Arbeitspflicht im Bürgergeld: Wirkungslos und viel zu teuer

Zum Beispiel Puzzleteile zusammensetzen und für einen Euro die Stunde herausfinden, ob alle Teile vorhanden sind. Tatsächlich werden Langzeitarbeitslose in den sogenannten Toys Companys der Dekra seit vielen Jahren für solche Aufgaben eingesetzt. Die Prüfgesellschaft betreibt nämlich über ihre Tochter Dekra Akademie öffentlich geförderte Spielzeugunternehmen, die zwar keinen Gewinn erzielen, aber Spielzeugspenden reinigen, reparieren und aufarbeiten und dann an Bedürftige oder soziale Einrichtungen verteilen. 

Von Lübeck bis Friedrichshafen gibt es bundesweit solche Einrichtungen. Dort arbeiten Langzeitarbeitslose in einem sogenannten Ein-Euro-Job, im Behördenjargon Arbeitsgelegenheit genannt. Die Ein-Euro-Jobber sollen so wieder an den „Rhythmus eines geregelten Arbeitstages und die Strukturen im Arbeitsleben“ herangeführt werden, heißt es auf der Seite der Dekra Akademie.

Was halbwegs sinnvoll klingt, wird in Foren, in denen sich Bürgergeldbezieher austauschen, stark kritisiert – schon seit über 20 Jahren. Früher hatte auch der TÜV Nord Arbeitsgelegenheiten für Langzeitarbeitslose im Angebot, etwa einen Trainingssupermarkt, mit aufblasbarer Wurst und leeren Schnapsflaschen. Sowie einem echten Lager, in dem die Ein-Euro-Jobber Waren stapelten, Produkte auszeichneten und an der Kasse Krämerladen spielten. „Dieses Projekt hat es als Negativbeispiel sogar in den Spiegel geschafft“, erinnert sich Detlef Scheele, der bis August 2022 Chef der Bundesagentur für Arbeit war und davor unter anderem Senator für Arbeit und Soziales in Hamburg. 

Scheele kritisiert solche Arbeitsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose. Und er spricht sich gegen eine generelle Arbeitspflicht von Bürgergeldempfängern aus. Die meisten seien sowieso motiviert und wollten nichts mehr, als schnell wieder einen Job finden. Ein anderer Teil sei krank oder habe soziale Probleme, sodass ein Arbeitszwang ohnehin nicht infrage komme. Aktuelle Zahlen zeigen: Langzeitarbeitslose, die Jobs, Ausbildungen oder Maßnahmen verweigern und dafür
sanktioniert wurden, sind eine recht kleine Gruppe. Es geht um 15.777 Personen.

Wer eine Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger fordert, weiß offenbar nicht, wie komplex und kostenintensiv das Ganze ist, oder er betreibt absichtlich reinen Populismus.

Detlef Scheele, früherer Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit

Scheele weiß, wovon er spricht. Der SPD-Politiker war vor seiner Berufung als Arbeitssenator auch Geschäftsführer der Hamburger Arbeit-Beschäftigungsgesellschaft (HAB), einem öffentlichen Unternehmen, das 3.000 Langzeitarbeitslose und Menschen, die dem Arbeitsmarkt fern waren, lange vor den Ein-Euro-Jobs wieder in Arbeit vermitteln sollte. „Wir hatten 3.000 Mitarbeiter und haben jährlich 90 Millionen Euro netto von der Stadt erhalten. Es war also sehr teuer. Wer eine Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger fordert, weiß offenbar nicht, wie komplex und kostenintensiv das Ganze ist, oder er betreibt absichtlich reinen Populismus“, sagt der frühere BA-Chef.  

Die Stadt Schwerin will eine solche Pflicht einführen, dort hat der Stadtrat gerade einen entsprechenden Beschluss gefasst. Wer Bürgergeld erhält, soll für gemeinnützige Arbeit herangezogen werden. In zwei Thüringer Landkreisen gibt es zudem eine Arbeitspflicht für arbeitsfähige Asylbewerber. Die FDP fordert nun eine generelle Arbeitspflicht für Sozialhilfeempfänger, ein Konzept für die Umsetzung haben die Liberalen allerdings nicht. Detlef Scheele kann darüber nur den Kopf schütteln und erklärt, warum eine allgemeine Arbeitspflicht für gemeinnützige Tätigkeiten im Grunde nicht flächendeckend umzusetzen ist. 

„Angenommen, man verpflichtet eine Gruppe von zwölf Arbeitslosen zu Laubarbeiten im Park – dann braucht man einen Bus für den Transport und auch einen Fahrer oder eine Fahrerin. Man braucht mindestens zwei Personen als Anleiter, die die Arbeiten überwachen – und man braucht noch Mitarbeitende in der Verwaltung, die sich um die Vermittlung der gemeinnützigen Arbeiten kümmern. Das ist sehr teuer und personalintensiv – und man entfernt sich ganz weit von dem Ziel, die Menschen in sozialversicherungspflichtige Arbeit zu vermitteln. Das hilft der Wirtschaft also gar nicht“, sagt Scheele. 

Die meisten bleiben erwerbslos

Bei der HAB in Hamburg hätte die Vermittlungsquote zwischen 30 und 40 Prozent betragen, die meisten Teilnehmer an dem Programm seien also erwerbslos geblieben, sagt Scheele. Trotzdem ist die Quote ein Erfolg, an den kaum ein Vermittlungsprogramm später noch einmal anknüpfen konnte. 

Denn die 2005 eingeführten Ein-Euro-Jobs für Langzeitarbeitslose sind weitgehend wirkungslos, zeigen Studien, etwa vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Demnach lag der Vermittlungserfolg der Maßnahmen oft nur im niedrigen einstelligen Bereich, oft gab es sogar so viele weitere negative Effekte, dass gleich mehrfacher Schaden eintrat. Zum Beispiel, weil die Ein-Euro-Job-Vermittlung (und Überwachung) so viele zeitliche und personelle Ressourcen in den Jobcentern fraß, dass den Behördenmitarbeitern die Kapazitäten fehlten, die Menschen in reguläre Jobs zu vermitteln. 

Trotzdem waren die Ein-Euro-Jobs schnell nach ihrer Einführung das am häufigsten genutzte Instrument der Arbeitsvermittlung für Langzeitarbeitslose. 2007 wurden zum Beispiel mehr als 750.000 solcher Förderungen begonnen. Die Idee dahinter: Mit der Verpflichtung zu gemeinnützigen Tätigkeiten sollten die Menschen wieder an Arbeit gewöhnt werden. Dass man sich auf dem geförderten Arbeitsmarkt auf dieses Instrument fokussierte, mag heute erstaunen. Im Jahr 2007 aber lag die Arbeitslosenquote bei über zehn Prozent. 

Schon mit über 40 Jahren gehörte man zu den Älteren, ab dem 50. Lebensjahr war es oft selbst für Menschen mit höherer Qualifizierung schwer, eine Anstellung zu finden – und nach zwölf Monaten Arbeitslosigkeit steckte man in Hartz IV und der entsprechenden Vermittlungsmaschinerie. Dazu kam das vorherrschende Meinungsbild vom faulen Arbeitslosen und das alles überragende politische Ziel, die Arbeitslosigkeit zu senken, und sei es nur in der Statistik. Aus diesem Grund sollten die Jobcenter mit den Ein-Euro-Jobs auch die Arbeitsbereitschaft der Langzeitarbeitslosen überprüfen.