Xabi Alonso ist ein großartiger Trainer. Was längst jeder Fußballfan weiß, konnten Sie hier zuerst lesen. Im November 2022 war der Spanier seit ein paar Wochen in Leverkusen, hatte in dieser Zeit ein paar Spiele verloren. Da schrieb Philipp Lahm in seiner europäischen Fußballkolumne auf ZEIT ONLINE über seinen einstigen Mitspieler: „Xabi Alonso hat die entscheidenden Voraussetzungen, um auch in der Coachingzone ein Großer zu werden, denn er hat alles gewonnen.“ Schon als Spieler sei er „ein Intellektueller“ gewesen.
Das nahm den Hype um Alonso vorweg. Noch am Tag des Erscheinens der Kolumne gewann der Tabellensechzehnte Leverkusen 5:0 gegen den Spitzenreiter Union Berlin, und eine einmalige Erfolgsserie nahm ihren Lauf. Anderthalb Jahre später wurde der Verein erstmals Deutscher Meister – ungeschlagen, und den DFB-Pokal holte er auch. An diesem Freitag gab Alonso bekannt, dass er Leverkusen verlässt. Er wechselt wohl zu Real Madrid, dem wertvollsten, erfolgreichsten, edelsten Fußballverein.
Eine Weltkarriere auf dem Platz, ein zeitgemäßes Verständnis für Spiel und Spieler, charismatisch an der Seitenlinie wie am Mikro – Xabi Alonso hat alles, was ein Trainer braucht. Für die Bundesliga ist das ein maximaler Verlust. Dort war er einzigartig.
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Der James Bond des Fußballs
Lahms Begründung seiner Prognose gefiel damals vielen nicht. In Deutschland galt lange der Grundsatz, dass man nicht selbst gut gekickt haben muss, um Trainer zu werden. Alonso stellte das, woran Fußballdeutschland bisweilen gegen alle Evidenz glaubte, vom Kopf auf die Füße.
Mit seiner Kompetenz und seiner Vita war Alonso ein Glücksfall für Leverkusen. Von ihm bleiben nicht nur Siege und Trophäen im Gedächtnis, sondern auch die Bilder, wie er im Training seine Spieler mit millimetergenauen Flanken und Pässen in Serie bediente.
Er beflügelte ein Team, das fast ausschließlich aus Fußballern bestand, die noch nie wichtige Titel gewonnen hatten. Durch intrinsisches Wissen, auf den Plätzen von Madrid, Liverpool und München erworben, kann er Stärken und Schwächen von Spielern genau einschätzen. Das ist die wahre Exzellenz von Fußballtrainern, an der so viele Theoretiker scheitern.
Außerdem machte er etwas besser als viele Ex-Kicker. Er plante die Karriere nach der Karriere klug. Er beging nicht den Fehler und wechselte sofort die kurze Hose gegen den Traineranzug, wie viele vor ihm, etwa Markus Babbel oder Frank Lampard. Stattdessen leistete sich Alonso vier Studienjahre im spanischen Nachwuchsfußball. Dort eignete er sich einen Stil an und gewann ein Gefühl für die aktuelle Spielergeneration.
Der Profi von heute verlangt nach Ordnung. Die besten Mannschaften verhalten sich in Abwehr und Angriff wie ein Schwarm. Alonso hat gelernt: Diesen Systemfußball vermittelt man mit kooperativer Führung und Empathie, die Mourinho-Diktatur ist out. Ein Trainer hat die Aufgabe, Spielern Entfaltung zu ermöglichen und den Weg dorthin überzeugend zu erklären. Florian Wirtz profitierte vom Pädagogen Alonso, Jonathan Tah schöpfte unter ihm endlich sein Potenzial aus.
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Florian Wirtz und das Ende von Vizekusen
Es war Alonsos Aura, die zu einem historischen Ausnahmejahr für Leverkusen führte. Die Mannschaft entwickelte Begeisterung und Glauben, was ihr viele Siege in letzter Minute ermöglichte. Erstmals blieb ein Bundesligist eine ganze Saison ohne Niederlage. Dass Alonso das mit Spielern wie Alejandro Grimaldo, Patrick Schick, Jeremie Frimpong, Granit Xhaka oder Robert Andrich gelang, war das größte Wunder seit Otto Rehhagels Meisterschaft mit dem Aufsteiger Kaiserslautern 1998, vielleicht noch größer.
Alonso ist es zuzutrauen, im europäischen Fußball Jahrzehnte mitzubestimmen. Aber ob er das ganz hohe Niveau beherrscht, weiß man noch nicht. Weil es mit Leverkusen nicht möglich ist. So musste er auch schwere Niederlagen einstecken. Die schwerste war das 0:3 in der Europa League gegen Atalanta Bergamo vor einem Jahr, so chancenlos sah man einen Finalisten selten.
Dieser Schock wirkte bei Mannschaft und Trainer offenbar über den Moment hinaus. In dieser Saison ging Leverkusen 0:4 in Liverpool unter, schied (Hin- und Rückspiel addiert) 0:5 gegen Bayern aus und verlor verdient das Pokalhalbfinale beim Drittligisten Arminia Bielefeld. Im Titelrennen mit den Bayern konnte Alonsos Elf nicht bis zum Schluss mithalten.
Man dürfte also sehr gespannt sein, falls es so kommen sollte, ob Alonso Real Madrid in den Griff bekommen würde. Dieses Ensemble voller Diven zu führen, wäre eine viel kompliziertere Aufgabe. Doch wenn einer dafür infrage kommt, dann jemand mit dem Profil von Alonso.
Und er hat ja auch in dieser Saison sehr gute Arbeit geleistet. Vorigen Sonntag bejubelte er den 2:2-Ausgleich in Freiburg in der Nachspielzeit, obwohl durch das Unentschieden die Meisterschaft endgültig verloren war. Doch Leverkusen ist auch in dieser Saison auswärts ungeschlagen. Und das 0:0 gegen Bayern im Februar war eine Art Trainermeisterstück. Seine individuell weit unterlegene Mannschaft war dem Favoriten taktisch weit überlegen.
Xabi Alonso wird der Bundesliga sehr fehlen. Er verkörpert, was im modernen Fußball gefragt ist. Ein ehemaliger Fußballprofi, der eine Mannschaft entwickelt, einen Verein nach oben führt. So wie neuerdings Luis Enrique bei PSG, Inter Mailands Simone Inzaghi, Mikel Arteta mit Arsenal oder, schon seit vielen Jahren, Carlo Ancelotti und Pep Guardiola. Man weiß nicht so recht, wieso, aber im deutschen Fußball gibt’s die nicht.
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Warum erst jetzt, Jonathan Tah?
