„Deutschland hat immer entschlossen gehandelt“

Herr Minister, wen wünschen Sie sich als neuen deutschen Finanzminister?

Das geht mich nichts an, und deshalb sage ich dazu auch nichts. Ich wäre auch nicht erfreut, wenn Herr Kukies Ratschläge gäbe, wer irischer Finanzminister werden oder sein soll.

Elon Musk hat der deutschen Regierung auch erklärt, was sie zu tun hat.

Ein Grund mehr, dass ich es nicht tue.

Aber mit Kukies arbeiten Sie gut zusammen?

Ich kenne ihn schon sehr lange, weil er der wichtigste Wirtschaftsberater von Olaf Scholz war, zuerst im Finanzministerium, dann im Kanzleramt. Aber glauben Sie mir, ich habe mit allen deutschen Finanzministern kontinuierlich gut zusammengearbeitet, von Wolfgang Schäuble bis zu Jörg Kukies.

Derzeit ist die Berliner Finanzpolitik aber nicht von Kontinuität geprägt. Vor ein paar Wochen war Deutschland noch das Land der Schuldenbremse, dem viele Partnerländer „Austerität“ vorwarfen. Jetzt will die neue Regierungskoalition in großem Stil Schulden aufnehmen, um in die Aufrüstung und die Infrastruktur zu investieren. Erleichtert Sie das, oder sind Sie eher erschreckt?

Die Berliner Ankündigungen sind sehr positiv. Das sehe nicht nur ich so, sondern auch die breite Mehrheit meiner Amtskollegen in der Eurogruppe. Europa muss dringend in seine Infrastruktur investieren, und genauso in seine Sicherheit. Die neue deutsche Regierung trägt dem Rechnung, und das heißen wir willkommen.

Wegen der Berliner Absicht, ein großes Schuldenpaket auf den Weg zu bringen, sind die Anleihezinsen nicht nur in Deutschland gestiegen, sondern auch in den meisten anderen Eurostaaten. Besorgt Sie das nicht?

Nein. Die Staatsfinanzen im Euroraum sind insgesamt gesund, gerade im Vergleich mit anderen Reservewährungen. Mit kurzfristigen Zinsschwankungen können wir umgehen.

Sie glauben auch nicht, dass das Schuldenpaket Inflationsgefahren birgt?

Nein. Das meiste davon wird direkt in Verteidigungsausgaben gehen. Ich bleibe sehr zuversichtlich, dass die Inflationsaussichten für den Euroraum davon unberührt bleiben. Wir haben die sehr hohen Inflationsraten der vergangenen Jahre wieder unter Kontrolle gebracht. Das ist vor allem das Verdienst des Rats der Europäischen Zentralbank, liegt aber auch daran, dass die Eurostaaten eine vorsichtige Fiskalpolitik betrieben haben. Das können wir fortsetzen.

Manche deutsche Ökonomen befürchten, dass die schuldenfinanzierten Staatsinvestitionen im Haushalt einfach nur Raum für Konsumausgaben schaffen.

Ich sehe das nicht. Wir müssen zusätzlich investieren, und das deutsche Programm verspricht genau das.

Im Augenblick können Sie aber noch gar nicht wissen, was konkret beschlossen wird. Es ist offen, ob die notwendige Grundgesetzänderung zu Stande kommen wird, und es gibt dauerndes politisches Hin und Her in Berlin. Ist Deutschland überhaupt noch ein Stabilitätsanker in der Eurozone?

Absolut, das ist überhaupt keine Frage. Ich kann und will mich nicht in nationale Debatten einmischen, und schon gar nicht in Debatten, die im Parlament stattfinden. Aber ich empfinde so tiefen Respekt, ja Bewunderung für die deutsche Demokratie und die Qualität der Debatten in Ihrem Land. Deshalb bin ich sicher, dass der Bundestag eine verantwortungsvolle Entscheidung treffen wird. Und als Europäer und als irischer Staatsbürger bin ich sicher, dass Europa auch aus dieser Krise gestärkt hervorgehen wird. Deutschland wird dazu einen starken Beitrag liefern.

Die Ansage des designierten Bundeskanzlers, er wolle für die Aufrüstung „all in“ gehen, ist trotzdem steil. Hat Friedrich Merz Sie überrascht?

Ich wusste immer, dass die Bundesregierung in der Lage sein würde, auf die veränderte Welt zu reagieren, in der wir leben. Bedenken Sie, was allein in den vergangenen zwei Wochen passiert ist. Und in den Monaten davor hat mich auch sehr vieles überrascht, ja schockiert. Aber jedes Mal haben deutsche Politiker nicht nur die großen Veränderungen erkannt, sondern dann auch entschlossen und positiv gehandelt.

Erinnern Sie sich, wie die deutsche Regierung – der Finanzminister hieß damals Olaf Scholz – auf den Wirtschaftseinbruch in der Pandemie reagiert hat? Sie hat ein sehr erfolgreiches Konjunkturpaket aufgelegt.

„Bazooka“ nannte man es in Deutschland damals. Aus anderen Mitgliedstaaten gab es dafür Kritik. Der Vorwurf lautete, die deutsche Regierung subventioniere ihre Wirtschaft zu Lasten anderer Länder und gefährde damit die Chancengleichheit im Binnenmarkt. Es ist zu erwarten, dass sich dieser Vorwurf jetzt wiederholt.

Nein. Deutschland nutzt doch nur den Budgetspielraum aus, den es klugerweise vorher aufgebaut hat. Und dieser Spielraum existiert seit vielen Jahren. Er versetzt Deutschland auch in die Lage, selbst in seine Verteidigung zu investieren.

Viele Eurostaaten sind aber schlechter aufgestellt. Dennoch hängt das 800-Milliarden-Euro-Paket, das die EU-Kommission vorschlägt, nur zu einem kleineren Teil an EU-Mitteln. Auch wenn die Mitgliedstaaten jetzt für ihre Rüstungsausgaben von einem Aussetzen der EU-Budgetregeln profitieren sollen, bleibt die Frage, ob sie die zusätzlichen Ausgaben auch stemmen können und wollen.

Die meisten Länder werden das tun. Das haben mir meine Amtskollegen auf unserem Treffen in dieser Woche in Brüssel versichert. Und wir haben dafür genug Spielraum. Vor einigen Jahren lag das durchschnittliche Staatsdefizit im Euroraum noch bei acht Prozent der Wirtschaftsleistung, dann lagen wir bei fünf, und mittlerweile haben es viele Eurostaaten wieder unter den Maastrichter Referenzwert von drei Prozent geschafft.

Die Finanzminister haben diese Woche in Brüssel nicht nur über dieses Paket diskutiert, es liegen noch mehr Vorschläge zur Rüstungsfinanzierung auf dem Tisch. Reicht das Paket erst einmal aus?

Es ist jedenfalls ein großer Schritt. Leider kann niemand abschließend sagen, ob es reicht. Wir müssen ja nicht nur in unsere Sicherheit zur Abschreckung gegenüber Russland investieren. Wir wissen auch nicht, wie es in den USA weitergeht. Aber wir sollten erst einmal sicherstellen, dass das jetzt vorgeschlagene Paket bis zum Sommer unter Dach und Fach kommt.

Was halten Sie von sogenannten Verteidigungsbonds, also einer gemeinsamen EU-Verschuldung zur Rüstungsfinanzierung?

Wir kennen dieses Instrument ja schon, der Corona-Aufbaufonds beruht auch auf gemeinsamen Schulden. Da gibt es, etwa zur Rückzahlung, durchaus noch offene Fragen. Wir sollten erst das auf den Weg bringen, was die Kommission jetzt vorgeschlagen hat.

Im Gespräch ist auch eine neue Europäische Rüstungsbank, an der sich auch Nicht-EU-Staaten beteiligen könnten. Was halten Sie davon?

Es ist tatsächlich sehr wichtig, dass wir vor allem das Vereinigte Königreich in die europäische Sicherheitsarchitektur und in deren Finanzierung integrieren. Dafür gibt es sehr, sehr viele unterschiedliche Optionen. Die müssen wir uns alle noch genauer anschauen.

Die EU richtet ihren Blick wieder auf die Briten, die europäische Verteidigung ist nur in zweiter Linie eine Frage der Währungsunion. Hat die Eurogruppe vor diesem Hintergrund nicht an politischer Bedeutung eingebüßt?

Nun, die dunklen Jahre der Eurokrise, in der die Eurogruppe wohl die zentrale Entscheidungsinstanz war, liegen erfreulicherweise hinter uns. Und die Eurozone bleibt attraktiv. Kroatien ist erst kürzlich beigetreten, Bulgarien will nachziehen. Und vergessen Sie nicht: Jeden Monat kommt fast jeder Eurominister nach Brüssel, um über unsere Budgets, über den digitalen Euro und vieles andere zu diskutieren. Das muss schon einen Grund haben.

In der kommenden Woche findet am Rande des regulären EU-Gipfels mal wieder ein Euro-Gipfel statt. Worüber werden Sie dort mit den Staats- und Regierungschefs sprechen?

Erstens über den digitalen Euro. Dieser ist angesichts der Krypto-Initiativen in einem anderen Teil dieser Welt deutlich wichtiger geworden. Zweitens wird die EU-Kommission kommende Woche neue Vorschläge zur Kapitalmarktunion machen. Über dieses Thema reden wir schon viel zu lange. Und es gibt ja durchaus auch Fortschritte, vor allem in der Neuregulierung von Verbriefungen und bei der Entwicklung eines gemeinsamen europäischen Investitionsprodukts.

Gibt es irgendeinen Grund zu glauben, dass es mit der Kapitalmarktunion vorangeht?

Wir sind dazu gezwungen. Europa muss mehr denn je seine Kapitalmärkte vertiefen, weil es viel stärker als früher auf eigenen Beinen stehen muss.

Ihre zweite Amtszeit an der Spitze der Eurogruppe endet im Sommer. Wollen Sie wieder kandidieren?

Ja, das will ich in der Tat. Ich bin jetzt wieder zum irischen Finanzminister ernannt worden, das war dafür die Voraussetzung. Ich freue mich wirklich, dass ich dieses Amt bald fünf Jahre ausüben durfte und möchte gerne weitermachen. Aber darüber entscheiden meine Kollegen und Freunde in der Eurogruppe in den kommenden Monaten.