Ein Rant zur Weihnachtszeit

„Schreib doch mal einen Rant!“, hieß es gerade mal wieder in der Redaktion. Anmerkung der Redakteurin: Rant, der = bösartiges Aufregen über eine Sache, ein Thema, bis hin zur schriftlichen Vernichtung dieser Sache. Mein Hinweis, ich hätte nicht Rücken, sondern Schreibblockade, wird geflissentlich überhört. Ein Rant zur Weihnachtszeit, damit habe ich nicht unbedingt nur gute Erfahrungen gemacht, versuche ich noch schwach einzuwerfen, doch das Urteil ist gefallen: Ich soll mich mal wieder aufregen, möglichst sachfremd, möglichst kleinkariert, um mal einen bekannten Olaf zu zitieren.

Thema? Weihnachtsmärkte. Brrrr. Die sind bekanntlich noch schlechter als ihr Ruf, immerhin geht’s dort kaum noch um Besinnlichkeit, sondern bloß noch um ­Befriedigung niederer Bedürfnisse mit­hilfe minderwertiger Ware: Fressen, Saufen, Windlichter. Oder auch Bratwurst, Glühwein, Windlichter.

20 Minuten Warten auf überteuerte, zuckrige Gewürzplörre

Dabei sind wir hier natürlich nicht die Ersten, denen aufgefallen ist, dass Glühweintrinken auf dem Weihnachtsmarkt nicht nur besinnlich ist: Man steht sich in der Kälte (zugegeben, neuerdings hat’s im Dezember gern auch mal 15 Grad) die Beine in den Bauch, wartet 20 Minuten auf überteuerte, zuckrige Gewürzplörre, um sich dann über ungemütliche Stehtische und zu laute Musik hinweg anzubrüllen, während das Gefühl langsam aus den ­Zehen weicht und die Zunge taub wird. Kein Wunder eigentlich, dass es in diesem Jahr noch im November zu Ausuferungen unweihnachtlicher Art im Zusammenhang mit hiesigen Weihnachtsmärkten gekommen ist.

Da ist einmal die Stadt Frankfurt, in der es eine Rückrufaktion sondergleichen gegeben hat, und das, obwohl weder Peter Feldmann noch irgendein Pokal daran beteiligt waren. Die für die Weihnachtsmärkte designten Tassen waren zu unsicher! Man könne daraus höchstens Kaltgetränke schlürfen, und wer einmal kalten Glühwein aus dem Tetrapack probiert hat, weiß, dass der höchstens für Erstsemesterpartys oder allenfalls noch Mutproben taugt. Bei diversen Tassen jedoch war die Glasur geplatzt, was die Tassen zu einem Sicherheitsrisiko werden ließ. Fehlerquelle ist laut Tassenhersteller ein verkürzter Brennvorgang im Produktionsland China, das ja für seine ausschweifende Weihnachtsstimmung bekannt ist.

Dann hat es noch einen Vorfall in Stralsund gegeben oder soll es gegeben haben, die Polizei sucht nach Zeugen: Nach ersten Angaben soll ein Vierjähriger einem Weihnachtsmann gleich mehrmals vollkommen unchristlich die Zunge rausgestreckt haben. Daraufhin soll der Weihnachtsmann dem Jungen – dies wiederum könnte auch als Hinweis auf ein gewisses Traditionsbewusstsein gelesen werden – eins mit der Rute mitgegeben haben, als „erzieherische Maßnahme“. Der Weihnachtsmann, der hauptberuflich für die Stadt arbeitet, bestreitet den Schlag, er will den Jungen lediglich mit der Rute am Gesäß berührt und voll traditionsbewusst das Knecht-Ruprecht-Gedicht zitiert haben, womit ein vierjähriger Junge, der im Jahr 2024 die Zunge rausstreckt, bestimmt viel Besinnliches anfangen kann.

Zu allem Überfluss hat nun der von uns im (in-)offiziellen Tier-Ressort hoch­geschätzte Verein „Vier Pfoten“ dazu geraten, Hunde nicht mit auf den Weihnachtsmarkt zu nehmen. Schnüff! „Menschenmengen, laute Geräusche und ver­sehent­liche Tritte auf Pfoten und Schwanz sind für unsere Tiere, die einen ausgeprägten Hör- und Geruchssinn besitzen, eher Horror als weihnachtliche Vorfreude“, sagte eine Heimtierexpertin des Vereins der Deutschen Presse-Agentur, was man wohl auch eins zu eins auf manch menschlichen Leidensgenossen übertragen kann: Mag keine Menschenmengen? Check. Lässt sich ungern auf die Füße trampeln? Check. Schreckt vor lauten Geräuschen zurück? Check. Vielleicht ist dieser eine schlecht gelaunte Bekannte in Wahrheit ein Hund auf dem Weihnachtsmarkt.

Noch jemand meidet übrigens den Weihnachtsmarkt, allerdings nicht wegen der Menschenmengen oder der lauten Geräusche: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann erklärte, angesprochen auf seine mangelnde Weihnachtsmarkt-Präsenz: „Ich brauche nichts mehr.“ Ach du Grinch! Dem ist wohl gar nichts heilig, nicht einmal die gebrannten Mandeln! Lieber Herr Kretschmann, „brauchen“ tun wir die Menschenmengen, die überteuerte, zuckrige Gewürzplörre, das Auf-die-Füße-Getrampel, den Crêpe mit Nutella, die windschiefen Windlichter, die geschmacklosen Weihnachtsbaum­kugeln, die lauten Geräusche, die bei Hitze zerberstenden Tassen und die allüberall vorweihnachtliche Festtagsstimmung auch nicht! Wir wollen sie aber, zumindest ab und zu, wohldosiert, zu Weihnachten eben. Rant over!

Ich muss nämlich los, bin noch verabredet. Glühweinstand, ich komme!