SZ: 20 Jahre, nachdem Sie den Begriff Mikroplastik geprägt haben, sind Sie gerade in Südkorea, um bei den Verhandlungen um ein Abkommen gegen Plastikverschmutzung dabei zu sein. Ganz schön frustrierend, dass es so lange dauert, oder?
Richard Thompson: Es gibt inzwischen 7000 wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Mikroplastik von Arbeitsgruppen auf der ganzen Welt. Im Entwurf des Vertragsabkommens wurde Mikroplastik mehr als 50 Mal erwähnt. Es ist ziemlich emotional für mich, die Diskussionen über Mikroplastik zwischen all den Mitgliedsstaaten zu verfolgen. Aber man kommt von Höhepunkten manchmal sehr schnell zu Tiefpunkten. Es ist oft eine Achterbahn der Gefühle. Viele der anderen Wissenschaftler haben das auch gesagt. Es ist emotional ziemlich erschöpfend, wenn Länder sich nicht einig sind.
Das klingt nicht sehr optimistisch mit Blick auf die Verhandlungen.
Ich bin optimistisch, weil es eindeutig möglich ist, Kunststoffe auf eine nachhaltigere Weise zu verwenden, als wir es derzeit tun – um die Vorteile zu erhalten, ohne den Schaden zu verursachen, den wir derzeit sehen. Es geht ja nicht darum, Plastik aus der Gesellschaft zu verbannen.
Vorteile erhalten, nur ohne den Schaden: Das wirkt wie ein Ziel, auf das man sich leicht verständigen kann.
Die Herausforderung besteht darin, die Nationen dazu zu bringen, sich auf den besten Weg zu einigen. Das wird ziemlich schwierig. Die Finanzierung des Übergangs zu einer nachhaltigeren Nutzung von Kunststoffen wird deshalb von besonderer Bedeutung sein für die Verhandlungen. Ich habe während der dritten Verhandlungsrunde in Nairobi mit Vertretern eines ärmeren Mitgliedstaates gesprochen, und die sagten mir, sie verstünden die Wissenschaft vollkommen. Sie haben die Auswirkungen verstanden. Ihr Herz hat ihnen gesagt, dass sie ein ehrgeiziges Abkommen anstreben mussten, aber sie waren besorgt, dass die Kosten für ihr Land höher sein könnten, als sie es sich leisten können. Deshalb ist klar, dass wir eine Finanzierung brauchen, um den Ländern zu helfen, sich zu einigen. Zu versuchen, Fairness zu schaffen, wird der Schlüssel zu einer Einigung sein.
Was ist mit jenen Ländern, die mit ihren fossilen Rohstoffen Milliardenumsätze mit der Kunststoffindustrie machen?
Die Tatsache, dass all diese Länder die UN-Resolution für ein Plastikabkommen unterzeichnet haben, zeigt die Einigkeit in der Erkenntnis, dass es ein Problem gibt. Das ist für mich ein entscheidender Schritt. Wenn ich nur zehn Jahre zurückdenke, da gab es diese Übereinstimmung noch nicht. Darin liegt die Chance. Jetzt brauchen wir eine Einigung darüber, wie man diese Herausforderung angeht.
Können Sie Ihre wissenschaftliche Expertise bei den Verhandlungen einbringen?
Wir dürfen das Verhandlungsgebäude nur als Beobachter betreten. Wir können um das Wort bitten, wenn in den Sitzungen noch Zeit bleibt. Es gibt kein wissenschaftliches Gremium zur Beratung, das von der UNO eingerichtet wurde. Folglich besteht die Gefahr, und das haben wir in den bisherigen Verhandlungsrunden gesehen, dass sich die Länder die Fakten herauspicken, die zu ihren Argumenten passen, und den Rest ignorieren. Was wir brauchen, ist ein unabhängiges wissenschaftliches Gremium, das klare, solide wissenschaftliche Erkenntnisse liefert, die frei von solchen Interessenkonflikten sind. Die Wissenschaft hat uns zu den Verhandlungen geführt. Sie hat den Beweis für die Schädlichkeit von Kunststoffen entlang der gesamten Lieferkette erbracht, von der Materialgewinnung bis zur Abfallentsorgung. Und sie kann helfen, die richtigen Lösungen zu finden und nicht auf Scheinlösungen hereinzufallen.
Wird es in Busan auch darum gehen, Plastikmüll wieder aus der Umwelt zu entfernen? Ganze Landstriche, Küstenzüge, riesige Gebiete in den Ozeanen sind vermüllt.
Es gibt neben den Verhandlungen einige Veranstaltungen am Rande, die sich darum drehen. Meiner Meinung nach ist das aber keine Lösung, die im Mittelpunkt steht. Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass die beste Lösung darin besteht, unseren Planeten weiterhin in immer größerem Ausmaß zu verschmutzen und dann zu versuchen, wieder aufzuräumen. Es ist wirklich klar, dass die Mengen an Plastik, die in die Umwelt gelangen, bei Weitem die Möglichkeiten zum Wiedereinsammeln übersteigen. Die absolute Priorität muss sein, den Plastikfluss in die Umwelt abzustellen.
Investitionen in Richtung Einsammeln halten Sie derzeit für vergeudet?
Wir haben gesehen, wie große Unternehmen in die Reinigung von Stränden investiert haben. Einige der Unternehmen, die Plastik herstellen, genau das Plastik, das die Ozeane verschmutzt. Warum arbeiten die nicht an einem verantwortungsvolleren Umgang mit ihren Produkten, anstatt diese Augenwischerei mit der Säuberung zu betreiben? Ich sage nicht, dass es schlecht ist aufzuräumen oder dass wir niemals aufräumen sollten. Vielmehr meine ich, dass wir uns im Moment nicht wirklich darauf konzentrieren sollten. Wenn wir das Problem wirklich ernsthaft angehen wollen, müssen wir verhindern, dass mehr Plastik in die Umwelt gelangt, wir müssen den Hahn zudrehen, aus dem der Müll quillt. Während der voll aufgedreht ist, sind alle Versuche vergeblich, den Müll wieder einzusammeln.
Es gibt eine Reihe von Initiativen, die trotzdem bereits die Reinigung der Meere propagieren.
Ich bezweifle nicht, dass diese Initiativen es gut meinen. Ich sage nicht, dass es eine schlechte Sache ist, das zu tun. Ich sage nur, dass diese Investitionen im Moment anderswo besser eingesetzt werden können. Freiwillige Reinigungskampagnen in Flüssen und an Stränden sind jedoch wirksam und schärfen das Bewusstsein für das Problem. Und es gibt eine Reihe von mechanischen Geräten zum Säubern. Manche Kommunen kaufen die, weil es eine gute PR-Geschichte ist. Aber diese Anlagen verbrauchen Energie, Menschen müssen den Müll abholen und entsorgen. Wir haben durchaus beobachtet, dass solche Anlagen etwas Müll einsammeln können, aber es wurden auch beträchtliche Mengen an Algen und Tieren gefangen, die wir eigentlich im Wasser belassen wollen.
Schaden solche Interventionen mehr, als sie nutzen?
Zumindest besteht das Risiko. Logischerweise müssten alle Maßnahmen so dicht wie möglich an der Quelle des Problems liegen, also flussaufwärts und nicht erst im Meer. Das haben wir bereits vor 15 Jahren in einem Bericht festgehalten. Hätte man damals gehandelt, wäre die Menge des Mülls in der Umwelt heute wahrscheinlich nur halb so groß. Stattdessen eskaliert die Müllsituation zusehends.
Sind Filter in Abwasseranlagen eine gute Idee, um Mikroplastik einzufangen?
Wir sollten alles tun, um zu verhindern, dass Plastik in die Umwelt gelangt, auch in der Abwasserreinigung. Die Probleme zum Beispiel durch Mikroperlen in Kosmetikprodukten lassen sich nicht dadurch lösen, dass man versucht, den Pazifischen Ozean zu säubern. Und Maßnahmen im Bereich der Abwasserbehandlung werden nur in Ländern mit solchen Einrichtungen wirksam sein. Vielmehr muss man Gesetze entwickeln, die die Verwendung dieser absichtlich zugesetzten Kunststoffe verbieten.
Also nicht den Pazifik oder den Atlantik überwachen, sondern die Supermarktregale?
Dann gibt es auch bei der Abwasseraufbereitung weniger zu tun. Dasselbe gilt auch für Kleidung und andere Plastikprodukte. Sie müssen so designt werden, dass sie möglichst wenig Mikroplastik abgeben. Wir haben gezeigt, dass die Freisetzung von Mikroplastik zwischen Kleidungsstücken mit ähnlicher Funktion, aber unterschiedlichem Design um bis zu 80 Prozent variieren kann. Und das bei bestehenden Designs, nicht bei solchen, die speziell für niedrige Freisetzungsraten entwickelt wurden. Dies ist ein klarer Hinweis auf das Potenzial für Innovationen, die die Freisetzung von Mikroplastik bereits in der Designphase reduzieren. Das Gleiche gilt auch für Reifen und alle anderen Produkte.
:Wie löst die Menschheit ihr Müllproblem?
Eine Studie soll zeigen, wie sich der Plastikmüll global um 91 Prozent reduzieren ließe. Doch die Forscher machen es sich zu einfach.
Warum wird das noch nicht gemacht?
Designer von Wegwerfprodukten sagen mir oft, dass sie einfach nur Produkte entwerfen sollen, die funktionieren und für den Verbraucher attraktiv sind, und dass die Auftraggeber einfach nicht verlangen, dass das Ende der Lebensdauer mitbedacht wird. Die Industrie verlangt von den Designern, dass sie die Tatsache ignorieren, dass sie ein Produkt entwerfen, das Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende überdauern wird. Im weitesten Sinne ist es das, was ich unter erweiterter Herstellerverantwortung verstehe. Es geht darum, Produkte zu entwickeln, die während ihres Gebrauchs weniger Partikel und Fasern ausstoßen und während ihres gesamten Lebenszyklus, einschließlich der Entsorgungsphase, so zirkulär und umweltfreundlich wie möglich sind.
Aber das ist nicht der Fall.
Das ist der frustrierende Teil. Schauen Sie sich die Gesetzgebung zu Mikroperlen an. In Großbritannien waren es die Erkenntnisse meines Labors, die den Anstoß für eine neue Gesetzgebung gaben. Wir haben gezeigt, dass ein einziger 250-Milliliter-Behälter bis zu drei Millionen Mikroplastikperlen enthalten kann. So viele Kügelchen würden unweigerlich in die Umwelt gelangen. Jetzt gibt es ein Gesetz dagegen und Sie denken vielleicht: Ist das nicht eine fantastische Leistung für eine Doktorandin, dass ihre Beweise direkt ins Parlament gelangten und zu einer Gesetzgebung führten?
Ist es nicht?
Man denkt: Wow. Aber dann dreht man sich um und schaut nach, wann wurde das Patent in der Industrie auf die Verwendung dieser kleinen Plastikteile in kosmetischen Produkten angemeldet? Nun, 50 Jahre zuvor. Und ich stelle die Frage, ob sich wirklich niemand in der Industrie mal gefragt hat, wohin all diese mikroskopisch kleinen Plastikteile verschwinden?
Das Wegschauen hat ja lange Zeit gut funktioniert.
Aber es geht zulasten des Planeten. Bedauerlicherweise habe ich das Gefühl, dass die Industrie Dinge ignoriert hat, die durchaus in ihrem Einflussbereich lagen. Zu viele haben zu lange den Kopf in den Sand gesteckt, auf Kosten der Umwelt.