
World White Hate, der Titel dieser Doku-Serie, verrät direkt, worum es gehen wird: um den Hass weißer Extremisten als weltweitem Phänomen. Und nicht nur um diejenigen, die hassen, geht es in den drei 50-minütigen Folgen, sondern auch um all jene, deren Leben durch diesen Hass bedroht oder zerstört wurden.
Die Serie beginnt mit Zaire Goodman, einem Schwarzen Studenten
aus Buffalo. Zaire ist 20 Jahre alt, als er am 14. Mai 2022 im Supermarkt, in dem er arbeitet, einen rassistisch motivierten Anschlag nur knapp
überlebt. Man sieht seine Mutter Zeneta Everhart, wie sie während des folgenden Prozesses aussagt: „Ich habe Zaire zu
seinem 16. Geburtstag Videospiele und einen Kuchen geschenkt“, erzählt sie etwa. „Payton
bekam eine Waffe.“ Payton Gendron, der Attentäter, erschießt am 14. Mai zehn
Schwarze Menschen, drei weitere verletzt er schwer, darunter Zaire. Gendron
war zum Zeitpunkt der Tat 18 Jahre alt, ein gerade volljährig gewordener
rechtsextremer Verschwörungstheoretiker. Seinen Anschlag streamt er live im
Internet. World White Hate zeigt Ausschnitte dieser
Aufnahme, man hört den Täter nervös atmen, hört die Schreie der
Opfer, vielleicht auch die von Zaire.
Die
Anzahl rechtsradikaler Attentate habe sich seit 1970 „vervielfacht“, heißt es in World White Hate. So habe etwa der Massenmord des rechtsextremen Norwegers Anders Breivik im Jahr 2011 weltweit zahlreiche Nachahmungstaten ausgelöst. Breivik hatte im Zentrum von Oslo eine Autobombe gezündet und anschließend auf der Insel Utøya auf Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Sommerlagers der Jugendorganisation der sozialdemokratischen
Arbeiterpartei geschossen. 77 Menschen wurden damals getötet, vor allem
Jugendliche und junge Erwachsene. Auch in Deutschland beobachten Sicherheitsbehörden seit Längerem eine verstärkte Radikalisierung gerade bei jungen Männern.
Der Regisseur Dirk Laabs nähert sich dem Thema der Serie, indem er sich auf die Menschen konzentriert, die direkt vom Rechtsterrorismus betroffen sind. So spricht etwa die junge Sozialdemokratin Ylva Schwenke in die Kamera, die auf Utøya von Breivik angeschossen wurde.
Oder die 16-jährige Enkelin von Satwant Singh Kaleka, der 2012 bei dem Attentat
auf einen Sikh-Tempel in Wisconsin von dem Rechtsextremisten Wade P. getötet wurde.
Die meiste Zeit nimmt sich die Serie für Zaire und seine Mutter. Fotos werden eingeblendet,
die beide zusammen am Strand zeigen, Zeneta Everhart sagt dazu aus dem Off: „Mein
Sohn … der ist wie ein starker Teddybär.“ Nie habe sie ihn so schreien gehört
wie in dem Moment, als er sie während des Attentats anrief: „Mom, come
quick, they’re shooting on me!“ Um eigenhändig strengere US-amerikanische
Waffengesetze durchzusetzen, stieg Zeneta Everhart einige Jahre
später in die Lokalpolitik von Buffalo ein, auch davon erzählt die Doku.
Aber World White Hate porträtiert noch eine andere
Gruppe an Menschen. Die zwar nicht ihr Leben oder das eines geliebten
Mitmenschen verloren haben, die aber ebenfalls der rechtsradikalen Ideologie „zum Opfer fallen“ – so zumindest präsentiert es die Serie: junge Männer in
Europa, den USA, in Russland, weltweit vernetzt, mit wenig Sozialleben und
hoher Bildschirmzeit. Ihre Einsamkeit verwandelt sich in
rechtsradikalen Telegram-Kanälen in Hass. Auch bei diesen Menschen und ihren
Angehörigen setzt sich World White Hate ins Wohnzimmer, Regisseur Dirk Laabs befragt, wer ihm Antwort geben mag.
Wenn der kleine Bruder zum Neonazi wird
Mit Tränen in den Augen schildert da etwa die Schwester eines
Neonazis, wie der kleine Bruder sich über Facebook radikalisierte, wie sie einst
in sein Kinderzimmer gestürmt sei, um seine nagelneue Hakenkreuz-Flagge von der
Wand zu reißen. Der Bruder habe sie niedergeschlagen, „tote Augen“
habe er zu dem Zeitpunkt schon gehabt. Und auch der Täter
von Buffalo, Payton Gendron, kommt zu Wort, zumindest seine Aussage im Prozess: „Rückblickend
kann ich kaum glauben, was ich getan habe. Ich glaubte, was ich online gelesen
hatte, und handelte aus Hass.“
Die Erzählung des „einsamen Wolfs“, eines jungen Mannes, der sich
im Telegram-Chat ein PDF von Hitlers Mein Kampf durchliest und
plötzlich selbst zur Waffe greift, ist nicht gerade neu. Aber wenn es doch stimmt? Das Darknet
und rechtsradikale Plattformen, in denen von rassistischen und antisemitischen
Weltverschwörungen die Rede ist, seien eben bloß „drei Klicks entfernt“, warnt einer der wenigen Terrorismusforscher, die in
der Doku auftreten. Genau diese drei Klicks werden in World White Hate dann vorgeführt – eine fragwürdige Demonstration.
Dass die Schicksale der Rechtsradikalen und
Attentäter jenen der Betroffenen genau dieser Attentate gegenübergestellt werden, bereichert die
Doku zwar und fängt die Komplexität des Themas ein. Doch bergen Täterporträts wie hier stets die Gefahr, die teils tragischen Lebensgeschichten von Gewalt- und Attentätern zu Legitimation für deren Taten zu stilisieren.
Im Vergleich zum Rest von World White Hate ist die Rekonstruktion dieser „einsamen Wölfe“ daher auch schwach, weil vorhersehbar. Weniger erwartbar und umso
wertvoller sind die Auftritte der Figuren Kristofer Goldsmith und Chris Buckley, beide
Kriegsveteranen aus den USA, beide Aussteiger aus der rechtsradikalen Szene um
den Ku-Klux-Klan (KKK). Beide setzen sich heute für Prävention und Aufklärung ein.
© SWR/Ventana Film/Public Domain
In einer Szene sitzt Goldsmith in einem abgedunkelten
Kämmerchen vor riesigen Computern und kaut auf seinen Fingernägeln. Der etwa
40-jährige Mann mit Vollbart und kariertem Hemd hat die Tabs mehrerer
Chatgruppen geöffnet, die das FBI mit der Unterstützung seines gemeinnützigen Vereins
infiltriert hat. „Ich habe mich der Aufgabe verschrieben, Nazis zu jagen. Ein
guter Job, wenn du voller Wut bist“, sagt Goldsmith. Wütend sei er bei seiner Rückkehr aus dem Irakkrieg gewesen, auch damals, als er dem KKK beigetreten ist. Dazu zeigt er wackelige Handyaufnahmen aus zerbombten Städten im Irak.
Leichen liegen zwischen Schutt und eingestürzten Häusern. Er sei schwer traumatisiert
gewesen, als er zurückgekommen sei, sagt Goldsmith, und gewöhnt an den Umgang
mit Waffen, an die „Alltäglichkeit des Todes“. Und er habe sich von seiner Heimat vergessen
gefühlt.
„Leichte Beute“ seien Veteranen für die
rechtsradikale Szene, ergänzt Chris Buckley: „Wenn es dir gelingt, das Leid der
Menschen mit deinem Anliegen zu verknüpfen und ihnen so einen Ausweg bietest,
dann hast du sie am Haken.“ Er selbst sei wegen seiner von der Kriegsfront
heimgebrachten Sucht nach Schmerzmitteln zum KKK gekommen, der ihm Kontakte in die
Drogenszene vermittelt habe. Später erst habe Buckley die Ideologie des rassistischen
Geheimbunds angenommen und deren „pervertierte Version des Christentums“.
Man muss der Serie zugutehalten, dass sie weitgehend ohne die
üblichen Experten-Statements auskommt und zum Glück auch auf pathetische Musik
und dramatisierende Erzählstimmen verzichtet. Regisseur Laabs richtet die Kamera auf die komplexen
Geschichten der Opfer wie die der Täter. Dieser Ansatz ist einerseits eine
Leistung. Er könnte aber auch den Eindruck erwecken, als wolle man das
Leid beider Seiten gegeneinander aufwiegen. Gerade, wenn man so wertfrei
erzählt, wie diese Doku-Serie es tut.
Am Ende richtet World White Hate schließlich den Blick auf den Kampf gegen Rechtsradikalismus. In der letzten Folge, die den Titel Widerstand trägt, sind
die Zuschauerinnen und Zuschauer zu Gast bei Serpil Unvar. Ihr Sohn Ferhat war
einer von neun Menschen, die bei dem Attentat von Hanau am 19. Februar 2020 aus
rassistischen Motiven ermordet wurden. Heute leitet Unvar eine Initiative zur
Förderung von Toleranz in Hanau. „Warum sind wir anders?“, fragt sie in die
Kamera: „Wir leben hier, wir arbeiten hier, wir sterben hier.“ Sie spricht ganz ruhig, als ob es wirklich nur eine Frage des Verständnisses sei,
die ihr bitte jemand erklären möge. Warum weiße Menschen aus Hass töten.
Die Doku-Serie „World White Hate“ ist ab 7. Juli in der
arte-Mediathek abrufbar. Die lineare Ausstrahlung erfolgt ab 20.15 Uhr.