Der Wandertipp führt ins Gersprenztal bei Münster

Alle 30 Sekunden eine Aufnahme: Live kann via Internet das Geschehen in einem Storchennest an der Gersprenz mitverfolgt werden. Es steht auf einem Gittermast vor der Kläranlage von Münster im südhessischen Kreis Darmstadt-Dieburg, aus der eine Webcam des Versorgers Entega ins Netz überträgt. Die neue Kamerageneration visualisiert jedes Detail der Nest- und Brutpflege – selbst nachts ist man jetzt per Infrarotlicht dabei.

Vor 25 Jahren kehrten nach jahrzehntelanger Abwesenheit erstmals Störche in das untere Gersprenztal zurück. Was als kleine Sensation galt, ist heute mit rund 40 Brutpaaren ein vertrautes Bild. Wie in der Wetterau oder im hessischen Ried honorierten Meister Adebar und andere bestandsgefährdete Vogelarten die vielfältigen Maßnahmen zur Rückgewinnung großräumiger Feucht- und somit Nahrungsgebiete.

Denn was hier naturnah erscheint, musste der Mensch erst in tätiger Wiedergutmachung schaffen. Mehr als 400 Hektar – davon 50 streng geschützt – an gewerblichen und agrarischen Flächen wurden dank Land, Kommune und der örtlichen NABU-Gruppe durch Kauf oder Tausch in Biotope verwandelt, und das kanalartige Bett der Gersprenz wurde teilweise aufgebrochen.

Der Europäische Biber darf nicht fehlen. Nach mehr als 150 Jahren fand „Castor fiber“ zurück und hinterlässt seither kunstvoll angespitzte Eichen und Pappeln. Damit die Dinge im Fluss bleiben, beließ man zum Regulieren das Wehr einer früheren – nun gastronomisch genutzten – Mühle, ergänzte aber zur Umgehung eine rondellartige Fischtreppe.

Zuletzt errichteten die engagierten NABU-Mitglieder aufwendige Beobachtungsposten. Im Süden blickt man zu einer für die seltene Uferschwalbe hergerichteten Sandwand, während eine Hütte mit Sichtblenden das ungestörte Betrachten ausgedehnter Röhrichtzonen erlaubt. Beide umgeben lange Begrenzungen aus Weidengeflecht als Erinnerung an die Bedeutung der Kopfweide zum Erstellen von Körben, Kiepen oder Zäunen.

Bei Nisthilfen bildet ein Weidenkranz die Grundlage, derer die Störche allerdings schon lange nicht mehr bedürfen. Inzwischen setzen sie ihre Nester so dicht und niedrig in (halb abgesägte) Bäume, dass man bis auf wenige Meter herankommt. Als ahnten sie, dass der Mensch nur ihr Bestes will, zeigen die Tiere auch wenig Scheu, wenn sie bei der Futtersuche neben den Wegen durch die Wiesen staksen.

Bei Platznöten weichen die Vögel auf hohe Dächer und ausrangierte Fabrikschlote umliegender Ortschaften aus. Allein das fachwerkgeprägte Altheim muss auf ein Storchennest verzichten. Wenigstens an der Kirche mit ihren Satteldächern und einem steilen Turmaufsatz, der dem Dorf zeitweilig den Zusatz Spitz-Altheim eintrug. Vor gut 500 Jahren wurde der wuchtige Turm beendet – und war doch nur eine Etappe einer langen Baugeschichte von der Romanik über den spätgotischen Chor zur Umgestaltung unter protestantischen Vorzeichen im 18. Jahrhundert durch den sukzessiven Einbau von Empore, Orgel und der Kanzel. Letztere erhielt am Schalldeckel eine „Lutherrose“, die sich auch übergroß am Vorplatz wiederfindet.

Die Gersprenz wurde teilnaturiert, bei Hergershausen wurde eine rondellartige Fischtreppe eingebaut sowie für die seltene Uferschwalbe eine Sandwand hergerichtet – einschließlich langer Weidenzäune.
Die Gersprenz wurde teilnaturiert, bei Hergershausen wurde eine rondellartige Fischtreppe eingebaut sowie für die seltene Uferschwalbe eine Sandwand hergerichtet – einschließlich langer Weidenzäune.Thomas Klein

Wegbeschreibung

Das Storchenparadies im Gersprenztal ist dank der Nähe zu einer Bahnstrecke gut erreichbar. Vor der Station von Münster-Altheim liegt außerdem ein großer, frei nutzbarer Parkplatz. Zur Ortsbesichtigung gelangt man jenseits der ampelgeregelten Bundesstraße in wenigen Minuten hinüber.

Ansonsten laufen wir entgegengesetzt los und schwenken nach 200 Metern rechts in die Zufahrt von zwei Aussiedlerhöfen. Der erste wird umgangen und vor dem zweiten links Richtung Hergershausen abgebogen. Am rechtsseitigen Wäldchen sichtet man mehrere Storchenpaare; die Kopfweiden gegenüber leiten per Stichstrecke zur Sandwand der Uferschwalben.

Begleitet von Erläuterungstafeln zu Flora und Fauna, umkurven wir einige „Ecken“ nahe der Semme. Bei Erreichen einer Kreuzung mit Schutzhütte neben einem kleinen Biotop knickt man rechts ab und passiert zwei Reiterhöfe, so es nicht verkürzend geradeaus direkt zur Gersprenzbrücke geht.

Der Hauptweg zielt auf Hergershausen. Noch davor lässt sich links der Landstraße folgen; sehenswerter ist die Partie durch den bäuerlich geprägten Ort. Die Rodgaustraße leitet hinein und überrascht ausgangs mit einem regelrechten Pfarrbezirk um die ungewöhnlich große Barockkirche. Wieder außerhalb, wechseln wir die Seite der Landstraße und kommen links davon der historischen Langfeldsmühle näher. Das jetzige Ausflugslokal mit gutbürgerlicher Küche erlaubt bei gutem Wetter das Sitzen im Fachwerkhof.

Die Pfarrkirche von Münster-Altheim ist ein außergewöhnlicher Bau mit romanischem Langhaus, spätgotischem Chor, wuchtigem Wehrturm und barocker Ausstattung unter protestantischen Vorzeichen.
Die Pfarrkirche von Münster-Altheim ist ein außergewöhnlicher Bau mit romanischem Langhaus, spätgotischem Chor, wuchtigem Wehrturm und barocker Ausstattung unter protestantischen Vorzeichen.Thomas Klein

Das Anwesen bezieht seinen Strom aus einem Kraftwerk der Gersprenz. Auch sie ist zu queren, um etwa 200 Meter den Fußweg neben der Straße bis zum Abzweig gen Münster zu nutzen. Dort links und gleich hinter hohen Pappeln abermals links an das Gewässer im Bereich der Fischtreppe.

Treten die Abkürzenden über die hölzerne Brücke hinzu, heißt es gegen die Fließrichtung am rechten Ufer weiter. Kranzartige Verbisse an mächtigen Eichen und Pappeln verraten die Anwesenheit des Bibers, auch ohne seiner ansichtig zu werden. Ungleich größer sind die Chancen, Graureiher, Kormorane oder Bekassine zu erleben, wenn wir nach den Angelteichen eine ausgedehnte Flachwasserzone berühren.

Und ganz gewiss zeigen sich Störche: entweder auf Nahrungssuche oder in ihren Baumnestern auf der anderen Flussseite. Noch tiefer liegt das kameraüberwachte Nest der Kläranlage, die nach gut einem Kilometer durch offene Flur drüben auftaucht. Kurz dahinter wechselt man via Holzsteg über die Gersprenz und mit dem zweiten Weg links, vorbei an den Einrichtungen der Wasseraufbereitung, zum nestbekrönten Gittermast. Ausweislich der Schaukästen gab es allein in diesem Horst in gut zwei Jahrzehnten 70-mal Nachwuchs.

Das Geradeaus wird 250 Meter zwischen Feldern beibehalten, ehe es rechts in den Querweg geht. Er durchmisst eine weite Felderebene, auf der sich Störche wie an einem gedeckten Tisch fühlen dürfen. Nur die brackige Zone ausgangs der Naturschutzgebiete behagt den eleganten Fliegern weniger. Jenseits des kleinen Urwalds knicken wir links und am nächsten Weg rechts ab, um die erhöht stehende Beobachtungshütte anzusteuern. Dann kommt auch schon die Altheimer Bahnstation nach kurzem Gang rechts der Landstraße näher.

Sehenswert

Nach großräumigen Renaturierungsarbeiten entwickelte sich das weite Gersprenztal bei Münster zu einer der bedeutendsten Storchenkolonien des Landes. Rund 40 Brutpaare werden gezählt, dazu viele bestandsgefährdete Tiere wie Schwarzmilan, Bekassine oder Eisvogel; zuletzt zogen Biber ein. Außerdem wurde die kanalartige Gersprenz teilweise für Inselchen und Flachwasserzonen aufgebrochen. Das gut 400 Hektar große Areal – davon 50 geschützt – ist durch Wege und Beobachtungsstände gut erschlossen.

Historische Ortsbilder zeichnen Münster-Altheim und Hergershausen aus. Beide besitzen noch den durch farbig verschindelte Fachwerkhäuser geprägten bäuerlichen Kern. Die Pfarrkirchen sind dagegen sehr unterschiedlich. Der Altheimer romanisch-spätgotischen mit wuchtigem Spitzhelmturm von 1520 steht in Hergershausen ein reiner, mauerumgebener Barockbau (1712) gegenüber.

Einkehren

Gasthof „Langfeldsmühle“ bei ­Hergershausen, Telefon 06073/4346, montags und dienstags geschlossen; werktags von 17 Uhr an, samstags von 15 Uhr und sonntags von 11 Uhr an geöffnet.

Anfahrt

Über B 45 und B 26 Richtung Babenhausen bis zum Parkplatz an der Bahnstation von Münster-Altheim.

Bahnverbindung alle halbe Stunde via Darmstadt (RE 60 oder RB 67) oder Hanau (S 9) und Babenhausen (RE 85) mit der RB 75 nach Münster-Altheim.