Wunschzettel für den Wald | FAZ

Weihnachtszeit und Wald ­gehören nach deutscher Tradition zusammen: „Von drauß’ vom Walde komm ich her; ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr!“, dichtete 1862 Theodor Storm.

Eine moderne Variante der jahrhundertealten Waldromantik ist das Waldbaden. Mit allen Sinnen in den Wald einzutauchen sei gerade in der häufig hektischen Vorweihnachtszeit Balsam für Körper, Seele und Geist, werben Anbieter. Die versprochene Tiefenentspannung im weihnachtlichen Tann steht allerdings in beklemmendem Gegensatz dazu, dass der Wald selbst arg gestresst ist.

Stürme, Hitze, Trockenheit und die massenhafte Vermehrung von Schädlingen infolge des Klimawandels setzen dem Wald zu – mit alarmierenden Folgen für die Klimaziele. Aufgrund der widrigen Umstände, die das Wachstum der Bäume schwächen und zu einer Zunahme von Totholz führen, speichert der Wald mittlerweile weniger Kohlenstoff, als er abgibt.

Der Wald verringert also die schädliche Klimawirkung der menschengemachten Treibhausgasemissionen gegenwärtig nicht mehr. Im Gegenteil: Er ist selbst zur Quelle von Treibhausgasemissionen geworden. Damit droht der Fahrplan durcheinanderzugeraten, mit dem Deutschland bis 2045 klimaneutral werden soll.

Schlüsselrolle des Walds wurde vernachlässigt

Waldschutz und Klimaschutz müssen Hand in Hand gehen, um künftigen Generationen ein erträgliches Leben zu ermöglichen. Darauf weisen Wissenschaftler seit Langem hin. Politisch wurde die Schlüsselrolle der Wälder lange vernachlässigt. Das hat sich geändert, führte aber hierzulande zu Überreaktionen, wie sie leider nicht untypisch für die deutsche Politik sind. So wollte der vormalige Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) dem geschwächten Klimaschützer Wald mit zahlreichen Vorgaben und Verboten, etwa zu Holzeinschlag und Aufforstung, eine Gewaltkur verordnen.

Özdemirs Pläne für die Reform des Bundeswaldgesetzes sind glücklicherweise vom Tisch. Denn niemand weiß heute mit Gewissheit, auf welches Klimaszenario wir uns in den kommenden Jahrzehnten genau gefasst machen müssen. Deswegen sollte sich die Politik mit der Regulierung des sogenannten Waldumbaus zurückhalten.

Strukturreiche Mischwälder mit unterschiedlichen Baumarten verschiedener Altersklassen gelten als wirksamste Risikovorsorge gegen den Klimawandel. Aber ein Patentrezept für den klimaresilienten, zukunftsfesten Wald gibt es nicht. Welche Bäume an welchen Standorten in welcher Mischung gedeihen, wird sich erst in ein paar Jahrzehnten zeigen.

Waldbesitzer brauchen Freiraum

Waldbesitzer werden also notgedrungen experimentieren müssen. Dafür brauchen sie Freiräume. Die Politik sollte deshalb nicht den Fehler begehen, den Waldumbau in Bahnen zu lenken, die sich später als Sackgasse erweisen könnten.

Heimische Laubbäume gegenüber Baumarten aus anderen Regionen regulatorisch zu protegieren, wie es manche Umweltverbände und Wissenschaftler fordern, ist keine gute Idee. Denn damit riskiert die Politik, Waldeigentümer zu Fehlallokationen zu verleiten.

Doch geht es nicht nur um die Zukunft der heimischen Fichte, Tanne, Eiche oder Buche. Der Klimawandel kennt keine Grenzen, also müssen auch die Wälder in anderen Teilen der Welt geschützt werden, besonders die Tropenwälder. Die EU will hier international Vorreiter sein. In den Mitgliedstaaten sollen demnächst verschiedene Produkte wie Soja, Holz oder Rindfleisch nicht mehr gehandelt werden, wenn dafür irgendwo auf der Welt Wälder zerstört oder geschädigt werden.

Was nützt ein Alleingang Europas?

Mit der Verordnung für entwaldungsfreie Produkte präsentieren sich die Europäer abermals als stolze Pioniere in Sachen Regulierung. Bislang gab es jedoch vor allem Ärger, weil die EU es wieder einmal mit Sorgfalts- und Dokumentationspflichten für Unternehmen übertrieben hatte. Mittlerweile hat man sich in Brüssel auf Vereinfachungen verständigt. Aber die entscheidende Frage bleibt: Was nützt der europäische Alleingang den Wäldern?

Neunzig Prozent der Produkte, die von abgeholzten Flächen stammen, gelangen nicht in die EU, sondern auf andere Märkte. Das heißt auch: Handelspartner, die sich nicht an die neuen EU-Vorgaben zum Waldschutz halten wollen, haben viele Ausweichmöglichkeiten. Eine Einigung über einen globalen Fahrplan für ein Ende der Entwaldung konnte auf der Klimakonferenz in Brasilien nicht erzielt werden. Das Ziel, die globale Entwaldung bis 2030 zu stoppen und umzukehren, liegt in weiter Ferne. Es herrscht Winterzeit, auch für den globalen Klima-, Umwelt- und Waldschutz.