
In Person von Claudia Roth hatte eine Bundeskulturpolitik, die Enthusiasmus und Konzeptarbeit, Staatsräson und Kunstfreiheit zusammenbringen wollte, zuletzt oft etwas Ungereimtes. Das soll sich mit dem neuen Mann im Amt des Kulturstaatsministers ändern, wie am Mittwoch in Wolfram Weimers erster Rede im Bundestag zu hören war. Die Notwendigkeit einer „Europäisierung der Medienpolitik“ bekräftigte er mit dem Satz: „Europa ist nicht nur unsere Herkunft, Europa ist nicht nur unsere Zukunft, sie ist diesbezüglich auch unsere Zunft.“
Der Gleichklang von Herkunft und Zukunft ist als Leitmotiv zumal christdemokratischer Europapolitik geläufig, aber der prosaische Sinn des dritten, die Sentenz bündig abschließenden Reimworts erschließt sich nicht auf Anhieb. Europa – unsere Zunft? Für die Möglichkeit eines Versprechers spricht das weibliche Pronomen für den Kontinent. Ein poetischer Rückgriff auf dessen mythologische Personifikation, die von Zeus in Stiergestalt entführte Königstochter, kommt in politischen Reden zwar gelegentlich vor, wäre aber wohl nicht implizit geblieben. Wahrscheinlich hatte der Staatsminister die Europäische Union im Sinn: Es ging ihm sachpolitisch um „KI-Regulierung“, weltpolitisch um die Emanzipation von amerikanischer und chinesischer Konzernmacht.
Sonst meist latent ironisch
Das altmodische Wort „Zunft“ wird heute meist anachronistisch und halb uneigentlich verwendet, oft latent ironisch für Berufsgruppen, deren Arbeit gerade nicht so streng geregelt ist, wie es für die verfassten Zünfte der vormodernen Gesellschaft bestimmend war. So spricht man von den Zünften der Journalisten oder Medienunternehmer. Deutsche Kulturpolitiker müssen Berufseuropäer sein, aber das scheint Weimer nicht gemeint zu haben.
Wenn Künstliche Intelligenz reguliert werden soll, ist die rechtliche Setzung von Standards nötig, und Weimer wollte vielleicht die Hoffnung artikulieren, dass solche Gegenmaßgaben sich ihrerseits nicht im Künstlichen erschöpfen, sondern so etwas wie eine tradierte gemeinschaftliche Weisheit zum Schutz schöpferischer Fertigkeiten zum Tragen bringen. Das Wort „Zunft“ konnte laut dem Grimmschen Wörterbuch „zum Inbegriff bürgerlicher Ordnung“ werden, weil es den „Träger der Gesinnung“ des ordnungsgemäß ausgeübten Handwerks bezeichnet.
Europa soll in der Medienpolitik als Zunft agieren und nicht als Kartell. Die Anwendung des alten Begriffs auf eine supermoderne Sphäre überrascht. Ob Weimer, der sich mehrfach von seinem Manuskript zu lösen schien, den Witz absichtlich machte oder er ihm unabsichtlich unterlief: Die Pointe, das Irritationsmoment des Reims zwischen Versatzstücken, lag darin, dass in der Bildungssprache der Zunftbegriff negativ besetzt ist, als sprichwörtliches Hemmnis von Kreativität. Man kann das Wort nicht aussprechen, ohne den Zwang zu assoziieren. Gegen dieses moderne Klischee mobilisierte der bürgerliche Konservative Weimer eine sprachliche Tiefenerinnerung im Sinne Karl Heinz Bohrers, um die Erwartung einer neoliberalen Ankündigungspolitik zu durchkreuzen.