete Verräter sollen entführt und in einem Einfamilienhaus im Kölner Stadtteil Rodenkirchen unter Folter verhört worden sein. An dieser Geiselnahme, so Innenminister Reul, seien auch niederländische Tatverdächtige „gegen Entgelt“ beteiligt gewesen. Ein Spezialeinsatzkommando (SEK) hatte die Gefangenen in einem Großeinsatz befreit. Es folgten mehrere Sprengstoffanschläge in Köln vor Häusern, deren Bewohner die „Kalker Bande“ wohl als Diebe ihrer Ware verdächtigte. Bei diesen Aktionen, so mutmaßen nun die Ermittler, seien von der Kölner Drogenbande ebenfalls Mitglieder der „Mocro-Mafia“ als Mittäter beauftragt worden.

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul hatte im September im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung zwar bestätigt, im Kölner Raum herrsche „eine neue Form der Gewalttätigkeit“. Gleichzeitig warnte der CDU-Politiker vor dem Schluss, alle Taten seien der niederländischen Mafia anzulasten. Am Donnerstag wurde der Minister deutlicher: „Es gibt keinen Beweis, dass die Niederländer die Tatherrschaft gehabt haben. Die ist da in Köln zu sehen.“

Zahl der Straftaten im Bereich der Clan-Kriminalität ist angestiegen

Reul präsentierte am Donnerstag im NRW-Landeskriminalamt (LKA) ein neues Lagebild zur Clan-Kriminalität. Demnach ist die Zahl registrierter Straftaten von Angehörigen türkisch- oder arabischstämmiger Großfamilien 2023 um 6,5 Prozent erneut gestiegen, auf 7000 Delikte. „Das sind so viele wie noch nie“, räumte Reul ein. Die Zahl der Tatverdächtigen nahm 2023 um 4,4 Prozent zu und stieg auf 4213. Mehr als jede vierte Tat (27,6 Prozent) soll von einem harten Kern von Verdächtigen begangen worden sein, sogenannten Mehrfachtatverdächtigen.

Die niederländische „Mocro-Mafia“ wird allerdings vom NRW-Landeskriminalamt nicht als Clan-Kriminalität eingeordnet: Dieses Netzwerk rekrutiere seine Mitglieder nicht auf der Basis von Zugehörigkeit zu Großfamilien. Vorerst ebenfalls nicht erfasst wurden kriminelle Banden meist syrischer Staatsangehöriger im Ruhrgebiet. Bisher ist es den Ermittlern offenbar nicht gelungen, klare und verfestigte Familienstrukturen in diesen Netzwerken auszumachen. Im Sommer 2023 hatten Schlägereien zwischen Gruppen syrischer und türkisch-arabischer Herkunft in Castrop-Rauxel und Essen für Aufsehen gesorgt. Bei einer Anhörung im Düsseldorfer Landtag hatten Experten kürzlich gewarnt, es würden neue syrischstämmige Clans heranwachsen. Dann könne ein Konkurrenzkampf mit etablierten kriminellen Netzwerken drohen.