Wolfram Weimer und das neue Gedenkstättenkonzept des Bundes

Als Medienpolitiker hat der neue Kulturstaatsminister in seiner jetzt sechsmonatigen Amtszeit ein paar starke Auftritte gehabt. Als Kulturpolitiker aber hat Wolfram Weimer bislang vor allem die Projekte seiner Vorgängerin Claudia Roth weitergeführt oder zum Abschluss geführt: die Einigung mit der Hohenzollernfamilie, die Einrichtung von Schiedsgerichtsbarkeiten für Restitutionsfälle, die finanzielle Stärkung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Am Mittwoch ist es ihm zum ersten Mal gelungen, ein Vorhaben durch das Kabinett Merz zu bringen, das seine eigene Handschrift trägt: die Neufassung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes von 1999.

Im April vergangenen Jahres hatte Roths Behörde einen Entwurf für eine veränderte Erinnerungspolitik vorgelegt, der auf scharfe Kritik bei den betroffenen Fachverbänden und in der Öffentlichkeit stieß. Im darauffolgenden Herbst wurde der Entwurf revidiert, doch der Bruch der Ampelkoalition verhinderte seine Verabschiedung. Die Kritik betraf vor allem die Aufnahme von Kolonialverbrechen und antimigrantischen Anschlägen in den Gedenkkanon und ihre implizite Gleichsetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus und der SED-Diktatur. In der revidierten Fassung fehlten die Passagen zur Migration, während der Kolonialismus als dritte Säule der Geschichtspolitik bestehen blieb: Die Errichtung eines „Lern- und Erinnerungsorts“ zum Thema galt dort als „wesentliches Ziel“.

Menschliche Maßstäbe: die Gedenkstätte KZ Sachsenhausen bei Oranienburg
Menschliche Maßstäbe: die Gedenkstätte KZ Sachsenhausen bei OranienburgPicture Alliance

Mit diesem Ziel hat Weimer nun gebrochen. In seinem Gedenkstättenkonzept fehlen sämtliche Aussagen zur deutschen Kolonialgeschichte, auch von aktenkundigen Verbrechen als „Resultat gesamtgesellschaftlich getragener rassistischer Vorstellungen und staatlicher Politik“ ist nicht mehr die Rede. Stattdessen setzt das knapp fünfzigseitige Papier tagespolitische Akzente: Im Abschnitt für „Angriffe auf den freiheitlich demokratischen Konsens“ wird der Missbrauch historischer Fakten in Bezug auf aktuelle Ereignisse angeprangert, „wie zum Beispiel nach dem Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober 2023“. Auch die Verbindlichkeit der Antisemismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) für die Bundespolitik wird, aus­drück­lich betont, sogar mit dem um­strit­te­nen Kabinettszusatz von 2017, dass „auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird“, damit gemeint sein könne

Unter Bäumen: KZ-Gedenkstätte Dachau bei München
Unter Bäumen: KZ-Gedenkstätte Dachau bei MünchenPicture Alliance

Im Übrigen folgt Weimers Konzept ebenso wie die revidierte Planung seiner Vorgängerin ziemlich exakt dem Fahrplan, der seit einem Vierteljahrhundert vorgegeben ist, mit wenigen, freilich bemerkenswerten Ergänzungen. So heißt es bei der Aufgabenbeschreibung der Gedenkstätten, sie könnten „schulische Bildung“ zwar „ergänzen und vertiefen . . ., ersetzen sie aber nicht“. Und in brachialem haushälterischen Realismus stellt das Weimer-Papier am Ende fest, alle Maßnahmen, von denen zuvor die Rede war, stünden „unter dem Vorbehalt der Finanzierung“.

Die zahlreichen deutschen Gedenkstätten, deren Gebäude marode, deren technische Anlagen überaltert und deren Dauerausstellungen überarbeitungsreif sind, dürfen also mit weiteren regelmäßigen Zuwendungen des Bundes rechnen – aber nur, wenn es die Haushaltslage erlaubt. Auch so kann man mitteilen, dass die schwarz-rote Koalition selbst bei dringendsten erinnerungspolitischen Pflichten keine automatische Haftung mehr übernimmt.

Zwei Projekte entscheiden über Erfolg und Misserfolg

Was bedeutet das neue Konzept für die Geschichtspolitik des Bundes? Im Kern bleibt alles beim Alten: Das Gedenken an den Holocaust steht an erster, dasjenige an die Verbrechen der DDR an zweiter Stelle, die Unvergleichbarkeit beider ist staatlich garantiert. Zu den Holocaust-Gedenkstätten treten jene, die an die Verfolgung der Sinti und Roma, der Homo­sexuellen und der Zwangs­ar­bei­ter erinnern, zu den DDR-Gedenkorten diejenigen an die sowjetische Besatzungsherrschaft. Vervollständigt werden soll die Erinnerungslandschaft durch das seit Langem geplante Dokumentationszentrum zur deutschen Besatzungsherrschaft in Europa und durch das Polnische Haus, das unter Claudia Roth auf die Agenda kam.

Gerade diese beiden Projekte könnten aber über Erfolg oder Misserfolg von Weimers Ägide entscheiden. Das eine ist politisch heikel, weil die polnische Regierung lieber ein Mahnmal als eine Begegnungsstätte möchte, das andere benötigt einen Neubau samt Ersteinrichtung und Personal und scheint deshalb bei knappen Kassen kaum finanzierbar. Darum wäre zu wünschen, dass der neue Kulturstaatsminister nicht nur Konzepte, sondern auch einen Plan in petto hat. Gedenken ist gut, Nachdenken über die Zukunft noch besser.