
Unterricht bis 13 Uhr, allerhöchstens 14 Uhr mittags, dann zügig nach Hause, noch schnell die Hausaufgaben gemacht – und ab auf den Fußballplatz oder in die Schwimmhalle. Für viele Grundschüler ist das ein normaler Tag, es sei denn sie verbringen ihren Nachmittag in der Schule. Schon im kommenden Jahr trifft das vermutlich auf einige Kinder mehr zu: Zum Schuljahr 2026/27 tritt der bundesweite Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder in Kraft. Erstklässler erhalten damit ab 2026 ein Recht auf ganztägliche Betreuung, die weiteren Klassen folgen stufenweise.
Werden immer mehr Kinder ihren Nachmittag in Zukunft in der Schule statt im Sportverein verbringen? Und nach einem ohnehin schon langen Schultag: Fehlt dann am Abend die Motivation oder schlicht die Zeit, sich noch im Sportverein zu betätigen? Laufen die Vereine Gefahr, reihenweise junge Mitglieder zu verlieren? Und was bedeutet das für den sportlichen Ausgleich im Alltag der Kinder? An sich alles keine neuen Fragen, Jugendorganisationen sowie auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) beschäftigen sich schon seit Jahren damit. Die Dringlichkeit für Antworten steigt allerdings.

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Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich eine gemeinsame Studie der Bayerischen Sportjugend (BSJ) und der Julius-Maximilians-Universität Würzburg damit, wie Sportvereine besser in den schulischen Alltag eingebunden werden können. Sie zeigt, was solchen Schulkooperationen bislang noch im Weg steht und was es zukünftig braucht, um diese voranzutreiben.
Grundsätzlich bringt die enge Zusammenarbeit sowohl den Schulen als auch den Vereinen viele Vorteile. Vereine finanzieren sich, wie der Sportentwicklungsbericht des DOSB 2023-2025 verdeutlicht, stark über Mitgliedsbeiträge. Eine stabile bis steigende Mitgliederzahl ist für sie daher essenziell. Der direkte Kontakt zu Schülern ist eine Chance, junge Menschen bereits früh für den Verein zu gewinnen. Die Zusammenarbeit mit Schulen kann zudem die Wahrnehmung des Sportvereins als integraler Bestandteil der lokalen Gemeinschaft stärken. Auch bei nötigen Ressourcen können sich Vereine und Schulen gegenseitig unterstützen. Während die Vereine auf Infrastrukturen der Schulen, etwa Sporthallen, zurückgreifen können, profitieren die Schulen vor allem von den personellen Ressourcen der Vereine, also den Übungsleitenden und deren Expertise. Und für die Schüler kann durch Vereinsangebote körperliche Aktivität möglichst niedrigschwellig in den Schultag integriert werden.
Häufig gehen Kooperationen nicht über Schnupperkurse hinaus
Trotz der vielen positiven Anreize zeigen die Zahlen der Studie, dass nur sechs von 200 befragten bayerischen Sportvereinen das Ganztagsangebot einer Partnerschule wirklich vollständig und langfristig mitgestalten. Mit Schnupperkursen hingegen engagieren sich noch gut die Hälfte der Vereine. Je strukturierter und regelmäßiger die Form der Zusammenarbeit also ist, desto weniger Sportvereine machen noch ein solches Angebot. Woran liegt es, dass Kooperationen häufig nicht über punktuell angebotene Projekte hinausgehen?
Für Stephan Höller, Geschäftsleiter der BSJ, hat das strukturelle Gründe: „Die Vereinswelt ist im Moment so aufgebaut, dass Übungsleitende ehrenamtlich tätig sind, die meistens auch einen Job haben. Das heißt, wenn diese nachmittags schon tätig sein wollen, müssen sie entweder die Zeit dafür haben und nicht berufstätig sein, oder sie sind berufstätig und müssten dafür dann Arbeitszeit aufgeben und in der Zeit ausreichend finanziert werden.“ Dies wäre ein „Professionalisierungsschritt“, den die Vereine erst gehen müssten, sagt Höller, und nimmt damit auch die Vereine in die Pflicht. Der Staat müsse die Vereine dabei aber unterstützen, denn komplett ehrenamtlich könnten diese den Betreuungsauftrag nicht stemmen.

Das unterstreicht auch die Deutsche Sportjugend (DSJ), die Jugendorganisation im DOSB. „Ganztag gibt es nicht für lau“, zitiert Ute Barthel, Referentin für Schule, Jugendhilfe und Verein, einen von Vorstandsmitglied Julian Lagemann geprägten Slogan, mit dem die DSJ schon seit Längerem auf die Herausforderungen aufmerksam macht. Die Kommunen seien zusammen mit Bund und Ländern gefragt, den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung umzusetzen; dazu gehörten selbstverständlich auch die nötigen finanziellen Mittel. „Es kann nicht sein, dass für das Engagement von Übungsleitenden im Ganztag oder in der Schule nur ein geringfügiger Obolus oder überhaupt nichts vorzusehen ist“, sagt Barthel. Auch qualifizierte Ehrenamtliche müssten entsprechend honoriert werden.
Auch zeigten sich laut BSJ einige Vereine zunächst generell skeptisch, was eine umfangreichere Zusammenarbeit mit Schulen angeht. Der Respekt vor dem „Mehraufwand an Bürokratie“, den rechtlichen Anforderungen und den Aufgaben, die auf die Vereine zukommen, ist laut Höller groß. Die BSJ sieht ihren Auftrag daher vor allem darin, sich gegenüber dem Staat dafür einzusetzen, „die Rahmenbedingungen zu erleichtern, Bürokratie abzubauen und vor allem viel zu digitalisieren, damit die Hürden und die Einstiegsbeschränkungen für die Vereine geringer werden“. Außerdem braucht es laut Barthel flächendeckend Koordinierungsstellen, „um sowohl die Schulen in Richtung Sportvereine vermitteln zu können als auch umgekehrt die Sportvereine in Richtung Schulen“. Viele Vereine wüssten gar nicht, wie sie auf Schulen zugehen sollten.
Am Ende geht es vor allem darum, dass Kinder sich austoben und aktiv sind
Und noch ein weiterer Punkt, um den es in der Diskussion um Sportverein und Ganztagsschule aus sportlicher Sicht gehen muss, wird in der Studie thematisiert: Bieten enge Kooperationen zwischen Vereinen und Schulen in der Nachwuchsförderung eine Chance? Oder andersherum gefragt, gehen dem deutschen Leistungssport ohne Schulkooperationen zahlreiche Talente verloren?

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Stephan Höller differenziert hier. Zunächst einmal sei sportliches Talent in dem Sinne zu begreifen, dass man sich gerne und gut bewegt. So wie andere Kinder sich künstlerisch ausleben oder im mathematischen Denken ihre Stärken haben, gebe es auch ein „Grundtalent für Bewegung“. Dieses zu entdecken und zu fördern, sei der erste Schritt. „Im Hinblick auf stärker leistungssportliche Sichtung – gerade wenn man über Olympia diskutiert und sich fragt, warum sind wir da so hinten dran – braucht es allerdings ein bisschen mehr Systematik als nur den Ganztag“, sagt Höller.
Gleichwohl erleichtern Vereine, die in der Schule präsent sind, den Zugang zum Vereinssport. Sie können talentierte Kinder und Jugendliche dazu animieren, ihrem Talent verstärkt nachzugehen, und ihnen Wege in den professionellen Sport aufzeigen. „Wenn die breite Basis da ist, dann geht es in der Spitze vielleicht auch leichter“, meint Höller.
Um die Spitze muss es am Ende aber gar nicht so sehr gehen, sondern vielmehr darum, dass Kinder sich austoben und aktiv sind. Höller appelliert daher immer wieder daran, von den Kindern aus zu denken. „Denen ist es egal, welche Institution zuständig ist. Sie brauchen keine Synergieeffekte. Für sie ist es aber wichtig, dass in ihrem Alltag Bewegung vorkommt.“