
Für einige kurze Sekunden war dieses scheue Wesen, das jeder Fußballfan irgendwie kennt und das doch nur sehr, sehr selten in der Realität erscheint, tatsächlich anwesend in der gelb-schwarzen Schüssel: das Fußballwunder. Es lief die 79. Minute, Julian Brandt hatte ein viertes Tor für den BVB geschossen, die Menschen brüllten. Plötzlich war das Unmögliche ganz nah. Doch an der Seitenlinie erhob sich die Fahne des Schiedsrichterassistenten, Brandt hatte kurz zuvor im Abseits gestanden.
Dieses aufregende, unterhaltsame, mitreißende Fußballspiel blieb ein großes Erlebnis. Zu einer wundersamen Nacht für die Ewigkeit wurde es nicht. Der Trainer Niko Kovac war aber auch ohne krönenden Schlusspunkt sehr zufrieden mit dem 3:1-Sieg seiner Mannschaft über den FC Barcelona, der bis zu diesem Abend im Jahr 2025 noch kein einziges Spiel verloren hatte. „So kann man ausscheiden. Wir haben heute das beste Spiel gemacht, seit ich hier bin“, sagte er.
Obwohl die Mannschaft nach Hin- und Rückspiel gegen den FC Barcelona verloren hatte, überschüttete die Südtribüne die Spieler nach dem Schlusspfiff mit Wärme und Zuneigung. Sogar auf eine Ehrenrunde begaben sich die Dortmunder, während Hansi Flick, der Trainer der Spanier, einen Satz sagte, der seit vielen Monaten keinem ernst zu nehmenden Fachmann über die Lippen gekommen ist: „Dortmund hat es sehr gut gemacht, sie haben eine phantastische Mannschaft.“
Wer diese zwischenzeitlich rauschhafte Champions-League-Nacht isoliert betrachtet, konnte kaum widersprechen. „Heute fahren die Leute mit einem Lächeln nach Hause“, sagte Sportdirektor Sebastian Kehl, der selbst eine Art Dauerlächeln im Gesicht trug. „Die Leute haben auf ein Zeichen der Mannschaft gewartet. Und das kam.“
Alleine dieses in vielen Momenten betörende Stadionerlebnis fühlte sich beinahe an wie ein Sieg. Serhou Guirassy hatte drei Tore geschossen, die Intensität, die Strategie, die Stimmung, alles passte, der FC Barcelona, der im Moment immer wieder zu den zwei, drei besten Teams der Welt gezählt wird, war zwischenzeitlich überfordert, geriet ernsthaft ins Wanken. „Wir hatten keine richtige Kontrolle“, sagte Robert Lewandowski.
Schon nach acht Minuten hatte der BVB drei, vier Möglichkeiten zum 1:0 gehabt, was einerseits ein paar Schwächen im Umgang mit Chancen sichtbar machte, andererseits aber diese ganz besondere Dortmunder Europapokalmagie freisetzte. Nach zehn Minuten traf Guirassy per Foulelfmeter zum 1:0, auch ein zweiter Treffer war schon vor der Pause möglich. Nach 45 Minuten lautete die Torschussstatistik 10:1.
„Das hatten sich die Menschen erhofft“
Weil jedoch Brandts Treffer nicht zählte und Ramy Bensebaini ein unglückliches Eigentor zum 2:1 unterlaufen war, blieb der ganz große Crunchtime-Thriller aus, und dennoch sagte Kehl: „Wir haben genau das umgesetzt, was wir uns vorgenommen haben. Man hat heute gemerkt: Das ist, was die Menschen sich hier heute erhofft haben.“

Dass mit dieser schönen Fußballnacht vielleicht eine große Dortmunder Champions-League-Zeit zu Ende gegangen ist, spürte erstmal niemand. Aber womöglich war das nach acht Jahren nacheinander in der Königsklasse eine Art vorläufiger Abschied.
Denn eine abermalige Qualifikation wird schwer für den Tabellenachten der Bundesliga, wobei Süle wohl auch begeistert von diesem Abend Optimismus verbreitete: „Wir haben fünf schwierige Spiele. Wenn wir sie alle gewinnen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass wir auch nächstes Jahr Champions League spielen. Das muss das Ziel sein.“ Zugleich warf der seit Jahren nur selten fitte Verteidiger ein Schlaglicht auf das Kernproblem dieser Mannschaft, die noch längst nicht vollständig von ihren Krankheiten geheilt ist.
Rätsel der Dortmunder Mannschaft
„Ich habe noch nicht so viele Spiele für Borussia Dortmund gemacht, in denen wir so füreinander eingestanden sind, so gekämpft haben“, verkündete Süle, was selbstverständlich die Frage aufwirft, warum eigentlich nicht.
Schließlich sehnen sich alle im Klub, die Spieler, die Trainer, die Chefs und in der Fangemeinde, nach genau diesem BVB. „Diese Frage stellen sich einige hier seit Jahren“, sagte Süle. Vielleicht gibt es intern ein paar Antworten, von außen sind die Rätsel dieser Mannschaft schon oft beschrieben worden, entschlüsseln konnte sie bislang niemand.
Relativ klar ist nur, dass Kovac das Team irgendwie stabilisiert hat und dass den Dortmunder Spielern das System mit Dreierkette und Doppelspitze liegt. Im Hinspiel in Katalonien hatte der Trainer noch einmal eine Rückkehr zur alten Grundordnung vorgenommen, was zu den Ursachen für das dortige Desaster zählt.
Diese Nacht soll nun Kraft für den Bundesligaendspurt spenden. „Wir sind jetzt in der Jägerrolle“, sagte Kehl mit Blick auf die Bundesliga, wo am kommenden Sonntag (17.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Bundesliga und bei DAZN) Borussia Mönchengladbach zu einem weiteren großen Spiel erwartet wird.