Zu hohe Gema-Gebühren: Kaum englische Weihnachtshits auf Weihnachtsmärkten – Panorama

Bislang gehörte der Besuch eines Weihnachtsmarktes zu den eher vorhersehbaren Erfahrungen. Eingekeilt zwischen Kleinkunstbüdchen und von wasserabweisender Kleidung behüteten Mitmenschen war hier recht verlässlich davon auszugehen, dass im Laufe des Abends jemand „Boah, ist der Glühwein heiß“ sagen würde und die gleiche Person ein paar Atemwölkchen später „Ah, jetzt ist er fast zu kalt“. Ebenso gehörte dazu, dass man irgendwann Zeuge eines Verkaufsgesprächs zu einer Bienenwachskerze werden würde, das im Ton freundlich verlief, in der Sache aber unverbindlich blieb. Untermalt war das alles von musikalischer Berieselung, die auch deshalb wichtig war, um über die meteorologische Berieselung hinwegtrösten. Let it snow. Let it snow. Let it snow. Zumindest aus den Boxen schneite es noch verlässlich. Nur, wie lange noch?

Geschrieben haben das Lied „Let it snow“ die US-Amerikaner Sammy Cahn und Jule Styne im Jahr 1945. Aber noch wichtiger sind andere Jahreszahlen. Weil Cahn und Styne 1993 beziehungsweise 1994 gestorben sind, ihr Tod demnach keine 70 Jahre her ist, trägt ihr Werk noch nicht die Zuschreibung „gemeinfrei“. Bedeutet: Solange diese 70 Jahre nicht vorbei sind, müssen Institutionen, die das Lied für kommerzielle Zwecke verwenden, zahlen. Dazu aufgefordert sind seit jeher auch die Weihnachtsmärkte, von denen es hierzulande mehr als 2 500 gibt. Und der Empfänger dieses Geldes ist die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte, kurz Gema. Schon seit letztem Jahr finden einige Weihnachtsmarktbetreiber, dass es mit den Gebühren so langsam zu viel wird. Von Kostensteigerungen ist die Rede, von Vervielfachungen der Zahlungen. Und dieses Jahr könnten die Folgen auch vor Ort zu hören sein.

Statt Weihnachtshits nur noch „Gema-freie Musik“?

Seit Tagen häufen sich die Ankündigungen, wonach die ohnehin schon nicht sonderlich ausgeprägte musikalische Vielfalt bei den Weihnachtsmärkten eingeschränkt sein dürfte. In Trier will man die Zahl der Liveauftritte halbieren, in Koblenz wolle man laut Deutscher Presseagentur „nur etwas Hintergrundmusik“ laufen lassen, und in Leipzig wechselt man gleich das komplette Repertoire. Alles wegen der Gema-Gebühren. Der Leipziger Marktamtsleiter sagte Bild, dass man nur noch „Gema-freie Musik“ spielen werde.

Was sich abstrakt anhören mag, bedeutet, verkürzt gesagt: den Rückzug ins Deutsche. Vor allem die Interpreten der aus den USA oder Großbritannien stammenden Klassiker sind noch am Leben oder erst ein paar Jahre tot. Die kann man gut oder nervig finden, populär sind sie allemal. Siehe Last Christmas von Wham! oder Mariah Careys All I Want For Christmas Is You. Lizenzfrei gewippt werden darf hingegen zu „Stille Nacht, heilige Nacht“ (geschrieben 1818), „Kling Glöckchen Klingelingeling“ (1854) oder „Ihr Kinderlein kommet“ (1808 oder 1810). Käme es dazu, dürfte sich für Menschen, die mit angloamerikanischer Popkultur und dem Coca-Cola-Weihnachtstruck aufgewachsen sind, ein Besuch auf dem Weihnachtsmarkt in diesem Jahr wie eine Reise in eine ferne, unbekannte Zeit anfühlen.

Bei der Gema kann man die Aufregung nicht verstehen

Vom Deutschen Städtetag, an den sich viele der unter der Gebührenlast keuchenden Weihnachtsmarktbetreiber wenden, heißt es dazu mahnend: „Der besonderen Bedeutung der kommunalen Weihnachtsmärkte als Kulturgut, Traditionsveranstaltungen, wichtige Begegnungsorte für die Gesellschaft und Teil der kommunalen Daseinsvorsorge wird nicht ausreichend Rechnung getragen.“ Adressiert wird damit die Gema. Und gewollt ist ein neuer Tarif, der speziell für Weihnachtsmärkte gelten und günstiger sein soll. Dass es dazu kommt, ist unwahrscheinlich. Die Gema verweist darauf, dass man „alle Veranstaltungen im Freien, die in diesen Tarif fallen, gleichbehandeln“ müsse.

Ohnehin kann man bei der Gema die Aufregung nicht recht verstehen. Der Großteil der Märkte, mit denen man im Austausch sei, habe kein Problem mit den Gebühren, die im Übrigen zuletzt 2018 erhöht worden sind.  „Ich habe dafür nur bedingt Verständnis“, sagt Gema-Sprecherin Ursula Goebel am Telefon. „Wenn man die Musik, einen wichtigen Träger weihnachtlicher Atmosphäre, haben möchte, muss man dafür zahlen.“ Und weiter: „Weshalb sollten unsere Mitglieder ihre Musik verschenken?“

Der Grund für die Erhöhung habe meist schlicht mit der Grundlage der Bemessung zu tun. Bei stichprobenhaften Kontrollen habe man im letzten Jahr festgestellt, dass manche Markt-Flächen gegenüber der Gema zu klein angegeben worden sind. Die Fläche ist ein entscheidender Faktor für die Höhe der Gebühren. Außerdem seien viele Märkte schlicht größer geworden und würden über einen immer längeren Zeitraum stattfinden. Inzwischen starten die ersten Märkte Mitte November und schließen erst nach Ende der Feiertage. Auch das treibt die Gebühren hoch.

Wer nun sparen muss, der findet zumindest, was die Anbetung des winterlichen Wunsch-Niederschlags angeht, eine zwar nicht sonderlich elektisierende, dafür aber völlig lizenzfreie Alternative zu „Let it snow“. Der evangelische Pfarrer Eduard Ebel textete, was für ein Glück, schon 1885 „Leise rieselt der Schnee“. Das Lied ist seit mehr als vier Jahrzehnten gebührenfrei. Davor profitierte als Erbin auch Ebels Tochter von den Auszahlungen der 1933 gegründeten Gema.