Die SPD will wieder das Leichte und Spielerische von sich hervorkehren. Die vergangenen Wochen waren wegen der Auseinandersetzung über den richtigen Kanzlerkandidaten schließlich kräftezehrend genug.
Am Samstagmorgen kommen rund 500 Genossen in der Parteizentrale zusammen, um sich auf den Wahlkampf einzustimmen. Eine Mitarbeiterin des Willy-Brandt-Hauses läuft mit einem Plakat durch die Reihen, darauf verschiedene Bilder von Olaf Scholz. Sie fragt, „welcher Olaf es denn sein dürfe“ – der „wilde Olaf“ (Juso-Kämpfer mit Lockenmähne) oder doch der „Bratwurst-Olaf“ (Scholz beißt menschennah in ein Brötchen)? Einige Parteimitglieder haben einen rot-weißen Schal um den Hals hängen, die die SPD zuvor verteilt hatte. Alles soll ausstrahlen: Wir haben Lust auf das, was kommt.
Doch Bundeskanzler Scholz setzt erst einmal einen anderen Ton. „Die Zeiten sind ernst, verdammt ernst.“ Es gebe neue Bedrohungen, Krieg in Europa, und viele Arbeitsplätze seien nicht mehr sicher. In solch ernsthaften Zeiten, findet Scholz, brauche es ernsthafte Politik und ernsthafte Politiker. Also ihn.
Erst die Partei, dann die Wähler mobilisieren
Scholz holt in den gut 30 Minuten seiner Rede dann zu einem Rundumschlag aus: Von der Union und ihrem Kanzlerkandidaten hält er wenig bis nichts. Soweit erwartbar. Aber von den Grünen, das ist in dieser Deutlichkeit überraschend, hält er auch nichts. Scholz bezeichnet die Grünen, also jenen Koalitionspartner, der ihm noch übrig geblieben ist, als eine Partei, die für Gängelung und Überforderung stehe. Er spricht von der „grünen Brechstange“, mit der der ökologische Umbau der Wirtschaft gelingen soll.
Auch einige Spitzengenossen zeigen sich im Anschluss überrascht von Scholz‘ Attacke. Ist es also doch ein Dreikampf zwischen ihm, Merz und Habeck? Eine Interpretation, die von SPD-Spitzenleuten sogleich weggewischt wird. Scholz habe sich zuletzt einfach sehr über die Grünen geärgert. Vor allem, als Habeck so getan habe, als sei an den Sozialdemokraten der soziale Ausgleich beim Heizungsgesetz gescheitert.
Das Publikum unterbricht die Rede von Scholz immer wieder mit Applaus. Wie gut die Stimmung ist, lässt sich schwer sagen. Spürbar aber ist die Erleichterung unter den Parteimitgliedern, dass die Personalfragen nun geklärt sind – mit welchem Ausgang auch immer. Diese Rede von Scholz ist vor allem an die eigene Partei gerichtet. Erstmal sollen die eigenen Leute motiviert werden, bevor die Wähler mobilisiert werden können.
Harte Attacken auf Oppositionsführer Merz
Am Samstag sind auch die Parteivorsitzenden im Willy-Brandt-Haus, der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich und Generalsekretär Matthias Miersch. Außerdem einige Minister. Verteidigungsminister Boris Pistorius, der Scholz zumindest in der Vorstellung vieler die Kanzlerkandidatur streitig machte, ist nicht da.
Scholz sagt Sätze, von denen er weiß, dass sie die sozialdemokratische Seele wärmen. Dass es auf Solidarität ankomme mit jenen, die hart in Deutschland arbeiteten, aber zu wenig verdienten. Es fällt das Wort Respekt, mit dem Scholz im Wahlkampf 2021 erfolgreich war. Ausführlich redet Scholz über seinen geplanten Kampf für Arbeitsplätze und Investitionen in die Infrastruktur. Er wiederholt seine Aussage, wonach die SPD für stabile Renten stehe, die Union hingegen Renten auf Dauer senken wolle. Schon mehrfach wurde ihm vom politischen Gegner vorgeworfen, dass das nicht stimme, weil Renten in Deutschland nicht sinken könnten. Scholz scheint das in Kauf zu nehmen. Nach dem Motto: Ein bisschen Sozialpopulismus darf schon sein.
Diesen Ton hatten zuvor schon die Parteivorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken in ihren Reden gesetzt. Merz müsse aufpassen, hatte Klingbeil gesagt, dass er nicht zum „berühmtesten Totalverweigerer des Landes“ werde. Und Esken sprach davon, dass mit Merz die Gefahr bestehe, dass Deutschland zurückfalle in die „bräsigen neunziger Jahre“.
Scholz will sich von „Kreml-Lautsprechern“ und Heißspornen absetzen
Scholz wiederum versucht der SPD ein neues Sigel zu geben: als einziger Partei der demokratischen Mitte. Er führt es aus: Nicht die CDU, die inzwischen nichts mehr mit Angela Merkel zu tun habe, stehe für die politische Mitte. Nicht die gängelnden Grünen. Und erst recht nicht AfD und BSW, die Angst schürten. Die breite Mehrheit in Deutschland, die Sicherheit und Stabilität wollten, Augenmaß und Besonnenheit, käme deswegen gar nicht drum herum, SPD zu wählen.
Wenn Scholz Besonnenheit sagt, geht es um die Ukraine. Erst spät kommt er in seiner Rede ausführlich auf das Thema zu sprechen. Er wendet sich gegen die „Kreml-Lautsprecher“, und dürfte damit AfD und BSW meinen. Und dann nennt er „das andere Extrem“, die Heißsporne, die die Lieferung weitreichender Waffensysteme forderten, also die Union, vielleicht auch die Grünen. Die glaubten, es werde schon „irgendwie gut gehen“ mit der Sicherheit Deutschlands. Scholz sagt: „Mit der Sicherheit Deutschlands spielt man nicht Russisch Roulette.“
Scholz schließt mit dem emotionalsten Teil seiner Rede, er spricht über die Liebe. Auch über die Liebe zu seiner Partei.
Die SPD und Scholz haben eine äußerst komplizierte Geschichte miteinander. Die Partei wollte ihn nicht als Vorsitzenden, bekam ihn als Kanzler und muss jetzt wieder mit ihm in einen Wahlkampf ziehen, dessen Ausgangslage höchst schwierig ist.
Scholz sagt, er könne Wahlkampf, manche würden sich noch wundern in den nächsten Monaten. „Unsere Partei ist meine Heimat“, sagt er. Scholz ist seit fast 50 Jahren Mitglied der SPD. „Besinnen wir uns auf unsere Kraft.“ Nicht meckern, sondern machen, das wolle er. Er endet mit einem Wort, dass zumindest als Parole in der SPD immer funktioniert. „Freundschaft.“