„Write your own story“ von Giulia Gwinn: Kreuzband noch mal!

Die großen Probleme der Lebenshilfeliteratur wie der Literatur überhaupt lauten meist Tod, Depression, Sucht, schlimme Liebe, schlimme Familie, Krieg. Wir lesen Sachbücher über die Polarisierung der Gesellschaft, Autokratien, sonstige toxische Typen. Was dabei meist unter den Tisch fällt: der Kreuzbandriss.

Nein, am Kreuzbandriss stirbt man in der Regel nicht. Die Chancen stehen gut, ohne bleibende Schäden weiterzuleben, und wahrscheinlich lockt die Zeile „Aber dann riss sein Kreuzband“ niemanden ins Kino. Um die gesellschaftliche Relevanz deutlich zu machen, sei an dieser Stelle aber das Sporttrauma-Center Göppingen zitiert: „Statistisch gesehen reißt alle fünf bis sechs Minuten in Deutschland ein Kreuzband.“ Gesellschaften spalten sich vergleichsweise nicht so oft. Nimmt man also die Forderung ernst, Kunst solle die Wirklichkeit imitieren (oder umgekehrt), dann ist Write your own story, das Buch der Fußballspielerin und Nationalmannschaftskapitänin Giulia Gwinn, ein großer Segen. Gwinn kritzelte als Kind den Berufswunsch „Fußballerin“ auf einen Zettel und änderte ihre Meinung nicht mehr. Sie spielt als Kind in der Jungsmannschaft, wächst auf dem Land am Bodensee auf, isst gern Schokoladeneis und hat eine Familie, die sie liebt und unterstützt. Ihre Eltern reisen noch heute mit dem Camper zu den Spielen. Überhaupt begegnen Gwinn gute Menschen. „Alles läuft perfekt. Ich bin superhappy. Mein Leben ist mein Traum.“ Sie spielt beim FC Bayern, ist im Nationalkader. Dann reißt ihr Kreuzband. Die beste Freundin steigt sofort ins Auto, fährt 500 Kilometer zu ihr. Es sei der „schlimmste Tag in meinem bisherigen Leben“ gewesen, ein Tag, der die „dunkelsten Gedanken“ in ihr hervorbringe und ihr „den Boden unter den Füßen“ wegziehe. Gwinn setzt fast ein ganzes Jahr aus, arbeitet sich langsam zurück. Wieder reißt das Kreuzband, diesmal im anderen Knie. Sie dehnt, joggt, trainiert sich wieder zurück. Und wird nicht für die WM 2023 in Australien nominiert. Vielleicht landete Gwinns Buch so schnell auf der Spiegel-Bestsellerliste, weil den meisten Menschen die angemessene Fallhöhe mit Philipp-Lahm-Normalität am nächsten ist. Vielleicht tut es in dystopischen Zeiten einfach gut zu hören, dass es irgendwo zwischen Bodensee und Freiburg offenbar viele gute und kompetente Menschen gibt – inklusive des „Knie-Papsts“ (Bild) Doktor Christian Fink. Oder es ist einfach so: Zwei Kreuzbandrisse reichen für eine gute Geschichte.