Zum Tod von Peggy Parnass

Ehrlich gesagt: Lange wusste man nicht, wie alt sie (schon) ist, und dann fing man aber schon bald an, sich zu fragen, ob sie überhaupt noch lebt. Peggy Parnass, geboren 1927 in Hamburg, diese zierliche, durchaus auffällige, eigenwillige, nie sich wichtig machende Person war nun weißgott eine der Zeitgeschichte, nämlich unserer – erst der NS-Zeit, die sie von Anfang bis Ende durch- und überlebt hat, dann der Zeitläufte, die daraus folgten und in denen einiges, wie sagt man? aufzuarbeiten, überhaupt erst herauszufinden war, über die Täter wie über die Opfer.

In letzter Minute entkommen

Peggy Parnass, deren Eltern in Treblinka ermordet wurden, entkam 1939, quasi in letzter Minute, zusammen mit ihrem kleinen, vergangenes Jahr in Israel verstorbenen Bruder nach Schweden. Vielleicht ist es bei der Rekapitulierung ihrer Lebensgeschichte erlaubt, diese ewige Schande (wieder) näher an sich herankommen zu lassen: Kinder in dauernder Lebensgefahr, die, wegen dieser Lebensgefahr und unter anderer Lebensgefahr, das Land verlassen müssen.

Aus dieser biographischen Disponiertheit heraus wuchs Peggy Parnass, als Studentin, als Filmemacherin, als Gelegenheitsschauspielerin und vor allem als Autorin bald in die Rolle einer Minderheitenanwältin hinein, wie es im Nachkriegsdeutschland vergleichbare nicht gab – hartnäckig, nie feierlich-selbstergriffen oder sich selbst wichtig machend, nie laut, nur an so etwas wie der Wahrheit interessiert und daran, dass Leuten, die das von sich aus nicht konnten oder um die andere sich nicht kümmerten, zu ihrem Recht verholfen wird.

Mit der Arbeit am Wort

Auch nachdem sie, eher zufällig, in der Bundesrepublik wieder hängen geblieben war, musste sie sich alleine durchschlagen; sie tat dies, noch gar nicht erwachsen, mit ihrer Arbeit am Wort, als Sprachlehrerin und Dolmetscherin, als Kolumnistin und Filmkritikerin. Wenn man aus der Vielzahl ihrer alles andere als wahllos, nämlich durchweg im humanistischen, humanitären Interesse geleisteten Arbeiten welche besonders hervorheben darf, dann sind es wohl ihre aus der Justiz. Peggy Parnass gehörte zu den bedeutenden Gerichtsreportern des Landes.

Paul Schlesinger (Sling), Gerhard Mauz, Erwin Tochtermann, Hans Holzhaider, Annette Ramelsberger, Gisela Friedrichsen, Heike Borufka und, mit Verlaub, eine Zeit lang für diese Zeitung, Klaus Ungerer – jeder von ihnen hat seine Stärken und Verdienste; Peggy Parnass aber hatte den meisten etwas voraus, das man nicht lernen und nicht erwerben kann: den Instinkt für Skurrilitäten, hinter denen sich oft das nackte Elend verbarg.

Jede Menge Mitgefühl

Und Peggy Parnass brachte es, ausgestattet mit jeder Menge Mitgefühl, zur Sprache, oft anrührend, manchmal lustig, immer und in einem völlig unanstößigen Sinne unterhaltsam. Deswegen legte sie auch keinen besonderen Wert auf Promi-Prozesse, die landesweit Beachtung fanden. Das rein oder allzu Menschliche war ihre Domäne, und die war groß genüg.

Für diesen Beruf sind Unvoreingenommenheit eine notwendige und das Gutheißen der Unschuldsvermutung eine (vielleicht schon) hinreichende Bedingung. Vornehmste Tugend des Reporters ist es aber, nie zu vergessen, dass er es auch selbst sein könnte, über den da zu Gericht gesessen wird. Vor allem hieraus resultiert die absolut anschlussfähige Menschlichkeit der im Umgang eher spröden Peggy Parnass. Am besten ist das in dem mit typischer Schlicht- und Nüchternheit betitelten Band „Prozesse“, der das Meiste von dem enthält, was sie in vielen, treuen Jahren für die Zeitschrift „konkret“ geschrieben hat.

Ihr bleibend zwiespältiges Verhältnis zu Deutschland findet in der Tatsache, dass sie erst allmählich auch offiziell gewürdigt wurde, einen geradezu stimmigen Ausdruck. Am Mittwoch ist Ruth Peggy Sophie Parnass in ihrer Geburts- und Heimatstadt Hamburg, wo man sie liebte und ehrte, 97jährig gestorben.