World Series vor der Entscheidung: Will Klein, Shohei Ohtani und die Romantik des Baseball – Sport

Wie sollte man nicht sentimental werden beim Gedanken an Baseball angesichts der Geschichte von Will Klein? Der 25-Jährige stand, kurz vor Mitternacht am Dienstagabend, auf dem Wurfhügel im Dodger Stadium von Los Angeles. Er war also in der größten Arena der Profiliga MLB, sie bietet einen großartigen Blick auf die Skyline von L.A. Er war auf der größtmöglichen Bühne, die der Sport zu bieten hat. Es lief das dritte Spiel der Finalserie zwischen den Los Angeles Dodgers und den Toronto Blue Jays. Beide Teams hatten je eine Partie gewonnen. In der dritten stand es nun 5:5, mehr als sechs Stunden waren bereits gespielt. Am Ende sollte es mit 399 Spielminuten die zweitlängste Partie der Geschichte der sogenannten Word Series werden – und der Abend von Will Klein.

Klein lebte, wovon Kinder (und oft auch noch Erwachsene) träumen und die Schnulzen des US-Sports handeln: Er spielte nur, weil die Dodgers ganz einfach keinen anderen Werfer mehr hatten. Neun Spielabschnitte, die ein Baseballspiel regulär dauert, waren längst absolviert, danach wird ein Spielabschnitt drangehängt; steht es dann immer noch unentschieden, wird wieder um einen Abschnitt verlängert, bis ein Team mehr Punkte erzielt hat als das andere. Bei Kleins Einwechslung lief die sechste Verlängerung. Er warf dann vier weitere Spielabschnitte lang tadellos, in der neunten Verlängerung beschaffte Dodgers-Schlagmann Freddie Freeman endlich einen Punkt für sein Team, indem er den Ball zum 6:5 auf die Tribüne prügelte – Spiel vorbei. Und Klein erlebte seinen großen Moment als „Winning Pitcher“.

How can you not be romantic about Baseball? Diese Frage raunen sich die Amerikaner melancholisch zu; Brad Pitt und Jonah Hill stellen sie im Baseball-Film „Moneyball“, in dem es letztlich darum geht: Wir zerbrechen uns Köpfe über Kader, Gehälter, Aufstellung, Strategie. Aber was ist all das verglichen mit dem Gefühl, das dieser Sport weckt? Wenn der Schläger den hart geworfenen Ball des gegnerischen Werfers so satt trifft, dass man schon hört, dass der Ball gleich aus dem Stadion fliegen wird? Oder wenn einer wie Klein zum Helden einer World-Series-Partie aufsteigt?

Er war im Frühling 2020 Profi geworden. Die meiste Zeit verbrachte er in den niederklassigen Nachwuchsligen, die MLB-Franchises Kansas City Royals, Oakland A’s und Seattle Mariners entließen ihn jeweils. Zu Saisonbeginn kam er zu den Dodgers; er spielte zunächst bei den unterklassigen Oklahoma City Comets, ohne besonders aufzufallen. Er hatte noch nie davor in seinem Leben in einer Playoff-Partie in der MLB auf dem Feld gestanden – und ist nun Teil der Baseball-Historie.

„Dieser Tag gehört Will!“, rief Dodgers-Trainer Dave Roberts seinen Spielern nach der Partie in der Kabine zu: „Aber vergesst nicht: Wir haben heute ein Spiel!“ Es war ja bereits tatsächlich nach Mitternacht – und damit schon jener Mittwoch, an dem dann die vierte Partie der Finalserie stattfinden sollte. Werfer der Dodgers nun wieder: der Japaner Shohei Ohtani, der bekanntlich als einer der ganz wenigen in diesem Sport sowohl als Schlagmann als auch als Werfer brillieren kann.

Shohei Ohtani, hier als Schläger, liegt mit den LA Dodgers in der Finalserie der MLB mit 2:3 zurück.
Shohei Ohtani, hier als Schläger, liegt mit den LA Dodgers in der Finalserie der MLB mit 2:3 zurück. (Foto: Brynn Anderson/AP)

Ohtani verdient bei den Dodgers 700 Millionen Dollar in zehn Jahren, über Sponsoren dürfte im selben Zeitraum das Doppelte hinzukommen. Letztlich ist auch das eine Botschaft von „Moneyball“: Man darf sentimental werden über sportliche Leistungen, weil man angesichts der Gelder, mit denen im US-Profisport um sich geworfen wird, sonst wahnsinnig werden muss. Doch während der Werfer, dem am Dienstag der Sieg zugeschrieben wurde – Will Klein –, in dieser Saison das Minimalgehalt der Liga bezieht (780 000 Dollar), hieß der Verlierer auf dem Werferhügel am Mittwoch Ohtani. Er ließ vier gegnerische Punkte der Blue Jays zu und traf als Schlagmann selbst nicht ein Mal. So ist das manchmal.

Klein lieferte also die Aufsteigergeschichte dieser Finalserie, Ohtani die des strauchelnden Superhelden. Ausgang ungewiss. Nach ihrem historischen Sieg vom Dienstag verloren die Dodgers, mit Ohtani auf dem Werferhügel, nämlich am Mittwoch 2:6, und am Tag darauf verloren sie erneut, diesmal 1:6. So liegen sie vor den beiden letzten Partien, die in Toronto stattfinden werden, mit 2:3 Spielen zurück; die Blue Jays brauchen nur noch einen Sieg zum Titel.