
Die Verhandlungen über einen Waffenstillstand im Gazastreifen sind festgefahren. Während die diplomatischen Bemühungen am Wochenende fortgesetzt wurden, ergingen sich Israel und die islamistische Palästinenserorganisation Hamas zuletzt in gegenseitigen Schuldzuweisungen. Ein israelischer Regierungsmitarbeiter warf der Terrororganisation vor, die indirekten Verhandlungen durch mangelnde Kompromissbereitschaft und eine „Kampagne psychologischer Kriegsführung zu behindern. Von palästinensischer Seite kam Kritik, die Gesprächen kämen nicht voran, weil Israel in der Frage eines Truppenabzugs kein Entgegenkommen zeige.
Laut übereinstimmenden Berichten von Diplomaten sind Fragen des Abzugs des israelischen Militärs und die entsprechenden, von der israelischen Seite vorgelegten Karten „derzeit der entscheidende Streitpunkt“. Israel verlangt andauernde Präsenz in einzurichtenden Pufferzonen. Ein Diplomat, der über den Stand der Verhandlungen unterrichtet wurde, erklärte gegenüber der F.A.Z., Israel wolle an der Grenze zum Gazastreifen eine ein bis zwei Kilometer breite Pufferzone errichten. Die Hamas verlange eine Breite von 700 Metern.
Noch umstrittener ist demnach die israelische Forderung nach einer zwei bis drei Kilometer breiten Pufferzone nördlich der Stadt Rafah an der Südgrenze des Gazastreifens. Den sogenannten Morag-Korridor – benannt nach einer ehemaligen Siedlung im Gazastreifen – hat die Armee im April eingerichtet. Er verläuft zwischen den Städten Khan Yunis und Rafah und trennt Letztere vom restlichen Gazastreifen ab. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gab seinerzeit an, er wolle dadurch den Druck auf die Hamas verstärken. Die Stadt Rafah wurde vom Militär weitgehend zerstört, die Bewohner wurden vertrieben.
Ein „Smotrich-Plan“?
Nicht nur bei der Hamas stoßen diese Pläne auf Widerwillen. Diplomaten bestätigten im Grundsatz einen Bericht des Nachrichtenportals „Axios“ über ein Treffen im Weißen Haus in der vergangenen Woche. Ein Unterhändler aus Qatar und Steve Witkoff, Sonderbeauftragter von Präsident Donald Trump, hätten Netanjahus wichtigstem Berater Ron Demer dabei deutlich gemacht, die israelischen Forderungen seien ein Rohrkrepierer. Laut „Axios“ sagte Witkoff, die Pläne sähen eine fortdauernde Besatzung großer Teile des Gazastreifens vor und erinnerten an einen „Smotrich-Plan“. Der extremistische Finanzminister fordert öffentlich die „totale Zerstörung“ des Gazastreifens und die Vertreibung der Bevölkerung. Die amerikanische Regierung hatte versucht, die Dynamik nach dem Waffenstillstand zwischen Israel und Iran zu nutzen, um auch im Gazastreifen ein Ende der Gewalt zu erreichen. Diese sei jetzt erst einmal verpufft, hieß es von Diplomaten.
Demnach werden die Verhandlungen auch durch neue Pläne der israelischen Regierung für die Region um Rafah erschwert, auch wenn diese nicht offiziell Teil der Verhandlungen sind. Ein Großteil der Bevölkerung des Gazastreifens soll dorthin verbracht werden – in eine „humanitäre Stadt“, die auf den Ruinen errichtet werden soll. Laut israelischen Presseberichten würde deren Einrichtung umgerechnet rund 3,7 Milliarden Euro kosten. Verteidigungsminister Israel Katz erläuterte am vergangenen Montag, anfangs sollten die etwa 600.000 Palästinenser dorthin umgesiedelt werden, die in das Küstengebiet Al-Mawasi geflohen sind, um den israelischen Angriffen zu entgehen. Langfristig sollten aber alle etwa 2,3 Millionen Bewohner des Gazastreifens in dieser Einrichtung konzentriert werden, sagte Katz. Nachdem sie auf Hamas-Zugehörigkeit kontrolliert wurden und das Gebiet betreten haben, dürften sie es nicht mehr verlassen – außer wenn sie den Gazastreifen verlassen. Die israelische Armee werde das Gebiet bewachen, aber nicht für die Versorgung der Menschen zuständig sein.
Bedenken der Armeeführung
Offiziell gibt die Regierung als Ziel an, durch die räumliche Trennung die Kontrolle der Hamas über die Bevölkerung zu beenden. Der Plan hat in Israel allerdings kontroverse Reaktionen hervorgerufen. Kritiker sprechen von einem „Konzentrationslager“ oder von einem „Ghetto“, in das Millionen Palästinenser gezwungen werden sollten. Auch die Armeeführung hat offenbar Bedenken – in den vergangenen Tagen berichteten israelische Medien über lautstarke Auseinandersetzungen zwischen Generalstabschef Eyal Zamir und Ministern, insbesondere von der Siedlerbewegung. Manche glauben, die Einrichtung dieser Zone am südlichen Rand des Gazastreifens sei ein erster Schritt für die Vertreibung der Palästinenser aus dem Gebiet und die Wiedererrichtung jüdischer Siedlungen.
Aus diplomatischen Quellen hieß es am Sonntag, die Verhandlungen über einen Waffenstillstand seien noch nicht in der Endphase angekommen, es habe aber in einigen anderen strittigen Punkten Annäherungen gegeben. Demnach soll laut derzeitigem Stand die Freilassung der von der Hamas verschleppten Geiseln von einem graduellen israelischen Abzug aus dem Gazastreifen begleitet werden. Außerdem sollten am ersten Tag, an dem eine Waffenruhe in Kraft trete, Verhandlungen über ein permanentes Ende des Krieges beginnen. Die Hamas will internationale Garantien, dass eine temporäre Waffenruhe auch dann weiter gilt, wenn es nach 60 Tagen keine Einigung über ein dauerhaftes Kriegsende gibt.